Tomas Vaclik: «Ich war zerstört, wir alle waren zerstört»

Der 28-jährige tschechische Torhüter des FC Basel spricht im Interview über Nervosität, seine Entwicklung als Mensch, über das Funktionieren in einem von Männern geprägten Umfeld und über den Leistungsdruck im Berufsfussball.

Tomas Vaclik im Trainingslager mit dem FC Basel – der Torhüter ist zum vierten Mal in Rottach-Egern, der Schweizer Meister plant mit ihm als Nummer 1 im Tor. (Bild: Andy Müller/Freshfocus)

Tomas Vaclik, dieses Gespräch ist Ihr zweiter Medientermin heute. Sind Sie noch in Stimmung für Pressearbeit?

Ich denke schon. Mir war noch nie unwohl bei einem Medientermin. Eigentlich bin ich nur nicht der Typ für Situationen, in denen ich auf Kommando etwas machen soll.

Sie meinen Aufforderungen wie: Erzählen Sie mal Ihren liebsten Witz?

Ja genau. Es ist mir ohnehin nicht sonderlich wohl, vor vielen Menschen zu sprechen. Beispielsweise bei meiner Hochzeit. Auch im Kreise meiner engsten Vertrauten und Freunde war ich nervös, als ich meine Rede halten musste. Ich mag solche Situationen einfach nicht.

Auskunft geben ist Teil Ihres Jobs.

Bei mir ist es so, dass ich noch nervöser werde, wenn ich in meiner Muttersprache Tschechisch zu einer Pressekonferenz muss. Englisch liegt mir dann besser. Vor dem Champions-League-Spiel gegen Arsenal, da war es mir sehr wohl. Aber als ich für Sparta spielte und vor dem Prager Derby an die Pressekonferenz musste, da war ich richtig nervös.

«In Tel Aviv erlebte ich die schlimmsten Gefühle, die ich in meiner Karriere je hatte.»

Gibt Ihnen Ihre Muttersprache keine Sicherheit?

Das sollte eigentlich so sein. Aber ich weiss dann auch, dass ich in der Lage sein sollte, gewisse Dinge sehr genau und mit Tiefgang zu erläutern.

Machen Sie sich da nicht selbst zu viel Druck?

Vielleicht. Möglicherweise will ich zu ausführlich erklären: Wie wir spielen, wie der Gegner spielt – und das alles detailliert. In Englisch ist das einfacher, keine Ahnung warum.

Sind Sie ein Perfektionist?

Ja. Und ich reflektiere manches allenfalls zu stark. Wenn etwas passiert ist, denke ich lange darüber nach, ob ich mich korrekt verhalten habe oder nicht. Beispielsweise überlege ich mir nach Interviews, ob ich alles richtig gesagt habe.

Haben Sie denn Mühe, Fehler zu akzeptieren?

Es geht vielleicht weniger um Fehler als vielmehr um den Wunsch, mich korrekt auszudrücken und zu verhalten – und um den Lernprozess. Womöglich kommt das alles aus meiner Kindheit. Ich wollte nie der perfekte Typ sein, aber halt eben auch nie der schlechte. Von Vergangenem lerne ich. Sowohl bei der Arbeit auf dem Fussballplatz als auch bei der Erziehung meiner Tochter und der Beziehung zu meiner Frau.

Schuhe schnüren für die Trainingsarbeit in Rottach-Egern: ein gut gelaunter Tomas Vaclik bei der täglichen Arbeit.

Sie sind seit drei Jahren beim FC Basel. Was haben Sie in dieser Zeit gelernt?

Ich habe mich als Person stark weiterentwickelt, habe geheiratet und bin Vater geworden. In der tschechischen Nationalmannschaft bin ich die Nummer 1 geworden und im Vereinsleben erstmals im Ausland. Damit einher geht ein kultureller Lernprozess, was das Leben in der Schweiz angeht. Ich habe gelernt, in der Mannschaft mit verschiedenen Mentalitäten und Sprachen zu leben.

Ist denn der FC Basel der richtige Verein, um sich als Person weiterzuentwickeln?

Unbedingt! Die Erwartungen hier sind so hoch, nicht nur in der Super League, sondern auch im europäischen Wettbewerb. Man muss hier enorm kompetitiv sein. Für die persönliche Entwicklung entscheidend sind zudem die Menschen im Verein. Ich habe Georg Heitz und Bernhard Heusler kennengelernt und ich habe in der Kabine als erstes Pippi (Marco Streller, d. Red.) getroffen. Das war fantastisch! Ich kannte den Pippi aus dem Fernsehen und aus dem Internet – und dann stand ich plötzlich vor ihm. In diesem Moment habe ich anhand seiner Freundlichkeit gemerkt, dass das ein spezieller Club ist.

