Der Basler Pitcher Lukas Croton (21) und der Hitter Stefan Koller (31) aus Allschwil, beide Nationalspieler und Teamstützen beim Baseball-Rekordmeister Therwil Flyers, über die Angst vor dem Versagen und das Romantische am Baseball.
Stefan Koller und Lukas Croton, wie viel macht das Mentale im Baseball aus?
Stefan Koller: Sicher achtzig Prozent. Selbstvertrauen ist unheimlich wichtig im Baseball.
Ist das der Grund, warum die Therwil Flyers nach jeweils überragenden Qualifikationsphasen aus den letzten vier Playoff-Finals nur einen einzigen Meistertitel geholt haben?
Koller: Wir haben es in den letzten Jahren versäumt, im mentalen Bereich zu arbeiten. Das kann nicht nur Pech gewesen sein. Es ist enorm wichtig, Drucksituationen auch im Training zu generieren. Das will ich als neuer Spielertrainer besser umsetzen. Aber jetzt, zu Beginn der Saison, ist es erst einmal wichtig, die Routine zu bekommen, Zigtausend Mal die gleichen Spielzüge und -bewegungen einzuüben.
Auch eine der Hauptfiguren im Roman «The Art of Fielding» (siehe Artikel «Das Scheitern erzählen») wiederholt im Training immer wieder die gleichen Bewegungsabläufe. Die ewige Repetition gehört zum Baseball wie der Fisch zum Wasser. Wird das nicht langweilig?
Lukas Croton: Nein, das nicht. Nur so wird man besser. Im Baseball passiert das meiste in einem solchen Tempo, dass jede Handlung eigentlich eine pure Reaktion sein sollte. Man darf gar nicht erst überlegen. Sonst passieren Fehler.
Koller: Mir fällt dazu der Begriff «muscle memory» ein, den unser früherer Coach John Bullock Tucker oft verwendete. Durch das ständige Repetieren werden die Abläufe im Körper gespeichert und können in der Folge quasi unterbewusst ausgeführt werden.
Im Gegensatz zum Fussball ist Baseball systematischer und geprägt von vielen isolierten Aufgaben – wie zum Beispiel dem Fangen des Balls. Greift man daneben, notiert die Statistik einen Fehler.
Croton: Baseball ist wohl der Sport, in dem die meisten statistischen Werte erfasst werden. Es gibt mittlerweile unglaubliche Berechnungen. So kann jeder Spieler bis ins kleinste Detail analysiert werden.
Koller: Baseball kennzeichnet ein Ungleichgewicht: In der Offensive ist das Scheitern die Regel. Trifft ein Schlagmann aus drei Versuchen ein Mal, ist er ein sehr guter Hitter. Wer aber in der Defensive neun von zehn Bällen gut spielt, ist höchstens Durchschnitt.
Croton: Wer in der Major League (oberste US-Liga, Anm. d. Red.) in der Defensive aufgestellt wird, weist in der Regel eine Quote von mindestens 98 Prozent erfolgreichen Aktionen aus.
Trotz aller Zahlen: In jedem Baseballspieler steckt ein Mensch, keine Maschine. Wie sehr beschäftigt einen als Spieler die Angst vor dem Versagen? Oder will man einfach nur spielen?
Koller: Ich wünschte, man könnte einfach nur spielen. Das würde bedeuten, dass man vom Selbstzweifel wegkommt. Da wir mit den Flyers in den letzten Jahren so gut gespielt haben, haben wir uns auch Druck aufgebaut. Deshalb soll für uns im Moment die Freude am Spiel im Mittelpunkt stehen.
Croton: Aber es gibt natürlich immer Partien, in denen gar nichts läuft.
Koller: Also, einen «Slump» hat jeder mal, das kennt jeder. So nennt man eine Zeitspanne, in der einfach gar nichts läuft. Wenn man Glück hat, dauert sie nur einen Monat.
Und wenn man Pech hat, muss man deswegen die Karriere aufgeben. Wie der gestandene Major-League-Pitcher Steve Blass, der in den Siebzigerjahren plötzlich nicht mehr anständig werfen konnte. Seitdem spricht man bei ähnlichen Fällen von der «Steve Blass Disease».
Koller: Wenn es nicht läuft, so versucht man sich das zu erklären. Man kann niemand anderen dafür verantwortlich machen als sich selbst. Bin ich in einem «Slump», so befinde ich mich bis zum nächsten Spieltag in einem inneren Kampf. Denn nur da habe ich die Chance, aus der Krise herauszufinden. Denn funktioniert es im Training, dann bringt das nichts. Es hilft ja der Statistik nicht. Aber dann gibt es auch das Gegenteil. Da kommt man in eine Trance, und alles läuft wie von alleine.
Croton: Das hat dann etwas Meditatives.
Koller: Misslingt aber trotzdem ein Wurf, dann versuche ich, gar nicht darüber nachzudenken. Lieber malt man sich aus, was man nach dem Spiel machen wird, wo man in den Ausgang geht oder so.
Croton: Gerade weil man so oft scheitert, muss man ruhig bleiben. Da kommt der Trainer ins Spiel. Einmal pro Spielabschnitt darf der Coach zum Pitcher, um auf ihn einzureden. Meist geht es da um ganz belanglose Dinge.
Koller: Oft wird einfach ein Witz erzählt.
Da muss der Übungsleiter aber viele Witze kennen.
Koller: (lacht) Ja, dann sollte ich eigentlich ein guter Coach sein.
Brad Pitt sagt als Billy Beane im Film «Moneyball» gleich zweimal den Satz: «It’s hard not to be romantic about baseball.» Was ist so romantisch an diesem Sport?
Koller: Baseball ist eine der wenigen Sportarten, in der das ballführende Team zugleich das verteidigende ist. Deshalb gibt es keine Möglichkeit, über den Kampf ins Spiel zu kommen. Alles, was man machen kann, ist, seine Aufgaben besser zu erfüllen. Etwas anderes ist, dass eine Partie erst zu Ende ist, wenn 27 Outs erzielt worden sind. Sie ist zeitlich nicht begrenzt, kann ganz lange hinausgezögert werden. Damit haftet dem Sport etwas Zeitloses an.
Croton: Das Romantische liegt für mich auch darin, dass jedes Team, das gewinnen will, dem Gegner seine Chance geben muss, indem es ihm Bälle zuschiesst. Anders geht es gar nicht.
Koller: Und es wird eben immer um die Kluft zwischen dem Berechenbaren und dem Irrationalen gehen, um den Widerspruch zwischen der Statistik und dem Unvollkommenen im Menschlichen. Die Zahlen geben viel preis, aber lange nicht alles.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 18.05.12