Marc Jaquet: Tempo, Tempo! ist sein Prinzip

Marc Jaquet ortet zu viele Hindernisse für die regionale Wirtschaft. Als Rezept gegen die Finanzkrise fordert der Präsident des Basler Arbeitgeberverbands tiefere Steuern für Unternehmen und flexiblere Modelle für den Arbeitsmarkt – am liebsten gleich sofort.

Marc Jaquet: «Es ist offensichtlich, dass bei uns laufend Industriearbeits plätze verloren gehen, während in Asien mindestens so viele neu geschaffen werden.» (Bild: Renate Wernli)

Marc Jaquet, Präsident des Basler Arbeitgeberverbands, fordert tiefere Steuern für Unternehmen und flexiblere Modelle für den Arbeitsmarkt.

Herr Jaquet, kürzlich konnte ­man endlich wieder eine erfreu­liche Wirtschaftsmeldung lesen. Gemäss einer Umfrage unter ­Firmenchefs gibt es in drei von vier Betrieben bald mehr Lohn. Bei Ihnen auch?

Die entsprechenden Gespräche sind noch nicht geführt. Generelle Lohn­erhöhungen für die gesamte Belegschaft gibt es bei uns aber ohnehin nicht mehr. Wir gehen fallweise vor. Den etwas weniger gut Verdienenden gleichen wir die Teuerung aus, bei den Besserverdienenden achten wir auf die Leistung.

Was können die Arbeitnehmer in den anderen Unternehmen der Region erwarten?

Da zeichnet sich ein heterogenes Bild ab. In den Branchen, in denen die Firmen gute Ergebnisse erzielen, werden wohl auch die Mitarbeiter profitieren, in den anderen Branchen eher nicht.

An welche Branchen denken Sie?

Gut läuft es vor allem in der Pharma. Probleme haben die Exportunternehmen, das ist bei uns in der Region ­Basel nicht anders als in der übrigen Schweiz. In diesem Bereich schreibt heute schon fast jede dritte Firma rote Zahlen. Das ist zwar besorgniserregend, aber keine wirkliche Überraschung nach der unglaublichen Dynamik bei den Währungskursen und dem extremen Margenzerfall bei ­Geschäften im Euro- oder Dollarraum. Von dieser Entwicklung wurden sehr viele Firmen überrollt.

Sie haben schon früh reagiert und entschieden, die Grenzgänger, die bei Ihnen arbeiten, in Euros auszuzahlen. Halten Sie an dieser umstrittenen Massnahme fest?

Selbstverständlich. Das war nur eine von vielen Massnahmen, mit denen wir unsere Wettbwerbsfähigkeit hoch halten. Die Mitarbeiter waren einverstanden, weil auch sie die angebotene Lösung für sinnvoll und fair halten.

Willigten alle Angestellten ein?

Praktisch alle, ja. Kündigungen gabs keine. Mit einem Mitarbeiter suchen wir noch die richtige Lösung.

Die SP und die Gewerkschaften sprechen von einer diskriminierenden Lösung. Für sie ist es ­inakzeptabel, dass ein Teil der ­Belegschaft nur wegen ihres Wohnsitzes plötzlich weniger Lohn erhält.

Die Massnahme dient dem Erhalt der Arbeitsplätze. Dafür erhalte ich durchaus verständnisvolle Signale auch von Teilen der SP, von Unternehmerin und Ständerätin Anita Fetz zum Beispiel.

Könnten die Euro-Löhne Ihrer Meinung nach auch ein interessantes Modell für andere Firmen in der Region sein?

Als eine von vielen verschiedenen Massnahmen ist das absolut denkbar. Die Situation auf den Märkten ist derart ernst, dass wir uns keinen ideolo­gischen Schönheitswettbewerb mehr leisten können. Wir müssen alles daransetzen, die Arbeitsplätze in unserer Region zu sichern. Gefährdet sind vor allem die Industriejobs für die weniger gut Qualifizierten. Und das Schlimme ist: Wenn diese Arbeitsplätze verschwinden, sind sie für immer ver­loren. Die Entlassenen werden keine neue Stelle mehr finden, weil sie nicht plötzlich in der Dienstleistungsindustrie oder als Banker arbeiten können. Welche drastischen Auswirkungen das für die gesamte Gesellschaft haben kann, sieht man in England, wo die einfachen Jobs weg sind. Das führt zu Arbeitslosigkeit, Frustration, Wut und schliesslich Gewalt. Die schlimmen Bilder der Ausschreitungen in den englischen Städten dürfen sich in der Schweiz nicht wiederholen.

