Gerda Steiner und Jörg Lenzlinger haben im Kunstmuseum Chur einen «Nationalpark» en miniature eingerichtet. Ein Gespräch mit dem Künstlerduo über ihr Verhältnis zur Natur und zum Baselbiet, in dem es wohnt.
In ihren Installationen wuchert es wild und fantasievoll. Eine Kunsthistorikerin schrieb einmal, dass Gerda Steiner und Jörg Lenzlinger wie Gärtner agierten. Die aktuelle Ausstellung des in Langenbruck wohnhaften Künstlerduos im Kunstmuseum Chur unterstützt diese These: Dort haben die beiden einen verwunschenen Garten eingerichtet. Im Gespräch erläutern sie ihr Verhältnis zur Natur.
Sie wechseln im Kunstmuseum Chur raffiniert zwischen Künstlichem und Natürlichem, Plastikblumen stehen neben echten Grünpflanzen. Ist das, grob gesagt, Ihr grosses Thema?
Gerda Steiner: Unser Thema ist eigentlich die Auflösung dieser Polarität. Wir unterscheiden nicht mehr, ob etwas künstlich oder natürlich ist.
Jörg Lenzlinger: Je länger wir mit diesem Thema arbeiten, desto weniger Sinn macht diese Trennung. Gerade auch in Chur: Wenn man Nationalpark als etwas versteht, wo der Mensch ausgeschlossen ist und das als Natur bezeichnet, wird es bald mal etwas seltsam. Als der Nationalpark gegründet wurde, war das Gebiet schon längst stark genutzt, die Steinböcke ausgerottet und ein grosser Teil des Waldes abgeholzt. Man dachte, die Urwildnis würde sich zurückentwickeln, wenn man sie in Ruhe liesse. So kam es aber nicht, und der Mensch musste immer wieder eingreifen.
Steiner: Der Mensch hat auch zur Artenvielfalt beigetragen.
Mir scheint, dass in vielen Ihrer Arbeiten das Thema Tod, ein Memento Mori, anklingt. Alles transformiert sich…
Steiner: Stimmt, das Lebendige wächst, zerfällt und entsteht wieder. All das hängt untrennbar miteinander zusammen.
Lenzlinger: Es geht um das Akzeptieren des Zerfalls. Alles ist so getrimmt, dass es ewig blühe. Manchmal sind Blumen in einem Gartencenter ebenso künstlich wie Kunstpflanzen.
Steiner: Das Künstliche und natürlich Gewachsene kommen wieder zusammen und sind letztlich nicht mehr unterscheidbar. Wir sind in unsern Anfängen – das ist richtig beobachtet – vom Gegensatz künstlich-natürlich ausgegangen. Doch sind wir damals schnell zum Punkt gekommen, dass nicht die Unterscheidung, sondern die Verbindungen interessant sind.
«Manchmal sind Blumen in einem Gartencenter ebenso künstlich wie Kunstpflanzen.»
Lenzlinger: Das Wort Natur wollen wir möglichst nicht mehr gebrauchen. Es ist extrem vereinnahmt und bedeutungslos geworden. Keine Werbung, die nicht betont, wie natürlich ihr Produkt sei. Das Auto wird in schöner Landschaft gezeigt, und von Naturschützern wird der Begriff nicht selten militant im Munde geführt
Steiner: Von Natur zu reden, tönt abstrakt. Wenn ich hingegen sage, ich gehe in den Wald, habe ich eine spezifische Vorstellung.
Lenzlinger: Der Begriff wurde erst zur Zeit der Industrialisierung zum Sehnsuchtsort. Sogenannte Naturvölker haben kein Wort dafür, «es» ist einfach.
Im Parterre des Churer Naturmuseums haben Sie eine quasi klassische Ausstellung eingerichtet: Vitrinen und Tische mit Objekten, mit einer unglaublichen Fülle an eigenen «objets trouvés». Sind Sie eigentlich permanent am Sammeln?
Steiner: Wir haben noch viel mehr davon! (lacht) Wir sind eigentlich keine Sammlernaturen. Heute sammeln wir praktisch nicht mehr.
Lenzlinger: Die Objekte finden uns. Wir versuchen im Moment eher, mit dem zu arbeiten, was wir haben. Früher war es oft so, dass wir an Orte gegangen sind, ohne etwas mitzunehmen. Die Installationen sind vor Ort entstanden, mit Objekten, die wir dort vorgefunden haben. Ein Teil davon ist uns geblieben, und so hat sich mit der Zeit einiges akkumuliert.
Steiner: Viele dieser Objekte sind Abfälle, die anderen gar nicht auffallen würden. Für uns aber sind sie wichtig, weil wir sie mit einer besonderen Geschichte verbinden. Und die geht weiter und reichert sich an, wenn wir die Objekte später in anderen Ausstellungskontexten wieder verwenden.
