Auf Twitter herrscht wieder mal ein Aufruhr. Auslöser ist der Hashtag «MenAreTrash» – zu Deutsch: «Männer sind Müll». Mit diesem Slogan wollen Frauen weltweit auf Gewalt gegen Frauen hinweisen. Stattdessen redet aber die ganze Welt darüber, ob das männerfeindlich ist.
Die TagesWoche hat am Donnerstag eine Analyse dazu publiziert. Fazit: Der Hashtag mag unkonstruktiv sein, aber er zeigt auch: Egal, was Frauen tun, und wie sie ihre Botschaft formulieren, die Mehrheit der Männer hört nicht zu. Die meisten Politiker, Journalisten, Wirtschaftsbosse oder Kulturgrössen erkennen nicht an, dass Gewalt gegen Frauen ein gesamtgesellschaftliches Problem ist, das es zu lösen gilt.
Der Artikel hat in unserer Leserschaft einiges ausgelöst. Wir haben viele positive Rückmeldungen erhalten, aber auch kritische. Mehrere Männer schrieben der TagesWoche, auch Männer würden Gewalt erleiden, auch Männer seien Opfer von Schlägereien oder Tötungsdelikten.
Nun könnte frau dasselbe tun wie die Mehrheit der Männer und die Gewalterfahrungen des anderen Geschlechts einfach ignorieren. Das wäre aber nicht konstruktiv. Wir wollen den Hinweis ernst nehmen und haben deshalb einen Experten angerufen, der sich auskennt mit Männern: Nicolas Zogg, Leiter Politik von männer.ch, dem Schweizer Dachverband der Männer- und Väterorganisationen.
Nicolas Zogg, warum nehmen Männer es nicht ernst, wenn Frauen auf das Problem der Gewalt gegen Frauen hinweisen?
Zuerst mal: wir dürfen nicht pauschalisieren. Einige Männer nehmen das sehr ernst, viele ignorieren es, und einige reagieren empört. Die Empörten sind die lautesten. Sie fühlen sich als Täter abgestempelt oder stören sich daran, dass ihnen eine Verantwortung oder Schuld zugesprochen wird, dass sie sich ändern müssen. Oder sie sind ganz einfach frauenfeindlich und stören sich an allem, was von Frauen kommt.
Es geht doch darum, dass sie realisieren, dass sie mehr Macht haben als Frauen. Und dass sie etwas dagegen tun müssen.
Natürlich. Doch wer gibt schon gerne eigene Privilegien zu oder sogar ab? Eigentlich ist es klar: Als Mann hast du zahlreiche Privilegien gegenüber Frauen. Und du bist häufig körperlich stärker als Frauen. Das liegt daran, dass es immer noch ein strukturelles Machtgefälle gibt in der Gesellschaft.
«Häufig ist Männern nicht bewusst, dass sie mehr Macht haben als Frauen. Dass sie über sie bestimmen.»
Männer sind immer noch die Chefs in Politik und Wirtschaft und so weiter.
Genau. Aber die meisten Männer erleben sich nicht unbedingt als privilegiert. Häufig ist ihnen nicht bewusst, dass sie mehr Macht haben als Frauen. Dass sie über sie bestimmen.
Weshalb nicht, das bestätigen zahlreiche Statistiken, beispielsweise punkto Lohngleichheit, Kaderstellen und so weiter.
Ja. Aber es gibt sehr grosse Unterschiede zwischen Männern. Männer sind sehr unterschiedlich privilegiert. Viele sehen in erster Linie, dass sie weniger Privilegien haben als erfolgreichere andere Männer. Sie sehen, was im eigenen Leben schief läuft, was sie gerne sonst noch hätten. Es ist ähnlich wie beim Rassismus: Ein weisser Mensch sieht seine Hautfarbe nicht, und ist sich den mit ihr verbundenen Privilegien gar nicht bewusst. Genauso sind sehr viele Männer geschlechtsblind – viele Frauen übrigens auch.
Da geht es Frauen nicht anders: Auch sie sind erfolgloser als andere Frauen. Und haben es schwerer als Männer.
Ja, in vielen Bereichen ist das so, auch wenn dies viele Männer nicht sehen wollen. Und man darf nicht vergessen: Ein Mann hat Privilegien, aber diese kosten ihn auch einiges.
Was denn?
Männer sterben einige Jahre früher und leben gefährlicher. Von Morddelikten und Suiziden sind Männer viel häufiger betroffen, wie überhaupt von den meisten Gewaltformen – ausser von sexualisierter Gewalt.
«Jegliche Gewalt muss verurteilt werden. Das gilt auch für Frauen, die den Hashtag ‹MenAreTrash› verbreiten.»
Sind Sie sicher, dass Männer häufiger getötet werden? Kann ich die Statistik sehen?
Natürlich, das zeigt jede Kriminalitätsstatistik. Aber lassen Sie uns jetzt nicht männliche Opfer gegen weibliche Opfer ausspielen. Jegliche Gewalt muss ernst genommen und verurteilt und überwunden werden. Das gilt auch für Frauen, die den Hashtag «MenAreTrash» verbreiten. Das ist einfach daneben.
