Anna Rossinelli, Manuel Meisel und Georg Dillier bringen ihr erstes Album «Bon Voyage» auf den Markt, rundum betreut von professionellen Vermarktern. Inwiefern steuern die Basler Senkrechtstarker ihr Schiff nach dem Eurovision Song Contest noch selber? Und wie vermeiden Sie es, in seichte Gewässer abzudriften? Das Interview.
Vor einem Jahr sang Anna Rossinelli noch auf der Strasse. Dann kam David Klein mit einem flockigen Lied, es folgte ein Auftritt in Kreuzlingen und eine grosse Umarmung durch das TV-Publikum: Sie sollte die Schweiz mit «In Love For A While» am Eurovision Song Contest (ESC) vertreten. Mit den Mitmusikern Manuel Meisel (Gitarre) und Georg Dillier (Bass) reiste die 24-Jährige im Frühling nach Düsseldorf – kam in den Final, wurde da aber Letzte.
Keine Lust auf Homestorys
Niedergeschlagen waren sie damals, geschlagen aber geben sie sich nicht. Das Trio will die gewonnene Popularität ausnützen – und mit ihm eine beachtliche Anzahl professioneller Helfer: Ein Management, zwei Konzertagenturen und die grösste Schweizer Plattenfirma kümmern sich um die Vermarktung der Band und deren erstes Album.
Manche Leute hätten befürchtet, dass sie sich nun in eine Pop-Tussi verwandeln würde, erzählt Anna Rossinelli, dabei läge ihr nichts ferner als das. Das junge Trio fällt Entscheidungen gemeinsam und hat auch den Umgang mit Medien gelernt: So lehnte Anna Rossinelli Kussfotos mit ihrem Freund Georg Dillier ab, ebenso Anfragen für Homestorys oder Aufnahmen in der Badewanne. Schliesslich spielt hier die Musik.
Und die kündigte sich vor einem Monat mit der Single «Joker» an. In der Schweiz ist das Lied noch nicht in den Charts, in Belgien hingegen war es ein Sommerhit: Auch die junge Sängerin Kato sang das Lied, das zwei Britinnen geschrieben und verkauft haben. «Wir wussten, dass wir das Lied nicht exklusiv bekommen», sagt Georg Dillier. «Es ist eben ein guter Song, wir sehen das nicht so eng.»
Vor zwölf Monaten waren Sie noch Strassenmusiker, dann kam der grosse Rummel. Reich geworden?
Manuel Meisel: Reich? Nein. Reich an Erfahrungen.Georg Dillier: Schön gesagt. Der Unterschied zu früher ist, dass wir jetzt von der Musik leben können.
Wenn Sie noch nicht reich geworden sind: Wieso ist dann die Privatbank LaRoche mit Logo im CD-Booklet vertreten?
Anna Rossinelli: Sie hat uns unterstützt. Uns war wichtig, das Album selber finanzieren zu können.Georg: Wir wollten das Album ursprünglich selber aufnehmen. Dafür suchten wir Gönner. An einem privaten Anlass lernten wir jemanden von LaRoche kennen, der von unserer Musik begeistert war.
Die Banken-Welt sorgt nicht gerade für positive Schlagzeilen. Stört Sie dieses Image nicht?
Anna: Wir identifizieren uns ja nicht mit der Bankenwelt an sich, sondern haben einen Menschen kennengelernt, der kulturell interessiert ist und sich engagiert. Die Unterstützung hilft uns, die Rechte an unseren Aufnahmen zu behalten und so unabhängiger zu sein.
Sie wirken abgeklärt. War das schon vor dem ESC so?