Das erinnert mich an Ihre aus Kunstdünger kristallisierten Objekte, die Sie nach einer Ausstellung jeweils auflösen und bei einer nächsten wieder brauchen. Diese Lösungen tragen bereits Informationen in sich und beeinflussen entsprechend das Wachstum.
Steiner: Genau das inspiriert uns auch. Die Geschichten gehen immer weiter.
Lenzlinger: Toll war es, in Chur die Vitrinen zur Verfügung zu haben. Nur besonders kostbare Dinge kommen da rein. Bei uns lagen Objekte von grossem materiellen Wert neben Wertlosem, das jemand auf dem Boden glatt übersehen würde. Für uns aber ist das kostbar. Dieses Spiel mit den Werten gefällt uns.
«Die Menge an Objekten und Details – das ist nichts anderes als die Grosszügigkeit des Lebens.»
Sie haben in Chur einen Nationalpark en miniature geschaffen, mit Hunderten von Details. Wie bekommt man eine solche Fülle zusammen? Oder anders gefragt: wie entsteht ein solches Projekt?
Steiner: Die Menge an Objekten und Details – das ist nichts anderes als die Grosszügigkeit des Lebens. Die geben wir weiter. Wir erwarten auch nicht, dass die Leute alles sehen. Es gibt endlos viele Möglichkeiten, das ist das Schöne. Natürlich musst du bereit sein hinzuschauen. Du musst den Kopf heben oder auf die Knie gehen, um etwas zu entdecken.
Lenzlinger: Wir planen eine Ausstellung nicht im Detail. Wir wissen, wir wollen eine Grotte haben; die Ausarbeitung aber geschieht vor Ort.
Sie sind weltweit mit Ausstellungen präsent. Im letzten Jahr waren Sie in Japan, in Mito, eingeladen. Unter anderem haben Sie da 800 Tränen gesammelt, die nun in kristallisierter Form fotografiert in einem Buch vorliegen.
Steiner: Ein Jahr nach Fukushima wollten wir mit Tränen arbeiten, das war ein Teil des Gesamtprojekts. Mito ist ein Gebiet mit erhöhter Radioaktivität, und die Katastrophe ist bei den Leuten noch sehr präsent. Wir haben die Leute gefragt, ob sie eine Träne spenden würden, und waren erstaunt, wie tränenfreudig die Japaner waren. Das wird ihnen von aussen eher abgesprochen.
Lenzlinger: Jede Träne ist verschieden, und auch unsere eigenen sind nicht gleich. Man spricht ja auch von bitteren und von süssen Tränen.
Sie sind ein Künstlerpaar, leben und arbeiten zusammen. Wer macht was?
Steiner: Wir machen beide alles.
Lenzlinger: Man hat mehr Ideen zu zweit. Klar haben wir auch unsere Spezialgebiete. Doch was Planung, Organisation und Ausführung betrifft, können wir die Aufgaben nicht auseinanderhalten.
«Es ging ums Geld und ums Prinzip, dass man für Kunst kein Geld ausgibt.»
Sie haben 2012 den Baselbieter Kulturpreis bekommen. Hat Ihnen das nochmals Türen geöffnet?
Lenzlinger: Eine direkte Reaktion gab es nicht darauf. Sicher aber sind Leute auf uns aufmerksam geworden. Es war eine schöne Überraschung für uns. Wir leben ja noch nicht so lange in Baselland, jetzt sind es dreieinhalb Jahre. Basel war immer wichtig für uns, vor allem Gerda lebte lange in der Stadt Basel.
Und jetzt leben Sie auf dem Land, weit weg vom städtischen Kulturleben, in Langenbruck?
Steiner: Uns gefällt es hier. Es ist ein Ort mit viel Platz und Ruhe.
Sie planten ein Strassenprojekt im Dorf. Die Idee war, den Belag der Dorfgasse zusammen mit den Langenbrucknern zu bemalen. Die Gemeindeversammlung hatte letztes Jahr dafür gestimmt. Dann aber gab es ein Referendum und die Mehrheit lehnte die Kunstaktion ab. Haben Sie damit gerechnet?
Lenzlinger: Der Gemeindepräsident ist ein Kulturmensch, der sich sehr fürs Projekt eingesetzt hat. Er präsentierte es so gut, dass man an der Gemeindeversammlung fast ein schlechtes Gewissen haben musste, Nein zu stimmen. In der anonymen Volksabstimmung sah das Resultat dann anders aus. Es ging ums Geld und ums Prinzip, dass man für Kunst kein Geld ausgibt. Langenbruck ist keine reiche Gemeinde, sie erhält Geld aus dem Zahlungsausgleich.
Steiner: Wir haben die Ablehnung überhaupt nicht persönlich genommen. Auch wenn wir denken, dass es sicher lustig geworden wäre.
- Die Ausstellung «Nationalpark» im Kunstmuseum Chur dauert noch bis 21. Dezember.