«Tok, tok, tok, – Novak schlug die Bälle gegen meine Bürowand»

Niki Pilic über den Jungen, der einst frühmorgens über den Zaun seiner Akademie stieg und ab Samstag mit Roger Federer in Basel an den Swiss Indoors spielt.

Niki Pilic (Bild: imago)

Niki Pilic über den Jungen, der einst frühmorgens über den Zaun seiner Akademie stieg und ab Samstag mit Roger Federer in Basel an den Swiss Indoors spielt.

In Niki Pilics Tennisakademie in München sind Talente keine Seltenheit. Der Kroate hat aus Goran Ivanisevic einen Wimbledon-Sieger gemacht und als Captain des deutschen Davis-Cup-Teams aus den Champions Boris ­Becker und Michael Stich «deutsche Helden», wie er sagt. Doch der Schüler Novak ­Djokovic war einzigartig. Bei ihm habe er schon als Jugendlicher gesehen, dass er an die Weltspitze kommen werde, erzählt Pilic im Gespräch in München. Vor den Swiss Indoors, die am Samstag beginnen, spricht der 72-Jährige über Djokovics Anfänge, den Abstieg von Roger ­Federer und den Gesichtsausdruck von Rafael Nadal.

Wie viele Interviews haben Sie in den vergangenen Monaten zum Thema Djokovic gegeben?

Schon relativ viele, weil ­gerade sehr viele Leute Interesse an diesem jungen Mann haben. Djokovic ist ein Spieler mit guter Ausstrahlung und sehr viel Charisma, und die Art, wie er in diesem Jahr gespielt hat, war etwas Besonderes. Er hat im Prinzip in zehn Monaten nur zwei Matches verloren. Und dass er aus Serbien kommt, ist auch etwas Besonderes.

Können Sie sich an Ihre erste ­Begegnung mit ihm erinnern?

Ja, sicher. Er kam mit seinem Onkel, die Akademie war noch zu, sechs Uhr morgens. Sie kletterten über den Zaun. Ich wusste ja, dass sie kommen, aber nicht so früh. Die Tür hinten war offen, und da sass er im Dunkeln mit Onkel Goran. Dann haben wir gesprochen, und Goran hat erzählt, dass Novaks Eltern eine kleine Pizzeria in den Bergen haben, dass die ganze Familie jetzt aber nach München kommt.

Welchen Eindruck hat Novak auf Sie gemacht?

Ich habe gesehen, dass er ein cleverer Junge ist für seine zwölf Jahre und zehn Monate.

Konnte man das gleich erkennen?

Ich konnte in seinen Augen sehen, dass er kapiert, was ich sage. Als er dann bei mir zu trainieren begann, war er 13. Ich erinnere mich, einmal sass ich noch beim Essen, es war 20 Minuten vor zwei, das Training sollte um zwei beginnen. Novak ging an mir vorbei, ich fragte: Wohin willst du? Er sagte: Ich gehe schon mal, ich will meine Karriere nicht riskieren. Das ist ungewöhnlich, wenn ein Junge in dem Alter so was sagt. Und auch die Art, wie er über Spiele oder verlorene Punkte sprach. Meine Frau sagte: Du, Niki, der erzählt wie du. Wenn ich mit ihm trainierte, war er fokussiert, er hatte eine gute Einstellung. Eine ­besonders gute Einstellung, er war schon ein totaler Profi. Er hat nie ­etwas vergessen, weder Wasser noch den Schläger zu bespannen.

Was dachten Sie, wie weit er ­kommen kann?

Goran Ivanisevic hat vor Kurzem in einem Interview erzählt, ich hätte damals zu ihm gesagt, als er bei mir trainierte: Schau mal, da hinten, der 14 Jahre alte Junge mit den schwarzen Haaren – der wird zu den ersten fünf der Welt gehören. Ich erinnere mich nicht, dass ich vorher einmal im Leben so was gemacht hätte; ich gebe normalerweise keine Prognosen ab, wenn einer 14 ist. Aber offenbar war ich sehr zufrieden mit ihm. Am nächsten Tag hat Goran 15 Minuten mit ihm gespielt, und ­Novak hat keinen einzigen Fehler gemacht.

Was konnte er denn nicht gut?