Anna: Ich wusste schon vorher ziemlich klar, was ich will und was ich kann. Ich glaube an mich, bin aber bodenständig. Ich setze im Moment ganz auf die Karte Musik, aber ich bin nicht bereit, um jeden Preis den Erfolg zu suchen. Blauäugig waren wir nie, wir sind Realisten. Als wir vor einem Jahr nach Kreuzlingen fuhren, dachten wir nicht im entferntesten, wie das wäre, wenn wir gewinnen würden.Georg: Wir dachten: Geil, dass wir mal in einer solchen TV-Show sein können.Manuel: Und fragten uns, ob wir vielleicht nicht am falschen Ort seien. Ich fand: «Shit, was machen wir hier? Wir spielen ja nur! Wir haben gar keine brennenden Fässer im Dekor und auch keine Tänzerinnen!»
Stand die Band in diesem Jahr auch mal vor einer Zerreissprobe?
Manuel: So dramatisch – nein. Aber bevor wir ins Studio gingen, um die Platte aufzunehmen, mussten wir uns ständig rechtfertigen. Die Leute befürchteten, wir würden uns verkaufen.Anna: Was eigenartig ist: Wir hatten ja bis dahin nur ein Lied veröffentlicht, uns nicht klar einem Stil verschrieben. Wir machen immer noch Pop, aber das ist ein weitläufiger Begriff.
Das ESC-Lied «In Love For A While» sucht man vergebens auf dem Album. Das überrascht.
Georg: Wir haben es uns lange überlegt – und uns dann dagegen entschieden. «In Love For A While» ist schon ein Jahr alt. Wir wollten, dass die CD aus einem Guss ist, einheitlich klingt.
Sind Sie des ESC-Lieds überdrüssig?
Anna: Nein, überhaupt nicht. Es macht noch immer Spass, den Song live zu spielen. Aber wir möchten 12 brandneue Songs bieten und klarmachen: Jetzt fängt eine neue Reise an.
Auch, weil Sie jetzt von David zu Goliath gewechselt haben, von David Klein zu Fred Herrmann?
Anna: David Klein hatte die Idee, beim ESC anzutreten und hat dafür einen guten Song komponiert. Er ist ein sehr talentierter Musiker und wir hatten eine gute Zeit. Aber für uns war bald klar, dass die Zusammenarbeit mit dieser Single abgeschlossen war.
Warum?
Anna: Dazu möchte ich mich nicht äussern, das Thema ist für uns erledigt. Für uns stand schon in Düsseldorf fest, dass wir unser Album mit Fred Herrmann produzieren wollten.
Herrmann betreibt das Hitmill Studio. Die Mühle schwingt da im Namen mit. Mussten Sie sich vor der Vereinnahmung schützen?
Manuel: Nein. Man wollte uns nie etwas aufzwingen, sondern suchte gemeinsam mit uns Ideen, wie das Album klingen könnte. Wir machten keine Eingeständnisse und hatten in allen Belangen das letzte Wort. Auch bei der Songauswahl.Anna: Die grosse Gabe der Leute bei Hitmill ist, sich auf die jeweiligen Künstler einzulassen. Bligg oder Stress klingen ja ganz anders.
Wenn Sie so grosse Freiheiten hatten: Weshalb stammen dann nur vier Songs aus Ihrer Feder?
Georg: Wir hörten uns zahlreiche Songs an – eigene, aber auch Angebote von Verlagen und Songwritern. Dann wählten wir 15 Lieder aus, darunter sechs eigene, die wir aufgenommen haben. Vier sind jetzt auf dem Album.
Anna: Wir hätten gerne mehr eigene Lieder geschrieben, aber bis Juni waren wir völlig absorbiert. Uns fehlte einfach die Zeit. Man kann nicht auf Knopfdruck kreativ sein.
Sie wollten nicht länger warten?
Anna: Düsseldorf ist mehr als ein halbes Jahr her. Auch die Fremdkompositionen brauchten Zeit, wir wollten sie teilweise neu arrangieren und auf uns zuschneiden. Wenn ich einen Song höre, der mir enorm gefällt, dann will ich den singen. Es ging mir bei einigen Liedern so, dass ich mich sofort in sie verliebt habe.