Von aussen betrachtet wirkte der FCB in den letzten Jahren wie eine heile Welt. Wäre es für Ihre persönliche Entwicklung nicht spannender, in einem Club zu arbeiten, der mit mehr Problemen konfrontiert ist?

Wir müssen auch beim FCB mit schwierigen Situationen umgehen, auch wenn es in meinen drei Jahren wenige davon gab. Eine war in Tel Aviv, als wir die Qualifikation für die Champions League nicht schafften. Da erlebte ich die schlimmsten Gefühle, die ich in meiner Karriere je hatte. Ich war zerstört, wir alle waren zerstört. Aber danach spielten wir eine starke Europa League und waren Erster nach der Gruppenphase.

Das hatte zuvor noch keine Schweizer Mannschaft geschafft.

Ja. Und dann haben wir Saint-Etienne bezwungen – was auch einen schwierigen Moment beinhaltete: Wir hatten das Hinspiel verloren und kassierten im Rückspiel im eigenen Stadion den Ausgleich, wenige Minuten vor Schluss. Und Sekunden später haben wir doch noch gewonnen. Luca Zuffi erzielte unsere beiden Tore, das zweite gar noch mit Rechts.

Mit seinem schwächeren Fuss. Ihr schwächerer Fuss lässt sich auch durchaus sehen.

Er ist besser als vor meiner Zeit in Basel. Mit Torhütertrainer Massimo Colomba haben wir viel daran gearbeitet. Paulo Sousa, mein erster Trainer hier, verlangte das. Er wollte von hinten heraus spielen und das Spiel so unter Kontrolle haben.

«Im Fussball gibt es viele Charakterköpfe, viele Egos, viele Alphatiere, die das Team anführen wollen. Es ist wichtig, dass man diese Gruppe richtig moderiert.»

In dieser Hinsicht sind Sie ein moderner Torhüter. Germano Vailati, die Nummer 3 ab der kommenden Saison, hat eher andere Qualitäten als das Spiel mit dem Fuss.

Er hat natürlich eine ganz andere Ausbildung genossen. Das ist eine andere Torhütergeneration. Schauen Sie sich André ter Stegen, Manuel Neuer oder David De Gea an: Die sind alle sehr stark mit den Füssen und können das Spiel so von hinten heraus anders entwickeln. Das ist die Torhüterarbeit in unserer Zeit.

Sie sagten, Sie hätten sich nicht nur als Torhüter, sondern auch als Mensch weiterentwickelt – durch Ihr Berufsleben in einem von Männern dominiertem Umfeld. Was bedeutet das für Ihr Leben?

(überlegt lange) Darüber habe ich noch nie nachgedacht. Im Fussball gibt es viele Charakterköpfe, viele Egos, viele Alphatiere, die das Team anführen wollen. Es ist wichtig, dass man diese Gruppe richtig moderiert. Auch das zeichnet die grossartige Arbeit in diesem Verein aus. In diesen drei Jahren habe ich nie einen Spieler mit wirklich schlechtem Charakter getroffen. In anderen Vereinen gibt es solche, die alles kontrollieren wollen, beim FCB nicht. Ich zum Beispiel nehme mein Ego zurück.

Macht Sie das zu einer Person, die innerhalb einer Gruppe schnell ihren Platz findet?

Ich denke schon. Ich bin nicht der lauteste Spieler. Eher der ruhige, derjenige, der beobachtet und nicht im Zentrum stehen muss. Ich kann zwar ein Leader sein, aber ich brauche dafür keine wilden Gesten und keine laute Stimme, sondern eher die Fähigkeit, mich einer Situation anzupassen und mit allen arbeiten zu können. Klar versteht man sich nicht mit allen gleich gut, aber ein echtes Problem in der Kabine hatte ich noch nie.

Brauchen Sie diese Harmonie?

Ich mag keine Konflikte. Ich versuche, sie zu lösen, bevor sie gross werden.

Wie machen Sie das?

Ich spreche Sachen an und kommuniziere, wenn ich mich in einer Situation nicht wohl fühle oder wenn ich den Eindruck habe, dass eine Situation für einen anderen Spieler nicht gut ist. Wir Spieler verbringen über 300 Tage im Jahr zusammen, oft auch über Nacht. Da muss man Wege zur Harmonie finden. Schliesslich brauchen wir uns alle gegenseitig. Es ist unmöglich, in diesem Sport alleine etwas zu erreichen.

Tomas Vaclik (rechts) und sein Torhütertrainer Massimo Colomba: Seit drei Jahren arbeiten die beiden erfolgreich zusammen. 

