Die TagesWoche hat mit Polizeidirektor Baschi Dürr das Video von der Favela-Räumung angeschaut. Im Interview nimmt Dürr ausführlich Stellung und verteidigt den Einsatz weiterhin. Erstmals räumt er jedoch ein, dass seine Beamten in einzelnen Fällen unnötig hart vorgegangen sind.
Herr Dürr, der Einsatz Ihrer Polizisten am Freitag war wohl ein Schnellschuss.
Nein. Wir waren am Nachmittag mit den Aktivisten in Kontakt. Am Abend war der Dialog jedoch nicht mehr möglich. Es kamen immer mehr Leute auf den Messeplatz, es wurde immer lauter, die Stimmung immer aggressiver. Wir haben das Ultimatum mehrmals verlängert. Irgendwann kamen wir zum Schluss, dass wir glaubwürdig bleiben müssen. Es ging uns nicht darum, den Platz zu räumen, wir wollten nur die Musikanlage beschlagnahmen. Es war wahnsinnig laut.
Gab es denn Lärmklagen?
Nein. Es war ja auch noch nicht 22 Uhr. Aber die Musik war von Weitem sehr gut zu hören.
Der Polizeieinsatz dauerte knapp drei Minuten, dann zog man wieder ab. Warum hat man niemanden verhaftet, wenn man zuvor Hausfriedensbruch geltend gemacht hat und sich weiterhin Leute auf dem Messeplatz aufgehalten haben?
Das ist immer eine Frage der Verhältnismässigkeit.
Gemäss zwei Strafrechtlern kann der Straftatbestand Hausfriedensbruch auf einem öffentlichen Platz gar nicht erfüllt sein. Ihr Einsatzleiter machte am Freitagabend aber genau dies in seiner Megafondurchsage geltend.
Das sieht die Messe offenbar anders. Aber über diese Frage muss am Schluss allenfalls das Gericht entscheiden. Derzeit ermittelt die Staatsanwaltschaft. Es geht bei einem Polizeieinsatz immer um das Abwägen verschiedener Faktoren. Natürlich fiel die Willensäusserung der Messe bei unserem Einsatz ins Gewicht. Die Anzeige war aber nicht der einzige Grund dafür, sondern ein Puzzleteil.
Was waren die anderen Puzzleteile?
Die Stimmung wurde immer aggressiver und es war sehr laut. Deshalb entschieden wir uns, die Musikanlage zu beschlagnahmen. Zudem wollten die Aktivisten am Abend nicht mehr mit uns reden und es verstrichen mehrere Ultimaten.
Wieso prüfte man nicht schon vor der Ansage, ob der Straftatbestand tatsächlich erfüllt ist?
Wir haben vor einem solchen Einsatz nicht die Möglichkeit, ein kleinjuristisches Seminar durchzuführen. Es ist schwierig, in solchen Momenten bis ins letzte Detail abzuklären, ob der Straftatbestand erfüllt ist oder nicht. Was aber ausschlaggebend für den Einsatz war, war die klare Haltung der Messe, die fehlende Dialogbereitschaft und der Lärm. Ob die Messe die «richtige» Anzeige gemacht hat, darüber müssen die Juristen entscheiden.
Gemäss der Messe wurde die Strafanzeige um 20.15 Uhr gestellt – mit der Bitte um Räumung nach 22 Uhr. Weshalb konnte der Zeitpunkt der Räumung gewünscht werden?
Der Zeitpunkt ist nicht wünschbar. Dass wir um 22 Uhr einschritten, ist reiner Zufall und hat nichts mit der Messe zu tun.
Und dass ausgerechnet die für Basel wirtschaftlich sehr wichtige Messe Anzeige einreichte, spielte auch keine Rolle?
Nein, gar nicht.
Wäre die Polizei auch ohne Anzeige eingeschritten?
Es ist gut möglich, dass wir auch ohne Anzeige der Messe eingegriffen hätten. Aber das ist alles Spekulation. Wir kamen am Freitag konkret zum Schluss, dass wir handeln müssen, wenn wir glaubwürdig bleiben und verhindern wollen, dass die Sache aus dem Ruder läuft.
Wie gross ist der Ermessensspielraum der Polizei bei einem solchen Strafantrag?
Relativ gross. Man kann uns einen Einsatz nicht verbieten – auch auf privatem Boden nicht. Eine Anzeige zwingt uns jedoch auch nicht, etwas unternehmen zu müssen.
Wer gab den Befehl für den Einsatz?
Der Einsatzleiter vor Ort.
In Rücksprache mit Ihnen?
Ja. Ich gebe in solchen Fällen aber keine Befehle. Die Aufgaben bei uns sind klar verteilt. Es gibt keine Eskalationsstufe, die das Okay des Departementvorstehers benötigt. Ich war an diesem Abend mit der Sanität unterwegs und wurde stets telefonisch auf dem Laufenden gehalten. Ich stehe völlig hinter dem Entscheid des Einsatzleiters. Der Einsatz war verhältnismässig.
Sie sagen immer wieder, dass die Stimmung aggressiver geworden sei. Wir haben das anders erlebt.
Das sagen Sie! Unsere Leute haben das anders empfunden. Wir stellten fest, dass das Publikum auf dem Messeplatz sich veränderte und plötzlich auch keine Gesprächsbereitschaft mehr vorhanden war. Und die Tatsache, dass Pfefferspray und Farbbeutel herumlagen, zeigt ja auch, dass man Absichten hatte. Ich zumindest gehe nie mit solchen Utensilien an eine Party.
Dass Farbbeutel eingesetzt wurden, ist umstritten.
Und die Gewalt gegen Polizisten haben Sie auch nicht gesehen?