Wie sollen diese einfachen Jobs gerettet werden? Mit einer Er­höhung der Arbeitszeit, die Sie in Ihrem eigenen Betrieb ja auch schon durchgesetzt haben?

Ja, zum Beispiel, aber das reicht noch immer nicht, um einen Standort wirklich attraktiv zu machen. Wir müssen endlich begreifen, dass die Regionen in einer extrem harten Konkurrenz ­zu einander stehen, und da rede ich jetzt nicht von einem Kampf zwischen der Region ­Basel und der Region Liestal. Zentraleuropa gegen Asien, darum geht es. Es ist doch offensichtlich, dass bei uns in Europa laufend Industriearbeitsplätze verloren gehen, während in Asien mindestens so viele neu geschaffen werden. Diesen Trend können wir nur noch mit einem möglichst flexiblen Arbeitsmarkt und tiefen Steuern auch bei uns aufhalten.

Heisst das in Ihrer Logik, dass sich die Arbeitnehmer in der Schweiz mit den gleich schlechten Arbeitsbedingungen wie jenen in Asien zufrieden geben müssten?

So meine ich das überhaupt nicht. Es passen ja übrigens auch einige asiatische Länder ihre Standards zur Sicher­heit am Arbeitsplatz und sozialer Sicherheit rasant nach oben an. Dennoch müssen wir alles dafür tun, dass wir unser liberales Arbeitsgesetz behalten. Das ist einer unserer grössten Trümpfe, den einige offenbar am liebsten möglichst bald aus der Hand gäben. Es gibt da eine ganze Reihe von entsprechenden Vorstössen. Die Mindestlohninitiative, die 1:12-Initiative der Juso, die Forderung nach sechs Wochen Ferien für alle, die «Zocker­initiative». An all dem kann man Freude haben, auch aus ideologischen Gründen. Das ändert aber nichts daran, dass Unternehmen mehr und mehr Zweige auslagern oder gleich ganz wegziehen werden, wenn die Rahmenbedingungen hier nicht mehr stimmen und woanders viel besser sind.

So wie es Novartis mit der Aus­lagerung von über 600 Stellen von Basel nach China und Indien jetzt schon macht – trotz grosser Unter­stützung durch die Basler Politik beim Campus-Bau. Und trotz Spitzenergebnis. Halten Sie dieses Vorgehen für korrekt?

Einerseits habe ich Verständnis dafür, dass die Öffentlichkeit Mühe hat, mit den Stellenverlusten umzugehen, wenn ihr am gleichen Tag auch noch ein Topergebnis präsentiert wird. Andererseits ist ein Ergebnis immer nur ein Abbild der Vergangenheit. Und eine Massnahme wie eine Verlagerung einzelner Stellen wird mit Blick auf die Zukunft getroffen. Das schien Novartis nun offenbar nötig, was legitim ist, auch wenn die Auslagerung für die ­Region kein guter Entscheid ist.

Hat man sich in der Jaquet AG auch schon überlegt, bei der ­Produktion viel stärker auf Asien zu setzen?

Selbstverständlich gab es solche Überlegungen. Bei all den Problemen mit dem starken Franken kommt man als Unternehmer kaum mehr darum herum. Schliesslich haben wir uns aber dagegen entschieden, weil wir schon sehr lange in Basel sind, weil wir hier unsere hochqualifizierten Mitarbeiter haben, die uns auch menschlich ans Herz gewachsen sind, kurz: weil das Unternehmen hier seine Seele hat.

Hat denn Novartis keine Seele mehr?

Novartis ist ein Weltunternehmen, das aber ein klares Bekenntnis zu Basel abgelegt hat. Der Campus wird weiter ausgebaut. Insofern ist auch die Seele des Unternehmens noch immer hier.

Kann die Politik gegen die Aus­lagerungen noch etwas unter­nehmen?

Ein wichtiges Thema sind die Unternehmenssteuern. Es gibt Länder und Märkte gerade in Asien, die mit diesem Argument sehr offensiv Unternehmen anwerben. In Basel konnten wir Wirtschaftsverbände uns mit der Regierung nun immerhin auf einen letter of intent einigen, der eine schrittweise Senkung der Unternehmenssteuern zuerst auf 18 Prozent vorsieht.

Ist die rotgrüne Basler Regierung so wirtschaftsfreundlich, dass nun selbst der angriffige Arbeit­geberchef zufrieden ist?

Na ja, wie immer gibts nicht nur Licht, sondern auch Schatten.

Mit Finanzdirektorin Eva Herzog (SP) kommen Sie jedenfalls ganz gut aus, hört man.