Haben Sie ein gutes Gespür für aufkeimende Konflikte?

Ich glaube schon. Wenn man so viel Zeit in einer Gruppe verbringt, erkennt man diese Situationen irgendwann. Ich bin jetzt einer der älteren Spieler im Team, da sollte ich auch einer sein, der die Gruppe moderieren und Harmonie herstellen kann – zusammen mit dem Captain Matias Delgado und seinem Vize Marek Suchy.

Fühlten Sie sich schon früher in der Karriere verantwortlich für das Funktionieren der Gruppe?

Nein. Als ich jünger war, waren für mich einzig die guten Resultate auf dem Rasen wichtig. Gerade als Torhüter darfst du ja eigentlich keine Fehler machen, sie könnten die Leistung des ganzen Teams ruinieren. Das führt dazu, dass man resultatorientiert arbeitet. Aber mit dem Älterwerden hat sich diese Verantwortung für das Teamgefüge entwickelt.

Dann ist das Bewusstsein für diese Verantwortung nur eine Frage des Alters?

Nein, Leistung ist der andere Faktor. Cesc Fàbregas wurde bei Arsenal als 21-Jähriger zum Captain ernannt. Einfach wegen seiner Leistungen. Die Verantwortung für das Team erwächst aus dem Mix aus Leistung und Alter.

Ist ein Leistungsträger also automatisch auch ein akzeptierter Spieler neben dem Platz?

In den allermeisten Fällen, ja. Aber das gilt nicht nur für Fussballer. Leistung gibt den Menschen auch sonst in der Gesellschaft einen hohen Stellenwert, etwa im Geschäftsleben.

«Kein Fussballer braucht gratis Essen. Wir beziehen einen Service, also zahlen wir dafür.»

Als Fussballer sind Sie diesem Leistungsgedanken noch mehr ausgesetzt als viele andere.

Ich erinnere mich an einen Satz vom ehemaligen tschechischen Nationalspieler Pavel Nedved: «Versuche, zuerst ein guter Mensch zu sein. Denn Fussballer bist du nur während der 90 Minuten.» Leistung ist also wichtig. Aber abseits des Platzes sind wir Menschen. Wir haben unsere Hobbys, unsere Familien, unsere Probleme. Keinen Matchbesucher interessiert es, wie es meinem Kind zu Hause geht, keinen interessiert es, ob ich die ganze Nacht kein Auge zugemacht habe, weil mein Kind krank ist, keinen interessiert es, wenn ich sonstige Probleme zu Hause habe. Und trotzdem verstehe ich jeden, der für den Preis seines Tickets etwas sehen will. Er hat durch den Kauf Anspruch auf eine grossartige Leistung von uns. Damit müssen wir umgehen können, wir verdienen schliesslich gutes Geld.

Glauben wir Ihnen.

Für mich ist es wichtig, in die Stadt gehen zu können, ohne arrogant zu wirken, nur weil ich ein Fussballer bin. Das ist nicht meine Art. Und in der Schweiz ist das ohnehin wunderbar, denn wir sind hier keine Prominenten. Ganz anders in Tschechien: Als Spieler von Prag gibt es immer wieder Bilder von dir in den Boulevard-Zeitungen. Man muss einfach aufpassen, wann man ausgeht, wohin – und mit wem.

Mit einer Freundin Kaffee trinken geht also nicht?

Du wärst sofort in den Zeitungen. Und keiner würde nachfragen: Wer ist diese Frau? Es würden gleich Gerüchte gestreut. Für mich sind all diese Vorgänge auch wichtig wegen meiner Tochter. Ich will sie als guten Menschen erziehen. Zwar gehe ich nicht oft aus, aber in diesen Situation sind mir Werte wichtig. Ich will nicht in ein Restaurant gehen und sagen: Ich bin der Vaclik, ich esse hier bitteschön gratis.

Zumal Sie ja gutes Geld verdienen.

Kein Fussballer braucht gratis Essen. Wir beziehen einen Service, also zahlen wir dafür.

So, wie Menschen auch für Ihre Darbietung im Stadion zahlen.

Genau! Und in dieser Hinsicht ist die Schweiz Mentalität perfekt: Die Menschen sehen zwar den Fussballer, wissen aber auch, dass wir einfach normale Typen sind.

Sie haben also keinen Grund, die Schweiz und den FC Basel je zu verlassen.

Da haben Sie Recht, es gibt keinen Grund! (lacht) Zurzeit gibt es jedenfalls kein Angebot eines anderen Vereins. Was geschrieben wird, sind Spekulationen. Ich fühle mich wirklich wohl hier, meine Familie auch, und unsere Tochter kommt bald in den Kindergarten.

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