Doch. In dem Moment, als die Polizei einmarschierte, eskalierte es.
Und dann darf man auf die Polizisten werfen, was man will?
Natürlich nicht. Aber es wäre wohl nicht zur Eskalation gekommen, wenn die Polizei nicht eingeschritten wäre. Man hätte sich auch toleranter verhalten können.
Natürlich, es ist immer ein Ermessen. Vielleicht wäre die Musik eine halbe Stunde später abgestellt gewesen, vielleicht wäre es aber auch um 3 Uhr früh noch lauter und noch aggressiver und entsprechend noch schwieriger für uns geworden, die Anlage zu beschlagnahmen.
Ihre Mitarbeitenden haben sich also absolut tadellos verhalten?
Ja, ich stehe hinter unseren Leuten.
Schauen wir uns doch mal das Video an.
Ich hab es zwar schon ein paar Mal gesehen. Aber gut.
Ein Mann wird zu Boden geworfen. Es sieht so aus, als würde der Polizist ihn mit Faustschlägen attackieren.
Wenn jemand zu Boden geworfen wird, geschieht dies mit kontrollierter Gewalt. Die betreffende Person wurde so angegangen, weil sie die Schutzweste des Polizisten angepackt hat.
Eine Frau läuft weg. Obwohl sie der Polizei nichts tut, wird sie mit Reizstoff besprüht.
Sie lief zu langsam weg.
Wie bitte?
Der Reizstoff war in diesem spezifischen Fall wohl unnötig, ja. Aber daraus zu schliessen, der gesamte Einsatz sei unverhältnismässig und gewaltsam gewesen, ist falsch. Wir müssen die Leute irgendwie auseinanderbringen. Ich möchte Sie mal in einer solchen Aktion sehen: Man kommt auf den Platz, will die Musik abstellen, wird bedrängt und mit Gegenständen beworfen. Die Gewalt gegenüber den Polizisten war heftig. Ich frage mich sogar, ob man die Polizei nicht noch besser hätte schützen müssen.
Und wieso wurde bei der Sicherstellung die Anlage demoliert?
Sie müssen sich die Emotionen bei einem solchen Einsatz vorstellen. Die Stimmung war aggressiv, die Polizisten werden attackiert. Es geht ruppig zu und her. Dass da keine Zeit bleibt, die Anlage sorgfältig auseinanderzubauen, ist verständlich.
War Ihrer Meinung nach die Warnung per Megafon ausreichend? Viele Partybesucher haben diese Warnung nicht gehört.
Das zeigt, wie laut es auf dem Platz gewesen ist.
Diese Nulltoleranz-Haltung hört sich allerdings nicht sehr liberal an – ganz anders als Ihr oft geäussertes Motto «leben und leben lassen».
Nulltoleranz? Blödsinn! Nulltoleranz hätte bedeutet, dass wir die Favela am Nachmittag geräumt hätten. Das einzige, was wir nach stundenlangem Reden und Ultimaten gemacht haben, war, den Lärm abzustellen. Das ist alles.
Ist das der neue Polizeidirektor Baschi Dürr, den wir am Freitag erlebt haben?
Ich glaube nicht, dass es sich am Freitag um eine neue Einsatzdoktrin gehandelt hat, aber eine, die ich richtig finde: Tolerant mit Nutzungen im öffentlichen Raum umgehen, aber irgendwann auch einen Strich ziehen. Jeder Einsatz ist ein Abwägen der Verhältnismässigkeit. Ich bin für leben und leben lassen – gerade im öffentlichen Raum. Aber irgendwann muss man auch etwas durchsetzen können.
Wird dieser Polizeieinsatz in irgendeiner Form aufgearbeitet werden?
Aus polizeilicher Sicht ist der Vorfall so weit aufgearbeitet. Es gab Besprechungen, Auswertungen und Rapporte. Wir haben auch das Video mehrmals angeschaut. Zudem hat eine Person Beschwerde gegen uns eingereicht.
Stimmt es, dass einige Ihrer Beamten Anzeige eingereicht haben gegen die Teilnehmer der Favela-Party?
Wir haben unseren Rapport wie üblich der Staatsanwaltschaft zukommen lassen. Gewalt gegen Beamte ist ein Offizialdelikt. Die Staatsanwaltschaft nimmt sich solcher Fälle von Amtes wegen an.
Haben Sie mit so viel Kritik gerechnet?
Ich habe deutlich mehr Kritik erwartet, zumal bewegtes Bildmaterial vorhanden ist. Ich bin froh, gibt es das Video, denn ich bin neu im Amt und habe noch nicht viele Einsätze gesehen. Zudem zeigen die Bilder, dass der Einsatz richtig war. Die Reaktionen halten sich die Waage. Es gibt viele, die den Einsatz skandalös finden und viele andere, die das Durchgreifen loben. Das liegt in der Natur der Sache. Aber man darf in meinem Amt nicht den Anspruch haben, es allen immer recht machen zu wollen.
Am Freitag soll auf dem Wettsteinplatz eine Demo «für mehr Freiräume, gegen Polizeigewalt und gegen Baschi Dürr» stattfinden. Wird die Polizei wieder so hart einschreiten?
Nochmals: Wir sind gezielt eingeschritten, um eine überlaute Musikanlage zu konfiszieren. Nicht mehr und nicht weniger. Es ist immer eine Frage der Verhältnismässigkeit. Und die politische Willensäusserung ist ein hohes Gut.
Aber die Demo ist sehr nahe an Ihrem Wohnort. Eine Provokation?
Wir werden nicht anders eingreifen oder eben nicht, nur weil diese Veranstaltung offenbar, wie Sie mir nun sagen, in der Nähe meines Hauses stattfindet.