Was für ein Geschwafel! Eine gefühlte Unendlichkeit quasselt eine Gruppe von schrägen Figuren in bunt aufgemotzten Pseudo-Rokoko-Gewändern darüber, wie geil oder eben ungeil dieser Tüffi sei, der sich beim eingemitteten Orgi eingenistet hat. Und wie «kontextualisiert» das alles sei mit dem Sex und so.
Tüffi, das war ursprünglich mal der Tartuffe, der scheinheilig-schleimige Betrüger aus Molières gleichnamiger Komödie. Orgi heisst im Original aus dem 17. Jahrhundert noch Orgon.
Doch von diesem Original, das zu den noch immer oft gespielten Klassikern der Theaterliteratur zählt, ist beim Basler «Tartuffe oder das Schwein der Weisen» wenig bis gar nichts mehr übrig. PeterLicht, Autor und Popmusiker aus Köln, hat den Text von Grund auf neu geschrieben, ihn durch den Fleischwolf des Trash-Duktus gedreht.
Am Tag vor der Uraufführung treffen wir PeterLicht im Café der Elisabethenkirche zum Gespräch. Er ist soeben aus Köln angereist.
PeterLicht, ich habe nach der Lektüre Ihres «Tartuffe» und dem Anhören des neuen Albums etwas Respekt vor diesem Gespräch. Man muss schon sehr zwischen den Zeilen lesen oder hören, um zu verstehen, was Sie eigentlich sagen möchten.
Haben Sie denn sonst, wenn Sie durchs Leben gehen und zuhören, das Gefühl, dass Sie gleich alles verstehen, was Ihnen mitgeteilt wird?
Es gibt Interviewpartner, Politiker zum Beispiel, die oberflächlich ganz klare und zumindest vordergründig einfach zu verstehende Aussagen oder Botschaften bereit haben.
Mir geht es so: Wenn ich Politikern längere Zeit zuhöre, länger auf etwas gucke, verschwinden die Konturen. Man weiss vielleicht schon noch, was wahr oder was falsch, gut oder böse ist, aber es verschwimmt eben. Ich möchte mich jetzt nicht als Nihilisten darstellen, dem alles scheissegal ist, weil eh alles gleich ist – das Gegenteil ist der Fall. Es ist vielmehr ein Gehen über Schollen einer gebrochenen Eisfläche.
Anders gefragt: Verhüllen Sie Ihre Botschaften, wenn man das so sagen kann, hinter einem Nonsense-Vorhang?
Nonsense würde ich nicht sagen. Für mich hat das alles total Sense. Aber ich finde die Aufforderung wichtig, hinter die Dinge schauen zu müssen. Ich habe lange darauf geachtet, dass es von PeterLicht kein Bild gibt. Selbst beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb achtete ich darauf, dass man mich im Fernsehen nicht erkennt. Ich wollte nicht als der sensible Autor oder Sänger auftreten, der sein Inneres nach aussen kehrt. Für mich ergibt sich eine grössere Kenntlichkeit, wenn man nach aussen nicht gleich so kenntlich ist. Mir geht es letztlich darum, den Dingen, die ich beschreibe, möglichst nahe zu kommen. Das ist das Gegenteil von Nonsense.
Im «Chipslied» auf Ihrem neuen Album höre ich die Zeile: «Erst wenn der letzte Chips gegessen ist, werdet ihr sehen, dass man Chips nicht essen kann.» Wo ist da der Sense?
Chips sind doch das kapitalistische Nahrungsmittel schlechthin. Es gibt keine emotionsgetriebenere Nahrung als Chips. Du kannst in dieser optimierten Welt ohne Schuldgefühle keine Chips essen. Insofern ist dieser Satz kein Nonsense, denn eigentlich kann man Chips ja nicht essen. Sie lösen einen totalen Sog aus, auch ich bin total Chips-süchtig. Aber ich und all die anderen, die süchtig sind, dürfen sie eigentlich nicht essen. Es entsteht ein Spannungsmoment, man muss die ganze Tüte leerziehen, obwohl man es nicht will. Insofern ist das ein wahrer Satz: Natürlich kann man Chips essen, aber es geht gleichzeitig wiederum nicht.
Stichwort Kapitalismus: Sie gelten spätestens seit Ihren «Liedern vom Ende des Kapitalismus» von 2006 als Kapitalismus-Kritiker. Gefällt Ihnen dieses Attribut?
