Terroranschläge und säbelrasselnde Politiker versetzen uns in Angst und Schrecken. Da hilft nur eines: eine Therapiesitzung mit dem Psychoanalytiker und Satiriker Peter Schneider.
Nach den Attentaten in Paris haben sich ranghohe Politiker und erregte Journalisten gegenseitig mit martialischem Gebrüll überboten. Hier Kriegsgurgeln, da Terroristen – es kann einem angst und bange werden. Wir haben uns deshalb mit Peter Schneider auf ein Bier getroffen, in der Hoffnung, der Psychoanalytiker und scharfsinnige Beobachter des Zeitgeschehens möge uns etwas Trost spenden.
Peter Schneider, Terroristen und kriegstreibende Leitartikler haben die Menschen in Angst versetzt. Wie würden Sie ein linderndes Therapiegespräch beginnen?
Ich würde den ratsuchenden Patienten darauf hinweisen, dass man als Bürger eines Landes nicht versuchen soll, seine Betroffenheit in private Trauer, Wut und Empörung zu verwandeln. Man ist kein schlechterer Mensch, wenn man Dinge, von denen man gerade nicht selbst betroffen ist, auch mit der gebührenden Distanz betrachtet.
Geht es auch etwas einfühlsamer?
Es wäre aus Therapeutensicht nicht redlich, einen besorgten Bürger wie einen trauernden Angehörigen zu behandeln. Wenn Sie spirituellen Trost suchen, sind Sie bei mir an der falschen Adresse.
Na gut. Wechseln wir das Thema: Seit dem Wochenende wimmelt es in den sozialen Medien von mitfühlenden Kommentaren und Solidarisierungsprofilbildern. Woher kommt dieser Drang, öffentlich seine Anteilnahme ausdrücken zu wollen?
Ich halte es für eine Mischung aus Mitgefühl und Wichtigtuerei, ein «Auch-dabei-sein-wollen»-Syndrom gewissermassen.
«Es mag etwas peinlich sein, sein Profilfoto in einen Peace-Eiffelturm zu verwandeln, aber es ist kein Verbrechen gegen die Menschlichkeit.»
Es entsteht ein regelrechter Zugzwang, sich ebenfalls solidarisch zu zeigen. Mir ist ein solcher Herdentrieb suspekt.
Man sollte sich von solchen Bekenntniszwängen nicht allzu sehr beeindrucken lassen, weder im positiven noch im negativen Sinne. Es mag etwas peinlich sein, sein Profilfoto in einen Peace-Eiffelturm zu verwandeln, aber es ist kein Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Für viele Menschen sind Facebook und andere soziale Medien das Tor zur Welt. Es ist der Ort, wo Medien konsumiert werden und man mit Gleichgesinnten kommuniziert. Da liegt es doch nahe, auch seine Anteilnahme auf diesen Plattformen auszudrücken?
Meine Welt ist es nicht; ich benutze soziale Medien zu anderen Zwecken. Aber ich will mich in dieser Hinsicht auch nicht zum Mass der Dinge machen und würde es deshalb auch mit dem Spott über die angemasste Betroffenheit nicht übertreiben.
«Manche kokettieren mit ihrem Entsetzen. So als seien sie zum ersten Mal nach 40 Jahren Kinderkanal auf einen Nachrichtensender gestossen.»
Dann gibt es noch diejenigen, die einfach schweigen. Wir können die Welt nicht verändern, also resignieren wir. Wie kann man mit dieser Hilflosigkeit umgehen?
Dieses Gefühl sollte nicht leichtfertig als Ohnmacht psychologisiert werden, die es zu beseitigen gilt. Man ist nicht unbedingt sprachlos, weil man als Fernsehzuschauer der ersten Stunde tief traumatisiert ist, sondern weil einem Informationen und Überblick fehlen. Wer von etwas schlicht keine Ahnung hat, muss sich nicht als ohnmächtig und sprachlos stilisieren. Es würde völlig reichen zuzugeben, dass man sich angesichts der bisherigen Informationen kein brauchbares Bild der Situation machen kann.
Man kann sich doch auch angesichts der schieren Gewalt und der vielen Opfer ohnmächtig fühlen.
Ich halte mich nicht für einen besonders abgeklärten Menschen. Doch wenn ich mich umhöre, scheint mir, als würden viele Menschen mit ihrem Entsetzen geradezu kokettieren. So als seien sie zum ersten Mal nach 40 Jahren Kinderkanal auf einen Nachrichtensender gestossen.
Und die Nähe? Viele von uns waren schon in Paris, von Basel braucht man nur drei Stunden mit dem Zug.
Natürlich korrespondieren emotionale und geografische Nähe in einem gewissen Sinne. Aber die Betonung, dass man auch schon einmal in Paris, auch schon einmal an einem Konzert und auch schon in einem Fussballstadion gewesen sei, ist nicht besonders empathisch. Es scheint eher ein Gestus des Dabeiseinwollens zu sein, gespickt mit ein wenig Angstlust aus der Ferne.
«Die Ohnmachtsmetaphorik ist die nur vermeintlich harmlose Rückseite des Kriegsgeschreis.»
Politiker und Leitartikler sprechen reihum von Krieg. Ist das pädagogisch sinnvoll?
Die jüngere Vergangenheit hat ausreichend gezeigt, dass die Strategie des klassischen Krieges völlig machtlos ist gegen Gegner ohne regulären Kombatantenstatus. Nun könnte man dazu übergehen, sich raffiniertere Methoden der Terrorismusbekämpfung auszudenken. Doch viele Politiker suhlen sich geradezu in der im Moment grassierenden Ohnmachtsmetaphorik. So kommen sie gar nicht erst auf die Idee, dass es auf solche Anschläge bessere Antworten gibt als die blosse Demonstration von Macht. Diese Ohnmachtsmetaphorik ist die nur vermeintlich harmlose Rückseite des Kriegsgeschreis.
Wie meinen Sie das?
Es gibt zwei Wege, sich aus einer Ohnmacht zu befreien: die Resignation und das Maschinengewehr. Der Begriff Ohnmacht ist mehr die gedankenlose Übernahme eines kulturellen Interpretationsmusters als der tief empfundene Affekt, als der er sich präsentiert. Die Tatsache, dass ich die Welt nicht ändern kann, muss nicht zu Ohnmacht führen, sondern zur Erkenntnis, dass das ganz einfach eine zu grosse Aufgabe für mich ist.
Kriegstreiber, Facebook-Empathisten, die grosse wortlose Masse: Flüchten wir uns alle in die Symbolik, ins Kollektiv?
Gegen Symbolik ist nichts einzuwenden. Sie hat aber leider immer diesen Hang zu konformistischem Kitsch, den man sich als Intellektueller nicht wünscht. Ausserdem bleibt die Symbolik in vielem genauso floskelhaft wie die Verurteilung des Terrors durch Staatschefs. Man hat ja kaum angenommen, sie könnten den Terror gutheissen. Offenbar müssen auch Selbstverständlichkeiten immer wieder mit heiligem Nachdruck ausgesprochen werden, als sei man gerade erst darauf gekommen.