«Passivrauchen schadet nicht»

Der Professor für Präventivmedizin Romano Grieshaber wollte mit «Passiv­rauchen – Götterdämmerung der Wissenschaft» eine Debatte anstossen. Es ist ihm bisher nicht gelungen.

Professor Romano Grieshaber wirft Gesundheitsorganisationen mehr ideologisches als wissenschaftliches Vorgehen im Bereich des Passivrauchens vor. (Bild: Michael Würtenberg)

Der Professor für Präventivmedizin Romano Grieshaber wollte mit «Passiv­rauchen – Götterdämmerung der Wissenschaft» eine Debatte anstossen. Es ist ihm bisher nicht gelungen.

Er hat sein Leben der Präven­tion gewidmet. In einem Bereich aber spricht er von «Hysterie»: beim Passivrauchen. Nichtraucher Romano Gries­haber (66) wäre der Erste, der den Kampf dagegen unterstützen würde – wenn es wirklich schädlich wäre. Das ist es seiner Meinung nach aber nicht, wie er in seinem Buch ausführt.

Als Leiter Prävention und Forschung der Deutschen Berufs­genossenschaft Nahrungsmittel und Gaststätten hat er bis zu seiner Pensionierung vor einem Jahr zahlreiche Untersuchungen zur Passivrauchbelastung durchgeführt – mit dem Ergebnis, dass alles gar nicht so schlimm sei. Anderslautende Studien seien wissenschaftlich nicht haltbar und würden benutzt, um Gesetze wie das angestrebte Gesetz der Schweizer Lungenliga zum «Schutz vor Passivrauchen» zu erlassen, über das die Schweiz am 23. September abstimmt.

Herr Grieshaber, wie viele Zigaretten haben Sie heute schon ­unfreiwillig inhaliert?

Keine.

Würde die Initiative «Schutz vor Passivrauchen» angenommen, ­wären Sie als Nichtraucher in der Schweiz künftig weniger gefährdet als in Ihrer Heimat: In Deutschland sterben jährlich über 3300 Nichtraucher an den Folgen des Passivrauchens, wie eine ­Studie des Deutschen Krebsforschungszentrums besagt. Sie könnten einer dieser Toten sein.

Das glaube ich kaum. Denn das Risiko, durch Passivrauchen zu erkranken, ist minimal. Es liegt weltweit anerkannt bei einem relativen Risiko von 1,16, was einem Minimalrisiko entspricht. Und auch aus dieser Zahl lässt sich keine ursächliche Beziehung zum ­Passivrauchen ableiten.

Das klingt bei der Schweizer Lungenliga anders. Sie folgt mit ihrer Initiative dem «liberalen Prinzip, dass die eigene Freiheit dort aufhört, wo die Gesundheit Dritter gefährdet ist». Sie aber schreiben in Ihrem Buch, solche Äusserungen – etwa auch der Weltgesundheitsorganisation WHO – seien wissenschaftlich nicht haltbar. Das müssen Sie erklären.

Als wir (die Deutsche Berufsgenossenschaft Nahrungsmittel und Gast­stätten, Red.) im Jahr 2000 mit ent­sprechenden Forschungen begannen, gingen wir auch noch davon aus, dass Passivrauchen schädlich ist. Daher ­haben uns die eigenen Forschungs­ergebnisse aus dem Gastronomie­bereich – dem Bereich mit der grössten Passivrauchkonzentration – selber überrascht: Demnach treten Herz­infarkte, Lungenkrebs und chronische Lungenerkrankungen bei Kellnern ­sogar weniger häufig auf als bei der Allgemeinbevölkerung. Für unsere Studie haben wir die Krankheiten von sechs Millionen Gewerbetreibenden untersucht. Das hat vor uns so noch niemand getan.

Andere Studien kommen zu einem gegenteiligen Ergebnis: Das Lungenkrebsrisiko sei bei Kellnern höher als bei anderen Arbeitnehmern. Wem soll man nun glauben?