Vor allem beim Aufschlag hatte er Schwächen. Ich habe ihm gesagt, was er machen muss, und er ist zusätzlich zum Training nach jedem Mittagessen üben gegangen. Ich konnte das von meinem Büro aus hören, wie er gegen meine Wand Aufschlag geübt hat. Tok, tok, tok. Er war sehr leicht zu coachen, und er wusste meist, was er falsch gemacht hat.

Wie gross war sein Ehrgeiz?

Einmal war sein Vater bei mir, wir ­haben gegessen, Novak telefonierte, er hatte gerade ein Turnier gewonnen. Dann gratulierte ihm sein Vater, und er sagte: Das ist nicht die Zeit für eine Gratulation; du weisst, wann du mir gratulieren musst.

Und zwar wann?

Wenn er ein Grand-Slam-Turnier gewinnt. Er hatte diese Art – und das war nicht arrogant: Mein Ziel ist, die Nummer eins der Welt zu sein. Ob ich das schaffe, weiss ich nicht, aber das ist mein Ziel.

Das ist er ja nun seit Juli. Aber ­gehen wir mal einen Schritt zurück. Nachdem er 2008 in Melbourne seinen ersten Grand-Slam-Titel gewonnen hatte, sah es zwei Jahre lang so aus, als käme er nicht an Federer oder Nadal heran. Was war das Problem?

Er hatte noch nicht die richtigen Schläge; der Aufschlag war nicht gut genug, die Vorhand auch nicht. Sein Körper war nicht so stark wie heute, und es fehlte ihm auch noch das Selbstvertrauen.

Bei allen Erfolgen in diesem Jahr – wie gross ist daran der Anteil des Sieges vom Davis-Cup-Final, dem historischen Triumph der Serben Anfang Dezember 2010 gegen Frankreich?

Sehr gross. Sie können sich nicht ­vorstellen, was da los war. Eine unmenschliche Feier, schon nach dem Halbfinal, aber vor allem nach dem ­Final. Wir hatten ein Restaurant gemietet, zwei Sängerinnen und ein Sänger waren da, und wir haben mit 30 Leuten bis fünf Uhr morgens gefeiert. Ich hatte immer zu Novaks Vater gesagt: Wenn einer die Nummer drei der Welt ist, dann ist er ein richtiger Cham­pion. Aber um Held in einem Land zu sein, musst du etwas im Davis Cup machen. Ich hab das in Deutschland erlebt mit Boris Becker und auch mit Michael Stich. Und nach dem Sieg in Belgrad war Novak der Held in Serbien. Ein intelligenter, junger Mensch, der sehr gute Interviews gibt, der Respekt vor anderen Leuten hat und der hart gearbeitet hat.

Welcher seiner Erfolge in diesem Jahr zählt für Sie am meisten? Die Siege gegen Nadal auf Sand in Madrid und Rom, der Sieg in Wimbledon mit der Nummer eins oder der Triumph beim US Open?

Ich denke, die zwei Siege auf Sand haben ihm ungeheuer viel gebracht, weil er sich danach gesagt hat: Ich kann überall gewinnen. Im Halbfinal von ­Paris hat Federer sehr, sehr, sehr gut gespielt und verdient gewonnen. In Wimbledon zu gewinnen, war immer ein Traum von Novak, und Wimbledon ist für Europäer einfach etwas Besonderes. Danach gabs kein Ende mehr mit seinem Selbstbewusstsein. Und bei den US Open im Final – das war auch was Besonderes. Nadal hatte nie Zeit in den Ballwechseln, Novak hatte immer Zeit. Er lief immer im fünften Gang. Novak hat immer die grössere Kanone.

Worin könnte für das kommende Jahr die grösste Gefahr bestehen? Vielleicht, dass 2011 einfach alles zu gut war?

Er muss sehr, sehr viele Punkte ver­teidigen. Aber meine Meinung ist, dass er sicher 80 Prozent dieser Punkte verteidigen kann, sofern er sich nicht verletzt. Ob er damit die Nummer eins oder zwei oder drei sein wird – ich weiss es nicht. Es wird ein schweres Jahr für ihn werden.

Gehen wir zu Rafael Nadal. Was war dessen grösstes Problem in den vergangenen Monaten?

Ich hatte ein komisches Gefühl bei ihm in diesem Jahr. Ich habe bei ihm ein Gesicht gesehen, aus dem man ablesen konnte, dass er nicht so überzeugt war. Speziell gegen Djokovic – da sah es fast so aus, als hätte er Angst vor ihm.

Woher kommt die Angst?

