Auf Twitter passiert wieder einmal, was so oft passiert, wenn Frauen es wagen, Männer politisch an den Pranger zu stellen: Sie werden beleidigt und auf ihre Fickbarkeit reduziert. Beispielsweise, indem sie als «untervögelte Fotzen» oder «fett» beschimpft werden.
Der heutige Anlass: Frauen protestieren mit #MenAreTrash gegen Männer, die Frauen schlagen, vergewaltigen, töten. Den Anfang nahm der Hashtag in Südafrika: Im Jahr 2017 verschwand dort eine 22-jährige Frau. Die Polizei fand heraus, dass ihr Freund sie getötet hatte.
Die Bloggerin Rufaro Samanga nahm den Mord an der jungen Frau zum Anlass, auf das Thema Gewalt gegen Frauen aufmerksam zu machen. Und lancierte auf Twitter den Hashtag #MenAreTrash, also «Männer sind Müll». Jetzt ist der Hashtag über Umwege wieder aufgetaucht. Die deutsche Taz-Autorin Sibel Schick etwa twitterte:
Es ist ein strukturelles Problem, dass Männer Arschlöcher sind.
— Sibel Schick (@sibelschick) 30. Juli 2018
Nun läuft auf Twitter ein Shitstorm gegen die Journalistin. Männer wehren sich gegen die «generalisierende Verurteilung» und Frauen regen sich darüber auf, dass ihre Männer, Väter und Söhne in einen Topf mit Gewalttätern geworfen werden. Die einen formulieren ihre Kritik auf zivilisierte Art, andere gehen unter die Gürtellinie, wie etwa dieser:
Ja halt die Fresse Schnierlappen.. das einzige wofür deine Schamlippen wohl taugen, als Schmierlappen
— McCallan (@BenMcCallan1) 16. August 2018
Dabei geht die eigentliche Botschaft, sowohl der südafrikanischen wie auch der deutschen Autorin, unter. Nämlich, dass wir ein Problem mit Gewalt gegen Frauen haben, drüben in Südafrika wie auch hüben in Deutschland. Oder in der Schweiz.
Nun kann man in der Tat argumentieren, dass eine Aussage wie «Männer sind Müll» oder «Männer sind Arschlöcher» beleidigend und daher nicht konstruktiv ist und eine Diskussion über Gewalt an Frauen abwürgt.
Doch das Tragische ist: Egal, was Frauen tun, und wie sie ihre Botschaft formulieren, die Mehrheit der Männer hört nicht zu. Die meisten Politiker, Journalisten, Wirtschaftsbosse oder Kulturgrössen erkennen nicht an, dass Gewalt gegen Frauen ein Problem ist, das es zu lösen gilt. Ihre Reaktion auf die Botschaft ist häufig ähnlich: Entweder sie ignorieren die Frauen, suchen andere Sündenböcke oder sie machen die Opfer oder die Überbringerin der Botschaft lächerlich.
So schreibt die Schweizer Bloggerin Marie Baumann auf Twitter:
Männer bringen überall auf der Welt täglich Frauen um, weil die Frauen es wagen, sie zu verlassen oder laufen Amok, weil Frauen sie nicht beachten (z.B. Elliot Rodger): Schulterzucken.
— Marie Baumann (@ma_rieba) August 15, 2018
Eine Frau schreibt #MenAreTrash: Das Internet brennt.#PatriarchyIsTrash
Dazu vier Beispiele.
Beispiel 1: «Fick sie, bis ihr Steissbein bricht»– alles Kunst?
Letzten Dezember spielte das Radio SRF den Song «Ave Maria» der deutschen Rapper Farid Bang und Kollegah. Eine der Songzeilen: «Dein Chick ist ’ne Broke-Ass-Bitch, denn ich fick‘ sie, bis ihr Steissbein bricht.» Das sorgte für Kritik. Der Tenor: Der Text erwecke den Eindruck, Gewalt gegen Frauen sei cool. Die Nationalrätinnen Natalie Rickli (SVP) und Chantal Galladé (SP) forderten deshalb vom SRF, das Stück nicht mehr zu spielen.
Die Rapper gingen nicht auf die Kritik oder das Thema Gewalt ein. Stattdessen machten sie gegenüber dem Portal «Nau» die Politikerinnen runter: «Die Gutmenschen und Kunstbanausen aus der Schweizer Politik werden für ihre antifreiheitlichen und von provinzieller Dummheit geschwängerten Aussagen noch die ein oder andere Punchline von Boss und Banger abbekommen!» Und drohten: «Es werden wieder Mütter gefickt!»