Wurden Sie eigentlich angefragt, ob Sie Mundart singen würden?
Anna: Nein, das könnte ich mir aber auch nicht vorstellen. Hochdeutsch vielleicht schon. Aber Mundart: Nein. Ich bin nicht Freund davon, mehrere Sprachen auf einem Album zu versammeln.
Sagen Sie das Stephan Eicher.
Anna: Er ist eine Ausnahme. Aber ich kann mir das nicht vorstellen. Ich habe schon als Kind englisch gesungen.
Apropos Englisch: England belohnte Sie am ESC mit zehn Punkten. Möchten Sie das Marktpotenzial dort ausloten?
Georg: Eigentlich schon. Aber zuerst wollen wir in der Schweiz Fuss fassen.
Manuel: Wir spielen daher auch bewusst in kleineren Sälen.
Anna: Und wenn der Vorverkauf gut läuft, wechseln wir in grössere Säle. Wir sind offen für verschiedene Auftrittsmöglichkeiten, auch im privaten Bereich.
Wo ziehen Sie eine Grenze?
Anna: Bei einer Partei-Veranstaltung würden wir nicht auftreten.
Manuel: Beim Militär auch nicht.Georg: Für Sachen, bei denen es ein starkes Contra gibt, lassen wir uns nicht einspannen.
Man könnte Ihnen Profillosigkeit vorwerfen.
Anna: Nein. Ich bin Musikerin und möchte danach beurteilt werden. Wir erhalten zum Beispiel unzählige Anfragen für Kochsendungen. Was sollen wir da? Da möchte ich doch Köche sehen und nicht mich, die ein Gericht versalzt!
Was war die grösste Herausforderung bei der Plattenproduktion?
Georg: Die Leichtigkeit beizubehalten. Ich glaube, gerade ein Instrument wie das Vibrafon trägt dazu bei, dass uns das gelungen ist.
Anna: Kürzlich, als ich zur Post ging, sprach mich eine Frau an und sagte mir, dass sie diese Leichtigkeit, diese Fröhlichkeit in unserer Musik so möge. Das finde ich wunderbar, wenn wir dazu beitragen, dass die Leute ihre Alltagssorgen vergessen können.
Da schwingt aber auch Oberflächlichkeit mit.
Georg: Das ist ein Klischee. Man muss ja nicht zwingend dramatische Musik machen, um tiefgründig zu sein.
Sie wurden nicht für den Basler Pop-Preis nominiert. Frustriert?
Manuel: Nein, wir hatten ja bisher noch kein Album draussen. Was mich eher irritiert hat, ist, dass immer etwa dieselben Bands nominiert sind und andere nicht berücksichtigt werden – Schwellheim etwa finde ich sehr toll.Anna: Ich habe mich jedenfalls für Anna Aaron gefreut, die den Preis im dritten Anlauf bekommen hat – und auch verdient hat.
Georg: Aber 2012 würden wir uns über eine Nomination freuen (lacht).
Zuvor kommen im März noch die Swiss Music Awards …
Anna: Aber da zählen ja die Verkäufe des Jahres 2011, das dürfte wohl nicht mehr für eine Nomination reichen.
Sollte es doch klappen, ist die Situation unangenehm: Oliver Rosa, Ihr Manager, ist auch Organisator dieses Anlasses. Sollten Sie einen Preis gewinnen, wird Ihnen das zum Vorwurf gemacht.Manuel: Zunächst ein naheliegender Gedanke. Aber es gibt ein Reglement. Und wenn wir gemäss diesem nominiert würden, sehe ich da kein Problem.
Anna: Wir nehmen es wies kommt. Alles andere wird sich zeigen.
Anna Rossinelli: «Bon Voyage», Universal. Erscheint am 9.12.
Live: Volkshaus, Basel. 17.3.2012
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 02/12/11