Die Epidemiologie (Wissenschaft zur quantitativen Erforschung der Risiko-faktoren und Verteilung von Krankheiten, Red.) weltweit berücksichtigt zusätzliche Schadstoffe wie etwa Radon oder Asbest, die nebst Passivrauch vorliegen, nicht. Das wiederum verfälscht das Resultat. Auch nichtstoffliche Faktoren wie Depressionen oder Arbeitslosigkeit wurden bei der Untersuchung, bei der man auf die 3300 Toten kam, nicht einbezogen. Und das, obwohl man damals bereits wusste, dass Depressionen als Ursache für Herzinfakte mindestens so oft in Betracht kommen wie aktives Rauchen. Diese Dinge werden verschwiegen, ­obwohl sie epidemiologisch gar nicht vom Passivrauchen getrennt werden können.

Die Wissenschaft schlampt also?

Ich sag es mal so: Alle Studien zu ­diesem Thema weltweit kranken am selben Dilemma. Sie berücksichtigen nicht alle relevanten Faktoren, die gleichzeitig einwirken.

Der Raucher-Verein «Fümoar» hat also recht, wenn er in Inseraten schreibt, es gebe weltweit keine einzige wissenschaftlich taugliche und gesicherte Studie, die gesundheitliche Schäden durch Passivrauchen nachweise?

Das kann man so sagen, ja.

Die Lungenliga hingegen wirbt für die Initiative, indem sie ­weniger Herzinfarkte und Atemwegserkrankungen voraussagt. Als glaubwürdige Institution hat sie mit solchen Äusserungen viele Stimmende auf sicher.

Das denke ich auch, denn die WHO hat es geschafft, der Öffentlichkeit den Eindruck zu vermitteln, die Gefährdung sei genau so hoch, wie sie es darstellt. Bereits in den Siebzigern hat die WHO eine Gesellschaftsspaltung in Raucher und Nichtraucher ausgerufen. Vor diesem Hintergrund ist die ganze Bewegung mehr pseudoreligiös und weniger wissenschaftlich zu sehen.

Die Gesundheitsbewegung ist Ihrer Meinung nach von Ideologien getrieben, kann damit allein aber keine Gesetze erlassen – weshalb sie Studien vorschiebt, die wissenschaftlich gar nicht haltbar sind?

Es gibt tatsächlich nachweisliche Falschaussagen in diesem Bereich. Der Studie mit den 3300 Toten zum Beispiel fehlt die Datengrundlage. Die ­Daten, die der Studie zugrunde liegen, gibt es nicht. In der Studie ­wurde weder das Alter als eigener ­Risikofaktor noch die vorher erwähnten anderen Faktoren berücksichtigt. Da würde ich schon von Schönfär­berei, wenn nicht sogar von einer ­Fälschung sprechen.

Angenommen, Passivrauchen wäre wirklich so ungefährlich, wie Sie sagen – was würde der Kampf dagegen dann überhaupt bringen?

Dass Passivrauchen überhaupt als Ziel fixiert wird, liegt daran, dass man das Aktivrauchen bei uns noch nicht so ­direkt angehen kann. Der Weg, gegen Raucher vorzugehen, führt also nur über das Passivrauchen. Dazu werden Minimalrisiken aufgeblasen. Das ist gefährlich, denn die echten Risiken werden so nicht mehr bekämpft.

Welches sind die echten Risiken?

Ich denke da etwa an Asbest. Russland liefert Asbestmengen wie nie zuvor. Und in Ländern wie Kanada wird ­Asbest weiterhin eingesetzt. Das heisst, es ist weltweit immer noch Thema Nummer eins. Aber darüber sprechen die Organisationen kaum mehr.

Sie sagen damit indirekt, dass die WHO in vielen Bereichen alles andere als unabhängig arbeitet.