Aber es kommt selten vor, dass Männer von Frauen körperlich überwältigt werden. Frauen müssen aber fürchten, dass sie von einem Mann vergewaltigt oder verprügelt werden, auf der Strasse, im Ausgang oder in der Familie.
Das gilt es anzuerkennen. Sexualisierte Gewalt wird gezielt eingesetzt, um ein Machtgefälle zu demonstrieren. Es ist jedoch wichtig zu sehen, dass auch Männer verprügelt oder vergewaltigt werden…
…aber von Männern, nicht von Frauen.
Gewalt vom anderen Geschlecht ist doch nicht automatisch schlimmer als Gewalt vom eigenen Geschlecht.
«Körperliche Stärke oder Gewalt ist halt die einfachste Spiel- oder Kampfform.»
Haben Sie Angst, wenn Sie in der Nacht alleine heimgehen?
Ich überlege mir schon, welchen Weg ich wähle, um unangenehme Begegnungen zu vermeiden – oder nicht zu provozieren. Natürlich nicht im gleichen Ausmass, wie dies Frauen erleben. Und wenn ich in einen Club gehe, achte ich mich genau, welchen Männern ich besser nicht zu dominant in die Augen schaue. Sonst stehen sie zwei Minuten später vor mir und wollen mich zu einer Schlägerei herausfordern.
Die wollen die Stärksten sein.
Ja, ihr Selbstbewusstsein, ihre männliche Identität ist so fragil, dass sie sich ständig bestätigen müssen. Und körperliche Stärke oder Gewalt ist halt die einfachste, die primitivste Spiel- oder Kampfform.
Gewalt ist eigentlich also ein Zeichen von Schwäche.
Einerseits ja. Aber andererseits gibt es auch viele situationsbedingte und strukturelle Gewalt. In unserer Gesellschaft ist die Definition von Männlichkeit sehr eng mit Macht verbunden. Ein Mann muss seine Männlichkeit stets beweisen. Zeigen, dass er stärker ist. Ein richtiger Mann ist ein Mann, der sich gegenüber anderen durchsetzt, gegenüber Männern wie Frauen. Dazu darf, in diesem Verständnis, auch Gewalt angewendet werden. Das ist auch kulturell so gewollt und eine Frage der Erziehung.
Was heisst das? Von welcher Kultur sprechen Sie?
Von Männern wird in unserer Gesellschaft ein Stück weit erwartet, dass sie Gewalt anwenden. Oder dies zumindest können. Es ist kein Zufall, dass Männer ins Militär müssen, Frauen aber nicht.
«Männer leiden darunter, dass sie immer stark sein müssen.»
Frauen spüren diesen Konkurrenzdruck in der Berufswelt genauso. Sie werden einfach obendrein noch weniger ernst genommen, nur weil sie Frauen sind.
Genau. Die ganze Gesellschaft leidet unter struktureller und kultureller Gewalt, und diese sind eng mit den vorherrschenden Männlichkeitskonzepten verknüpft. Deshalb ist es wichtig, dass wir Männer und Frauen nicht gegeneinander ausspielen, sondern zusammen arbeiten. Das Verbindende sehen.
Was ist das Verbindende?
Männer leiden häufig darunter, dass sie immer stark sein müssen. Sie würden auch gerne einmal loslassen, schwach sein. Zugeben, dass auch sie Opfer von Gewalt sind.
«Väter, die eine enge Bindung zu ihren Kindern und ihrer Frau haben, sind weniger gewalttätig.»
Wie wollen Sie die stereotypen Männlichkeitsvorstellungen in unserer Gesellschaft verändern?
Indem ich die Männer nicht als Täter pauschal verurteile, sondern positive Vorschläge mache. Zum Beispiel sehnen sich viele Männer danach, mehr Zeit mit ihren Kindern zu verbringen. Also fördert männer.ch das, indem wir Vorbilder sind, indem wir uns für den Vaterschaftsurlaub einsetzen.
Ist das gut gegen Gewalt?
Ja, die Forschung zeigt, dass Väter, die eine enge Bindung zu ihren Kindern und ihrer Frau haben, weniger gewalttätig sind. In der Folge sind auch ihre Kinder weniger gewalttätig oder erleben weniger Gewalt.
Aber viele Männer wollen gar nicht Windeln wechseln. Und, um auf Ihr Beispiel mit dem Militär zurückzukommen: Glauben Sie, dass richtige Militärturbos wirklich Frauen unter ihren Soldaten wollen? Die hängen doch am Selbstbild vom starken Mann.
Das stimmt. Es ist nicht immer einfach, an die Männer heranzukommen. Die muss man wachrütteln. Aber mit Vorwürfen und Slogans wie «MenAreTrash» geht das eher nicht. Besser ist sensibilisieren, zu erklären, dass es nicht okay ist, Frauen auf ihren Körper zu reduzieren. Dass Frauen nicht verfügbar sein müssen, um die männliche Lust zu stillen. Auch nicht, wenn sie leicht bekleidet sind. Das braucht Dialog.