Novak hat ihm schwer zugesetzt.

Haben Sie Nadals Biografie schon gelesen, die vor ein paar Wochen erschienen ist? Darin ist auch des Öfteren von diesem Gesichtsausdruck die Rede, der Onkel Toni bei Rafa nicht mehr gefällt. Was würden sie Rafael sagen, wenn Sie Onkel Toni wären?

Dass er wieder im sechsten Gang spielen muss, vom ersten bis zum letzten Punkt, so wie er es früher gemacht hat. Und dass er den Kopf nicht hängen lassen darf. Er war fantastisch. Dieser Geist, den er mal hatte, den muss ihm Onkel Toni wieder bringen. Egal, wie oft er in diesem Jahr gegen Djokovic verloren hat – er muss sich sagen: Du bist Rafa Nadal, du bist der beste Spieler der Welt auf Sand.

Und was ist mit Federer?

Er hatte keine Geduld, lange Punkte zu spielen. Er spielt so viel va banque wie früher nie. Natürlich hat er immer noch grosses Potenzial, aber er macht zu viele Fehler, speziell auf der Rückhandseite. Ich habe auch im Gesicht von Federer gesehen, dass er sehr oft unzufrieden ist. Nach dem Halbfinal gegen Djokovic in New York musste er sehr enttäuscht sein. Er hatte ja schon das Jahr zuvor verloren, aber dieses Mal war es ein Hammer.

Ich mag Roger Federer aber er ist nicht mehr er selbst. Er macht zu viele Fehler.

Hatte er nach den beiden Matchbällen in New York nicht mehr den nötigen Biss, um das Spiel zu gewinnen?

Djokovic hat fantastisch gespielt, hat keine Fehler gemacht.

Sie denken also, es war vor allem Djokovics Verdienst und nicht ­Federers Versäumnis?

Beides. Aber weniger Federer, mehr Novak. Ich mag Federer, er ist ein ­Superspieler, aber er ist nicht mehr er selbst, das ist der erste Punkt. Nummer zwei: Ich denke, Nadal und Djokovic haben sich verbessert. Inzwischen ist Federer vielleicht drei Millimeter runter gegangen und Nadal einen, Novak ist vier Millimeter nach oben.

Wenn Sie sagen, Federer müsse weniger Fehler machen, setzt das die Bereitschaft voraus, länger für jeden Punkt zu arbeiten?

Natürlich. Er hat den Körper dafür. ­Ob er den Nerv dazu hat, ist eine an­dere Frage.

Wie schätzen Sie seine Chance ein, das grosse Ziel zu erreichen, die Goldmedaille bei den Olympischen Spielen in London zu gewinnen?

Natürlich kann er das schaffen. Er ist nach wie vor in der Lage, vier, fünf Wochen im Jahr wie die Nummer eins der Welt zu spielen.

Andy Murray ist inzwischen die Nummer drei. Bis jetzt hat er noch kein Grand-Slam-Turnier gewonnen. Wann wird das passieren?

Jetzt fragen Sie wie ein Engländer. Ich denke, er hat ein grosses Problem mit der englischen Presse…

… aber die ist doch gar nicht mehr so streng mit ihm.

Wahrscheinlich haben Sie recht. Ich kenne Murray kaum, eigentlich so gut wie gar nicht, aber ich bin ziemlich sicher, dass ihn die Kritik tief drinnen irgendwie kaputt macht. Er ist ein sehr guter Spieler, gut möglich, dass er 2012 was Besonderes schafft.

Wenn wir in einem Jahr wieder hier sitzen, wie lautet dann die Reihenfolge an der Spitze der Weltrangliste? Genau gleich wie jetzt?

Schöne Frage (lange Pause). Ich habe das Gefühl, dass Del Potro sich wieder unter die ersten vier mischen kann. Die Karten werden neu gemischt, und das geht manchmal schnell. Ich erinnere mich, dass Nadal mal 5000 Punkte Vorsprung hatte, aber die sind so schnell geschmolzen wie Eiscreme in der Sonne.

Kehrt Federer noch mal auf die Eins zurück?

Die Möglichkeit ist da, aber sie ist nicht gross. Ich mache die Tür nicht zu, dazu ist er viel zu gut. Aber ich denke, es muss etwas Besonderes passieren.

Was kann das sein?

Er muss das Australian Open gewinnen. Dann hat er eine Chance.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 28/10/11

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