Diese Abhängigkeit wird sehr deutlich bezüglich der Pharmaindustrie. Diese wird weitgehend gefördert, das hat man zuletzt bei der Schweinegrippe gesehen, als öffentlich Panik gemacht und übertrieben wurde. Grosse Mengen an Impfstoff mussten später vernichtet werden. Das Ganze ging damals von der WHO aus, diese kämpft ganz klar auf der Seite der Pharmaindustrie – auch im Kampf gegen die Tabak­industrie. Und das gelingt ihr gut.

Das heisst, Sie prognostizieren für die Abstimmung ein Ja?

Es ist der WHO jedenfalls gelungen, die Ängste der Menschen zu schüren.

Zurück zu Ihrem Buch: Sie wollten eine Debatte anstossen – bisher haben Sie aber vor allem Aggressionen bis hin zuMord­drohungen geerntet. Woher kommt die Aggression mancher Rauchgegner?

Sie haben recht, in Internetforen schreiben die Leute teilweise sehr ­aggressive Texte über mein Buch und mich. Die Medien hingegen schreiben gar nichts – sie schweigen das Buch tot, weil sie häufig gleichgeschaltet sind mit der Gesundheitsbewegung.

Warum werden Rauchgegner bei diesem Thema so aggressiv?

Das hängt mit der allgemeinen Gesundheitshysterie zusammen. Wahrscheinlich haben viele Menschen wirklich Angst vor dem Passivrauchen.

Haben Sie mit solchen Hass­tiraden gerechnet?

Ja, aber ich bin psychisch stabil (lacht).

Widersprüche bei diesem Thema sind offensichtlich unerwünscht. Warum eigentlich, eine Auseinandersetzung könnte doch allen-falls bedeuten, dass es keine Gesetze zum «Schutz vor Passivrauchen» braucht – sofern Sie recht haben?

Das Bewusstsein in der Bevölkerung ist ein anderes, egal, was die Studien ergeben. Das lässt sich nicht so einfach ändern. Die Politik ist auch froh darum, denn sie braucht Verbote, um den Bürger zu steuern – genauso, wie die Religion Verbote braucht. Und dabei spielt es auch keine Rolle, etwas aufzublasen und in den Bereich der Eigenverantwortung vorzudringen.

Die Initianten der Volksinitiative sagen genau das Gegenteil, nämlich: Dritte müssten vor Passivrauch, dem sie unfreiwillig – also nicht eigenverantwortlich – ausgesetzt seien, geschützt werden.

Wenn Passivrauchen wirklich ­schädlich wäre, würde auch ich für das ­Gesetz kämpfen.

Sie schreiben, durch eine Gesetzesänderung würden keine Krankheitsfälle durch Passivrauchen verhindert. Woher wissen Sie das?

Das können Sie schon am relativen ­Risiko des Passivrauchens ablesen. Das relative Risiko von 1,16 stellt ein Gesamtrisiko aus allen möglichen Faktoren dar, bisher ist es aber niemandem gelungen, das Passivrauchen davon abzutrennen.

Wenn es nach Ihrer Theorie geht, stimmt der Begriff Passivrauchen nicht, da er impliziert, dass jemand raucht – und Rauchen unbestrittenermassen schädlich ist.

Das Wort kommt aus dem Dritten Reich, schon die Nazis sind das sogenannte Passivrauchen angegangen und das Wort ist bis heute geblieben.

Die Gegner der Initiative fordern das Volk auf, vernünftig zu bleiben. Sie weisen auf «gravierende Folgen» für Gewerbe und Wirtschaft hin. Als langjähriger Leiter Prävention und Forschung der deutschen Berufsgenossenschaft Nahrungsmittel und Gaststätten konnten Sie entsprechende Folgen für das Gastgewerbe beobachten. Sind die Ängste der Schweizer ­Initiative-Gegner berechtigt?

Keine Frage. Die WHO bestreitet zwar, dass Rauchverbote wirtschaftliche Folgen haben. Aber schauen Sie nach Irland, England, Frankreich. Auch in Deutschland mussten Tausende Kneipen schliessen – obwohl das Gesetz in Deutschland längst nicht so streng ist wie das, welches sich die Lungenliga für die Schweiz wünscht.