Ich habe mit allen Regierungsräten ein gutes Verhältnis. Ich attestiere ­ohnehin allen, die sich für diese Stadt engagieren, nur das Beste im Sinn zu haben, und schätze die Zusammen­arbeit, wo immer sie möglich ist.

Schön, so etwas Nettes von Ihnen zu hören. Früher haben Sie Basel als «Steuerhölle» beschimpft und gesagt, die Regierung bewirke mit ihrer Wirtschaftspolitik ­genau gleich viel wie einer, der ins Mittelmeer pinkelt und dann schaut, ob sich der Pegelstand ­verändert hat.

Ich sage eben, wenn ich etwas nicht gut finde. Heute müssen wir aber zum Glück nicht mehr in einer Steuerhölle leben und wirtschaften. Noch immer liegt Basel im schweizweiten Vergleich hinten. Der Mittelwert der Unternehmenssteuern liegt bei 13,25 Prozent. Das muss auch für uns das  Ziel sein.

Sie sind einer jener Unternehmer, die den Steuerwettbewerb so lange ausnutzen und anheizen, bis den Kantonen das Geld ausgeht.

Das stimmt überhaupt nicht. Ich bin zwar für den Steuerwettbewerb, aber eben auch für möglichst effiziente staatliche Strukturen.

Wo stösst die Wirtschaft denn aus Ihrer Sicht an ihre Grenzen?

Ich würde mir wünschen, in einem grösseren Raum zu leben, wo es Gestaltungsmöglichkeiten gibt. Zum einen haben wir die Stadt Basel, die aus allen Nähten platzt und wo man trotzdem von Unternehmens­ansiedlung spricht – bloss: Wo gibt es denn noch Platz für neue Firmen? Und dann haben wir, künstlich ab­getrennt von der Stadt, das Baselbiet, das in die Weiterentwicklung des Wirtschaftsgebietes noch viel zu ­wenig einbezogen ist –  als ob es noch Stadtmauern gäbe! Diese Situation ist bedauerlich.

Dann sind Sie Befürworter einer Kantonsfusion von Basel-Stadt und Baselland?

Ja. Aber ich würde eine Fusion nicht auf diese beiden Kantone beschränken, sondern das gesamte Gebiet nördlich des Jura miteinbeziehen.

In Zusammenhang mit den ­Entlassungen bei Novartis kam ­erneut der Vorwurf auf, dass es in der Region an gut ausgebildeten Arbeitskräften mangle. Sehen Sie das auch so?

Das ist ein Kernthema. Es gibt zum Teil grosse Personalengpässe in unserer Region. Deshalb sind zwei Dinge ganz wichtig: Einerseits muss das Bildungswesen markant ver­bessert werden. Andererseits darf der Zugang von qualifizierten Leute aus dem Ausland nicht behindert werden. Deshalb stehe ich für die Personen­freizügigkeit mit der EU ein – aber auch der Zuzug von Arbeitskräften aus Drittstaaten muss erleichtert werden.

Die Aussichten aufs kommende Jahr sind eher düster. Das Staatssekretariat für Wirtschaft rechnet mit einem Anstieg der Arbeits­losigkeit auf durchschnittlich 3,4 Prozent. Und auch von einer Rezession ist schon wieder die Rede. Schlafen Sie selber noch gut bei solchen Erwartungen?

Ich schlafe mal besser und mal etwas weniger gut. Die Zeiten sind tatsächlich schwierig. Europa ist ein grosses, ungelöstes Problem, die Menschen werden immer mehr verunsichert, darum konsumieren sie auch nicht mehr, was zu einer Rezession führt, das ist ein relativ einfaches Prinzip. Aber ich sage mir auch immer wieder, dass es die Jaquet AG bereits seit 122 Jahren gibt. Seither hat es neben vielen Ups auch ein paar Downs gegeben, das gehört zum Leben eines Unternehmers dazu.

Ihr Unternehmen hat sich auf die Produktion von Sensoren für Fahrzeuge und Maschinen spezialisiert. Sie haben mit Hightech ­unter anderem für schnelle Autos und Flugzeuge zu tun. Geht damit ein Bubentraum von Ihnen in Erfüllung?

Nicht unbedingt. Ich bin eher zufällig in die Firma geraten …

Wie denn das?

Ich habe meine Lizentiatsarbeit über diese Firma gemacht, weil ich einen leichten Zugang zu den Unternehmensdaten hatte. Das Ganze weitete sich dann zu einem grösseren Beratungsprojekt aus. Schliesslich wurde ich zum Geschäftsführer berufen. Ich war damals 26 Jahre alt und hatte Glück, dass meine neuen Geschäftsideen Erfolg hatten.