Der Begriff Gesellschaftskritiker ist mir lieber. Kritik ist Liebe (lacht). Nun, beim Kapitalismus stimmt dies nicht ganz. Ich bin ein totaler Kritiker des Kapitalismus, gleichzeitig aber auch Kapitalist. Ich muss in dieser Welt zurechtkommen, die bis in mein Herz hinein vom Kosten-Nutzen-Rechnen ausgefüllt ist. Ich muss von etwas leben, ich kann nicht einfach im Off bleiben, ich möchte mitten drin bleiben. Ich will dem nahe kommen und verstehen, warum das so ist.
Die Kritik ist also Treibstoff für Ihre Arbeit?
Ganz klar.
Wollen Sie etwas verändern? Kann Kunst etwas verändern?
Der Wille, das zu tun, ist der erste Schritt. Ich möchte eine Erkenntnis schaffen.
Jetzt marschieren Nazis durch Chemnitz. Wo bleibt da die Wirkung von Künstlern wie Ihnen?
Was ich als Künstler und Sänger machen muss und kann, ist die Dinge zu benennen. Im «Chipslied» geht es um wahr und falsch. Es gibt so viele Menschen, die im Moment ihre eigenen Wahrheiten verkünden, aufs Pflaster knallen und behaupten, das sei nun die Wahrheit. Die Wahrheit darüber, was zum Beispiel eine gerechte Welt ist, was sozial ist, ist nicht mehr so klar wie noch vor zwanzig Jahren. Das alles wird im Moment auf nicht gute Weise neu verhandelt.
Das bringt uns zu Ihrem «Tartuffe». Bei der Geschichte rund um den Betrüger Tartuffe geht es auch um Wahrheit – oder eben um den Betrug mit falscher Wahrheit. Haben Sie deshalb dieses Stück gewählt?
Der Stoff hat mich begeistert, weil er die Frage aufgreift, worum es bei Fake News geht. Es gibt so viel Betrug, so viele Betrüger. Wir wissen es alle, der grösste ist Donald Trump. Er lügt in einer riesen Offensichtlichkeit. Das Faszinierende an dieser Figur ist aber nicht, dass er das tut, sondern dass man ihn gerade deswegen wählt. Er rennt mit seiner Massigkeit gegen die Wirklichkeit an. Ich versuche in diesem Stück, dieses Phänomen zu beleuchten.
Das Stück ist ja ein paar Hundert Jahre alt. Warum schrieben Sie nicht ein eigenes, neues Stück?
Das Stück ist ja neu, es findet sich kein einziger Satz von Molière darin. Geblieben ist nur das Szenario einer Figur, die sich reinzappt in ein anderes System und versucht, dieses von innen heraus auszuhöhlen. Eine Figur, die vom Betrug lebt und darin gut funktioniert. Insofern ist es ein sehr zeitgenössisches Stück. Darin geht es jetzt gar nicht explizit um Donald Trump. Aber um das Prinzip, dass es Betrüger gibt, die sexy Angebote machen. Wie auch die SVP in der Schweiz. Bei Tartuffe geht das sexy Angebot bis zum Sex selber, den er anbietet. Und bei dem er sich letztlich selber nicht als Betrüger sieht. Auch Trump empfindet sich nicht als Betrüger, der Christoph Blocher auch nicht. Die glauben an sich.
Sie beschreiben Tartuffe in Ihrem Stück explizit als Schwein, als ein missgestaltetes überdies. Warum so deftig?
Wir sind im Theater (lacht), da geht es um Kenntlichkeit und die Freude an klaren Bildern. Wo sonst hat man die Möglichkeit, die Bilder, die man in sich trägt, so krass zu benennen? Tartuffe ist ein Schwein. Oder noch besser ein Schwanz im Schweineformat, wie ich das im Stück geschrieben habe. Aber alle wollen das Schwein, alle sind von der reinen sexuellen Schweinekraft fasziniert. Auf der anderen Seite steht Orgon als Lichtgestalt der Mitte, in der alles bestens funktioniert, wie in der Schweiz oder in Deutschland. Aber in der Mitte spürst du dich nicht, du musst an die Grenzen gehen, damit du dich spürst. Am Ende sind dann alle enttäuscht, dass das Schwein gar keines ist. Das ist alles nicht abgewogen, sondern konfrontativ.
Das kann man wohl sagen. Regisseurin Claudia Bauer stellt das Schwein Tartuffe (Nicola Matroberardino) in einer immensen Widerlichkeit auf die Bühne, im fäkalverdrecktem Anzug und mit einem langen runterhängenden Penis. Dass sich Orgons Frau Elmire (Myriam Schröder) von dieser brutalen, ekelerregenden und ohrenbetäubend grunzenden Gestalt verführen lässt, geht an die Grenze des Erträglichen.
