Jean-Marc Gaillard ist der Restaurator im Museum Tinguely. Im Interview sagt er, warum experimentieren Pflicht ist und warum er gegenüber dem neuen Direktor misstrauisch war.
Jean-Marc Gaillard ist ein vielbeschäftigter Mann. Just zum Zeitpunkt des Interview-Termins mit dem Restaurator und Konservator im Museum Tinguely reisst in der Grossskulptur «Fatamorgana» ein mächtiger Keilriemen aus Leder. Und nach dem Interview wechselt er an einer Tinguely-Lampe im Museumsrestaurant noch rasch eine Glühbirne aus. So sieht der Arbeitsalltag des 48-jährigen gelernten Schlossers und Kunstschmieds aus, der schon seit über zehn Jahren den diffizilen Maschinenpark von Jean Tinguely pflegt – zuerst als Freelancer, seit drei Jahren als festangestellter Nachfolger des Restauratoren-Urgesteins Seppi Imhof (siehe unser Interview: Tinguelys Mann fürs Grobe). Wie Imhof hat auch Gaillard noch als Assistent mit Jean Tinguely zusammengearbeitet, in verschiedenen Einsätzen von 1988 bis zum Tod des Künstlers 1991. Zuvor war er unter anderem mehrere Jahre lang Assistent des Emmentaler Künstlers Franz Eggenschwilers. Gaillard ist auch selber künstlerisch tätig, wovon unter anderem das «Gummiboot» aus Stahl zeugt, das auf dem Rasen vor dem Museumseingang gestrandet zu sein scheint.
Sie sind gerade an einen Defekt herangelaufen. Was genau ist passiert?
Jean-Marc Gaillard: Ich sah, dass an der «Fatamorgana» ein Keilriemen angerissen war, habe ein bisschen daran gezogen, worauf der Lederriemen gleich ganz riss. Das Leder ist nun etwa fünfzig Jahre alt und entsprechend trocken und spröde. Früher oder später musste der Riemen reissen.
Passiert das oft, dass Sie per Zufall an einen Defekt herangelangen?
Dass ich just vor Ort bin, nicht unbedingt. Aber Defekte gehören zum Alltag im Museum; ich werde oft angerufen, dass hier oder dort etwas nicht funktioniert, ich habe täglich meine Patienten.
Was passiert nun? Müssen Sie sich mit der Museumsdirektion in Verbindung setzen oder entscheiden Sie selber, was jetzt zu tun ist?
Das ist ganz mein Ding. Bei diesem Riemen ist eine der Verzahnungen ausgerissen, ich schaue im Keller nach, ob ich noch so alte Verzahnungen finde und repariere ihn. Allzu lange wird man diesen Riemen aber nicht mehr brauchen können, er gleicht jetzt schon einem uralten Veloschlauch, der von Flicken übersäht ist.
Wie lange schon sind Sie als Restaurator im Museum Tinguely tätig?
Zehn Jahre als Freelancer, quasi als Schatten von Sepp Imhof, weil er nicht mehr alles machen konnte, seit drei Jahren nun als fest Angestellter. Früher haben wir praktisch alles selber gemacht, der Leiter Reinhard Bek, Seppi und ich. Externe gab es keine oder fast keine. Von jeder Schraube bis zum Aufräumen wurde alles intern erledigt, das war zuviel. Das ist jetzt besser, jetzt haben wir auch externe Mitarbeiter, wenn wir sie brauchen.
Der Aufbau von «Tinguely@Tinguely» war sicher eine Riesenarbeit.
Oh ja. Es ist die grösste Tinguely-Ausstellung seit der Eröffnung des Museums. Und es ist die erste wirkliche Tinguely-Ausstellung unter dem neuen Direktor Roland Wetzel, der ja kein Tinguely-Spezialist war, als er die Leitung des Museums übernahm.
Wie war die Zusammenarbeit mit ihm?