Worin bestanden Ihre Neuerungen?

Wir haben die Angebotspalette gestrafft und uns auf die Herstellung ­weniger, dafür sehr guter Produkte konzentriert, um dort die Markt­führerschaft zu erreichen.

Was ist das Faszinierende an ­Ihrem Geschäft?

Ganz einfach: Wir produzieren spannende Produkte. Wenn Sie das erste Mal vor einer Industrieturbine stehen, die so gross ist wie ein Turm, dann ­beeindruckt Sie das ganz gehörig. Wir liefern auch viel Sensorik in die Automobilindustrie – das ist eine ganz eigene Welt, die einen besonderen Charme hat.

Können Sie diesen Charme etwas genauer beschreiben?

Interessant wird es für mich, wenn es meinem Mitarbeitern gelingt, ­riesige Maschinen mit ­unseren kleinen Bestandteilen zu ­verbessern, günstiger und umweltfreundlicher zu machen. Oder wenn wir mit unseren Sensoren weltweit neue Windturbinen ausrüsten können – das macht den besonderen Charme unserer Produkte aus. Einen beson­deren Reiz für mich hat auch die Automobil­industrie mit ihren sehr toughen Regeln. Dort wird knallhart geregelt, wie viele von einer Million gelieferter Teile man­gelhaft sein dürfen, wo sie jedes Jahr Preisreduktionen durchführen müssen – das ist eine sehr sportliche Angelegenheit.

Sie mögen es sportlich – Sie sind ja auch Autorennen gefahren.

Ja, aber das mache ich nicht mehr.
Warum eigentlich? Ich habe keine Zeit mehr dafür.

Aber schnell waren Sie schon?

«In Charge of Speed» lautet der Slogan unserer Unternehmung.

Freude an schnellen Autos haben Sie noch immer. Man hört, dass Sie exklusive Sportwagen fahren.

Hört man das? Ich habe nicht gewusst, dass Sie eine Autozeitung machen… (lacht)

Sie merken es: Wir stossen nun allmählich zum Privaten vor.

Also, ich liebe Autos. Ich bin fasziniert von deren Technologie und Ästhetik.

Sie fahren mehrere Wagen.

So viele, wie ich brauche. Aber ich fahre jeweils nur einen… (lacht). Aber hören wir auf, von Autos zu sprechen!

Sportlich geht es ja auch in der Politik zu. Sie sind ein Mensch, der sich nicht scheut, öffentlich die Klingen zu kreuzen. Hatten Sie nie Lust, in die Politik einzusteigen?

Nein, ich wäre zu ungeduldig für ­diesen Job. Ich möchte gerne Dinge verändern und rasch Resultate sehen. Das ist ja das Schöne am Unternehmerberuf: Man kann Dinge rasch ­anreissen und umsetzen. Das geht in der Politik nicht.

Eine ganz andere Frage: Hinter Ihnen an der Wand hängt eine grosse Fotografie von einer ­blinden Afrikanerin – hat der ­Unternehmer Marc Jaquet eine heimliche soziale Ader?

(lange Pause) Es ist schwierig, so etwas von sich selbst zu sagen. Die Geschichte dieses Bildes fasziniert mich. Die fotografierte Frau stammt aus Mali, sie hat den grauen Star wegen Mangel­ernäh­rung. Das hat mich erschüttert. Ich finde es wichtig, dass man sich immer wieder bewusst wird, wie viel Armut es auf der Welt gibt – gerade in unserer Gesellschaft, die im Überfluss lebt.

Ist die zunehmende Armut nicht die Folge jenes beinharten glo­balen Wettbewerbs, den Sie sonst so sehr propagieren?

Im Gegenteil. Je mehr die Entwicklungsländer in den globalen Wirtschaftsprozess eingebunden werden, desto mehr verschwindet die Armut. Jeden Tag gewinnen Tausende Menschen Zugang zu neuen Arbeitsplätzen. Ich glaube, dass das Heranwachsen neuer Märkte in den wenig entwickelten Ländern eine enorme Chance für die Menschen birgt, die dort leben.

 
Marc Jaquet (44) ist CEO der Jaquet AG und Präsident des Arbeitgeberverbands Basel. Er hat zwei Kinder und lebt ­in Lupsingen BL. Seine Firma liefert ­Sensoren für Maschinen und Motoren und beschäftigt in Basel zirka 140 Angestellte und in China rund 70. Hinzu kommen Verkaufsteams in den USA mit 10 Mit­arbeitern und in Holland und Belgien mit 40. Zahlen über den Geschäftsgang publiziert die Firma keine.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 18/11/11

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