Kurz darauf diskutierte die Kulturwelt der Schweiz über die Frage, ob man Kunst einschränken dürfe oder ob das kulturfeindlich sei. Gewalt an Frauen an und für sich: zweitrangig.
Beispiel 2: #Me-Too – stille Männer, hysterische Frauen
Zugegeben, die Me-Too-Debatte, die kam in der Schweiz an. Alle Medien diskutierten über sexuelle Gewalt gegen Frauen. Ausser natürlich, die Vorwürfe betrafen die Medienwelt selbst: Als der «Tages-Anzeiger» aufdeckte, dass der bekannte Journalist Werner de Schepper als damaliger Chefredaktor des «Blick» immer wieder Mitarbeiterinnen belästigt hatte, da blieb es seltsam still. Kein grosses Medienhaus nahm das Thema auf, positive Ausnahme: Watson.
Was ausserdem auffiel: Während der ganzen Me-Too-Debatte waren es vor allem Frauen, die über sexuelle Gewalt redeten, ihre Erfahrungen teilten und Lösungen suchten. Und Journalistinnen, die ihnen zuhörten und darüber berichteten. Journalisten, mit wenigen Ausnahmen, sagten nichts dazu. Und wenn doch, dann unterstellten sie den Frauen häufig, sie seien hysterisch und würden übertreiben, aus einer Mücke einen Elefanten machen, ein Kompliment zu einem Übergriff hochstilisieren. Oder sie zogen sich auf die Position zurück, ein Übergriff sei erst berichtenswert, wenn er strafrechtlich relevant ist, wie die «Basler Zeitung» analysierte.
So vermieden sie es bequem, ihre eigene Position als Mann zu reflektieren und sich zu fragen, ob sie selber auch Grenzen überschreiten oder davon profitieren, dass Männer das mächtigere Geschlecht sind.
Beispiel 3: Verprügelte Genferinnen – Ausländer sind schuld
In Genf werden vier Frauen verprügelt. Linke Frauen rufen zur Demonstration auf, um gegen die konstante Gewalt gegen Frauen in unserer Gesellschaft zu demonstrieren. Die Reaktion von rechter Seite kommt postwendend: Die Ausländer sind schuld. So behauptete die Genfer SVP-Nationalrätin Céline Amaudruz gegenüber dem «Blick», bei den Tätern handle es sich um Maghrebiner. «Die Männer aus diesen Ländern haben keinen Respekt vor Frauen. In ihrer Heimat geschieht ihnen nichts, wenn sie Frauen verprügeln. Die Männer aus diesen Kulturen sind exzessiv gewalttätig.»
Was macht Amaudruz hier? Sie schiebt den Sündenbock ins Ausland. Und verweigert sich so einer Diskussion darüber, ob Schweizer Männer sich Frauen gegenüber systematisch sexistisch und gewalttätig verhalten.
Beispiel 4: #MenAreTrash – die Männer sind die Opfer
Und jetzt eben: #MenAreTrash. Auch hier redet die Twitter-Welt lieber über die Frage: «Darf man Männer Müll nennen?» Und niemand über die Frage: «Gibt es hierzulande systematische Gewalt von Männern gegen Frauen?» Und wenn ja: Warum? Und vor allem: Was kann man dagegen tun?
Das ist schade. Das Thema hätte Beachtung verdient. Frauen werden ständig verprügelt, vergewaltigt, getötet. Von Männern. Nicht alle Männer sind Prügler und Vergewaltiger, aber manche sind es. Und zu viele schauen weg. Das ist ein Fakt.
Gemäss einer Studie der Weltgesundheitsorganisation erlebt jede vierte Frau in Europa Gewalt. Und die meisten Vergewaltiger und Prügler sind keine fremden Männer hinter dem Busch, sondern Freunde, Partner, Väter, Brüder. Bei jedem zweiten Tötungsdelikt in der Schweiz kennen sich Täter und Opfer, 34 Prozent finden in der eigenen Familie statt, wie die Zahlen des Bundesamts für Statistik zeigen. Und das sind nur die Tötungsdelikte.
Diese Gewalt hat System: Sie ist möglich, weil wir in einer Gesellschaft leben, in der Männer immer noch mehr wert sind als Frauen. Daraufhin wollte die Südafrikanerin Rufaro Samanga mit dem Hashtag «MenAreTrash» hinweisen. Es ist ihr nicht gelungen.