Er sagte, was er möchte, und wir haben es umgesetzt. Ich arbeite gerne mit Roland Wetzel zusammen, auch wenn es etwas Neues ist. Wir alle kannten Jeannot noch persönlich, mit Wetzel kam nun aber jemand von aussen, der Tinguely nicht mehr kannte. Ich war anfangs misstrauisch, aber ich sehe, dass er einen sehr guten Job macht und wir zusammen funktionieren können: Er ist der Kopf, ich bin die Hände, und es klappt.
Was war das Besondere am Aufbau dieser Ausstellung?
Es war eigentlich ein Wahnsinn. Letztendlich hatten wir ganze zweieinhalb Wochen Zeit, um das alles zustande zu bringen. Alleine, um die «Méta-Maxi-Maxi-Utopia» zum Laufen zu bringen, benötigen wir um Normalfall 14 Tage – wir machten es in 4. Das war am Limit, eigentlich zu viel. Aber die Leute waren so gut aufeinander abgestimmt, passten so gut zusammen, dass es klappte.
Wieviele Leute waren beteiligt?
Wir waren neun Spezialisten aus verschiedenen Gebieten: Paul Walder zum Beispiel, der sich normalerweise um den Tinguely-Brunnen kümmert, Seppi natürlich, bis hin zu Künstlern wie Daniel Reichmuth.
Wie schaffen Sie es eigentlich, ein so riesiges und vielteiliges Werk wie die «Grosse Méta-Maxi-Maxi-Utopia» wieder richtig zusammenzusetzen? Genaue Konstruktionspläne gibt es ja nicht.
Wir hatten Fotos und wir waren, wie gesagt, ein ideales Team. In diesem Fall haben wir die Umrisse auf dem Boden markiert, denn ein nachträgliches Verschieben wäre nicht möglich gewesen. Es ist letztlich einfach eine Arbeit, die erledigt werden muss, zwar viel Arbeit, aber keine Hexerei. Es ist ein bisschen so wie früher, wenn wir ein Töffli auseinandernahmen und wieder zusammensetzten. Nur dass wir in diesem Fall beim Zusammensetzen keine überzähligen Schrauben haben dürfen.
Erlebt man beim Auseinandernehmen eines solch grossen Werkes Überraschungen?
Oh ja. Aber darüber darf ich eigentlich gar nichts sagen, wenn wir bedenken, dass in den letzten Jahren Tausende von Kinder auf dem Werk herumgeklettert sind. Da fällt mir ein Zwischenfall im Zusammenhang mit dem «Luminator» ein. Als wir den hier im Museum aufgehängt hatten, ging ich mit dem damaligen Direktor Guido Magnaguagno weg. Wir diskutierten noch darüber, ob alles hält, als nur wenig entfernt hinter uns ein grosses Teil abbrach und mit einem mächtigen Scheppern hinunterfiel. Wir hatten grosses Glück.
Sie selber sind ja ebenfalls auch als Künstler tätigt. Ist dies von Nutzen bei der Arbeit mit einem trotz seiner Grösse letztlich fragilen und schwer fassbaren Werk?
Wahrscheinlich schon. Wir machen Sachen, die man landläufig als wahnsinnig bezeichnen würde. Es braucht jemanden wie Roland Wetzel, der sagt, was er gerne haben möchte und uns auch herausfordert. Das bedingt aber Leute, die solche Herausforderungen annehmen. Ein normaler Mechaniker würde vielleicht sagen, jetzt ist Feierabend, Schluss. Aber wir können nicht aufhören, wenn wir, sei es auch noch so spät, zum springenden Punkt beim Aufbau kommen. Wir müssen gewisse Sachen zusammenfügen, bei denen wir keine Masse, vielleicht nicht einmal genaue Fotografien haben. In diesen Situationen muss man nach Gespür vorgehen. Und das braucht seine Zeit. Man muss ausprobieren und ausprobieren, bis es läuft. So etwas dauert dann halt oft bis in den späten Abend.
Ist es da von Vorteil, wenn man wie Sie noch mit Jean Tinguely zusammengearbeitet hat. Mussten Sie damals auch so vorgehen?
Tinguely wusste genau, was er wollte, auch wenn es von aussen her gesehen nicht immer ganz so offensichtlich war. Da wurde nicht irgend etwas zusammengeklebt, das hatte nichts mit Bastelei zu tun. Da war viel Erfahrung im Spiel, was funktioniert und was nicht, und ein sicheres Gefühl dafür, etwas zu positionieren.