Werfen wir noch einen Blick über den Atlantik in die USA, wo man als Raucher häufig verachtend­ ­angeschaut wird, sofern man überhaupt dazu kommt, eine ­Zigarette anzuzünden. In anderen gesellschaftlichen Bereichen folgt der Westen heute weniger den USA als früher. Beim Rauchen schon?

Die Entwicklung geht in diese Richtung, wenn man beobachtet, wie verbissen Gesundheitsorganisationen kämpfen. Ich fürchte, dass als nächstes auch bei uns Rauchverbote in Wohnungen und Autos gefordert werden.

Und wer kommt nach den Rauchern dran? Die Übergewichtigen? Die Menschen, die Alkohol ­trinken? Die Autofahrer?

Das ist eine gute Frage. Wenn Sie die Toten, die durch Rauchen, Ernährung und Alkohol entstanden sind, zusammenrechnen, kommen Sie auf mehr Menschen, als wirklich gestorben sind – das heisst, es gibt offenbar nur diese Todesursachen. Und die sind alle aus dem Bereich der Eigenverantwortung. Alles andere wird ausgeklammert.

Gesund lebende Menschen sind also unsterblich?

(lacht) Dieser Eindruck wird von Gesundheitsorganisationen, Medizin und Presse vermittelt, ja. Wahrscheinlich kommen Übergewichtige als Nächstes dran. Wenn Sie weniger rauchen, nehmen Sie zu. Und etwa die Diabetesrate ist bei dickeren Menschen höher. Der Kampf gegen ungesunde Ernährung ist ja bereits in vollem Gang.

Wie sieht unsere Welt in ein paar Jahrzehnten aus, wenn es keine Raucher und keine übergewich­tigen Menschen mehr gibt?

So weit habe ich noch nicht nachgedacht. Doch die Gefahr besteht, dass die Ansichten der Gesundheitsapostel überleben. Ich lebe dann nicht mehr.

Eigentlich wäre das Gespräch hier zu Ende, doch eine Frage gab es noch – und zwar von Seiten des Fotografen, seines Zeichens vierfacher Vater und Raucher. Er fragt: Bisher ging ich zum Rauchen immer auf den Balkon. Darf ich ab sofort drinnen rauchen?

Wir haben Berufstätige und keine Kinder untersucht, insofern rate ich Ihnen, den Einfluss von Passivrauchen auf Kinder in anderen Studien zu suchen. Eines aber kann ich Ihnen sagen: Die meisten Menschen meines ­Alters sind in Raucherhaushalten ­aufgewachsen – und sehr viele davon leben noch, teilweise sogar sehr gut.

 

Experte für Gesundheitsschutz

Er hat noch nie eine Zigarette geraucht, denn er weiss: Rauchen ist schädlich. Passivrauchen hingegen bezeichnet Romano Grieshaber als weniger gefährlich, als bisher angenommen. Bis zu seiner Pensionierung vor einem Jahr leitete er die Abteilung ­Prävention und Forschung der deutschen Berufsgenossenschaft ­Nahrungsmittel und Gaststätten.

Er ist Professor für Angewandte Prävention und Gesundheitsförderung an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, war Vorstandsmitglied der Forschungsgesellschaft für angewandte Systemsicherheit und Arbeitsmedizin, Mitglied der Internationalen Vereinigung für soziale Sicherheit und Vorstandssprecher des Kompetenzzentrums für interdisziplinäre Prävention der Universität Jena. Grieshaber ist Humanmediziner und Leiter der «Erfurter Tage», einer arbeitsmedizinischen Fachtagung zum Thema Atemwegerkrankungen.

Sein Buch «Passivrauchen – Götterdämmerung der Wissenschaft» ­erschien im März 2012 bei der Verlagsgesellschaft Publikom Z in Kassel. Grieshaber lebt mit seiner Frau in der Nähe von Heidelberg.

Quellen

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 14.09.12

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