PeterLicht, es ist der dritte Molière, den Sie neu gedichtet haben. Was fasziniert Sie so an diesem Autor?
Molière ist das Theater schlechthin. Da steckt Entertainment drin bis zum Klamauk, da gibt es Verwechslungen, da gehen Türen auf und zu, da verstecken sich Figuren unter Tischen und hören alles mit. Ich finde das in seiner Eindeutigkeit toll. Bei Molière steckt überdies so vieles bereits drin, was uns heute bewegt. Aber die 300 Jahre alten Texte würden uns eins zu eins nicht mehr kümmern. Man muss das schon sehr krass in die heutige Zeit übersetzen. Darum lasse ich kein einziges Wort mehr drin, das von ihm stammt. Ich denke, das ist im Sinne dieses Autors.
Es sind Komödien. Müssen es Komödien sein bei Ihnen?
Jede Komödie hat ihren depressiven Kern, ihre Traurigkeit und Verlorenheit. In diesem Stück reden die Menschen unendlich auf sich rein, was auch eine Verlorenheit und Traurigkeit aufzeigt.
Wenn Sie als Musiker selber auftreten, haben Sie die volle Kontrolle über das Resultat. Als Theaterautor müssen Sie Ihre Texte in andere Hände übergeben. Fällt Ihnen das leicht?
Das ist einer der grossen Luxusmomente meines Lebens. Ich habe lange an diesem Text geschrieben, habe damit gerungen und ihn dann abgegeben. Natürlich gab es Gespräche mit der Regisseurin Claudia Bauer und mit der Dramaturgin Constanze Kargl. Aber ich kann dann sagen, hier habt ihr den Text, jetzt müsst ihr damit zurechtkommen.
Haben Sie die Entwicklung der Inszenierung mitverfolgt?
Ich war an keiner einzigen Probe mit dabei. Ich habe mein neues Album gemacht. Aber letztendlich müssen die Schauspieler und die künstlerische Leitung dafür sorgen, dass die richtige Power reinkommt. Ich muss mich da lösen. Was ich zu sehen bekomme, ist dann das Resultat der künstlerischen Umsetzung. Dann fliegt einem das ganze Zeug, mit dem ich mich seit einem halben Jahr nicht mehr befasst habe, um die Ohren. Gesprochen von den tollen Schauspielern hier in Basel – ich habe mir ja eine ähnliche Besetzung gewünscht wie bei «Der Menschen Feind», der vor zwei Jahren hier gezeigt wurde. Das ist schon sehr aufregend. Ein hysterischer innerer, aber auch ein toller Moment.
Ist Claudia Bauer, die Ihre letzte Molière-Neudichtung und jetzt die Uraufführung inszeniert hat, eine Regisseurin Ihres Vertrauens?
Das ist sie seit der letzten Inszenierung eines meiner Stücke, eben von «Der Menschen Feind». Die ist grossartig herausgekommen. Es geht darum, dass man den Flow der Dialoge richtig zu nehmen weiss. Das hat damals bestens funktioniert.
Das kann, muss aber nicht unbedingt funktionieren. Claudia Bauer inszeniert den Abend sehr nahe am Text. Und das hat seine grosse Tücke: PeterLicht versetzt die Figuren in eine überhöhte Endlos-Quasselschlaufe. Mit der Zeit fühlt sich das etwa so an, als höre man sich eine verkratzte Schallplatte an, die wieder und wieder an denselben Punkt zurückspringt.
Und das in vollster Lautstärke. Bauer und das sehr versiert auftretende Ensemble steigen beim höchsten Level ein, den sie dann durchstieren. Weil sich damit kein richtiger Spannungsbogen aufbauen kann, wirkt das Ganze – der Abend zieht sich immerhin über eine Dauer von drei Stunden hin – bald einmal eintönig.
Das ist schade für das vorzügliche Schauspielensemble. Aber auch schade für den Text, der sehr viel absurd-komische Momente in sich trägt – etwa einen Diskurs über Nasenhaar-Extensions. Solchen Momenten lässt die Inszenierung in ihrem überstrapazierten Flow aber nicht den nötigen Raum, damit sie schlagend rüberkommen.
«Tartuffe oder das Schwein des Weisen», Theater Basel, Schauspielhaus. Das Album «Wenn wir alle anders sind» von PeterLicht kommt am 19. Oktober in den Handel.