Wie funktionierte die Zusammenarbeit zwischen dem Schöpfer der Werke und Ihnen als sein Assistent?
Jeannot hielt die Einzelteile so hin, wie er sie positioniert haben wollte, und wir haben sie, vereinfacht gesagt, angeschweisst. Und er war ziemlich ungeduldig dabei, es musste schnell gehen.
Hörte Tinguely auf Sie, konnten Sie ihm Alternativvorschläge unterbreiten?
Nicht wirklich. Ich eckte mehrere Male bei ihm an, als ich ihm vorschlug, etwas auf eine andere Art zu lösen. Das passte ihm nicht. Das klingt nach einer klaren Rollenteilung zwischen dem Meister und den Assistenten. Ganz klar. Wir waren auch nie dabei, als es ums Geld ging oder wenn er ganz wichtige Leute traf. Da hatte das lockere freundschaftliche Verhältnis seine Grenzen. Wir waren die Ausführenden. Natürlich mussten und müssen wir, um das Überleben der Werke zu garantieren, da und dort nach neuen technischen Lösungen suchen. Um die Maschinen über Jahre am Leben zu erhalten, muss man gewisse Eingriffe vornehmen. Tinguelys Werke sind ja eigentlich so konstruiert, dass sie irgendeinmal kaputtgehen. Und unsere Aufgabe war es damals und ist es nun auch heute noch, diese zu erhalten. Das ist nicht immer ganz unproblematisch. Aber dennoch bereitet es Freude, die Maschinen am Laufen zu erhalten oder sie wieder zum Laufen zu kriegen.
Wie gehen Sie da vor?
Ich orientiere mich eigentlich vor allem nach den Geräuschen, weniger nach den visuellen Eindruck der mechanischen Bewegungen.
Sie hören es also, wenn etwas nicht stimmt?
Ich kann fast mit Sicherheit sagen, dass etwas, das am Montag so und so klingt, am Mittwoch «verreckt».
Das klingt nach einem wahrhaft innigen Verhältnis zu Tinguelys Werk.
Ich weiss selber nicht genau, was es ist. Ich glaube, ich begreife Tinguelys Arbeitsstil, ich weiss, wie er funktionierte, manchmal entgegen jeglicher Vernunft. Ich glaube, dass ich dadurch ein besonderes Händchen dafür habe, seine Werke zu erhalten. Ich fühle mich den Werken verbunden. Ich habe Mühe, wenn ich in einem anderen Museum einem «Tinguely» begegne, der nicht uns gehört, und ihn nicht anfassen kann. Dann bin ich wie ein Kind im Spielzeuggeschäft. Meistens bringe ich die Verantwortlichen dann aber doch dazu, dass ich den Deckel abschrauben kann, um hineinzublicken. Und ich entdecke Details, von denen andere vielleicht nichts wissen.
Werten Sie dieses besondere Wissen aus?
Ich mache Fotografien, im Moment noch nur für mich, aber schon auch mit dem Hintergedanken, diese Erkenntnisse einmal weiter zu verbreiten. Aber ich bin nicht der schreibende Mensch, ich bin der Macher. Mit dem Tinguely-Spezialisten Dominik Müller habe ich nun ein Gegenüber gefunden, der gut schreiben kann.
Ist das Restaurieren von Tinguelys Kunst eine spezielle Disziplin? Es ist doch sicherlich anders als das Konservieren und Restaurieren von unbeweglichen Stein- oder Bronzeplastiken.
Ganz sicher. Eigentlich gleicht unsere Arbeit der des Uhrenmachers, nur dass der nicht immer wieder so basteln und «murksen» muss wie wir. Wir hatten beim Aufbau übrigens einen gelernten Uhrenmacher mit dabei. Der aber hatte wiederum seine Probleme mit der Schwermechanik, die letztlich so unexakt ist.
Eigentlich widerspricht Ihre Tätigkeit, wie sie bereits erwähnt haben, Tinguelys Devise, dass seine Werke nicht für die Ewigkeit gedacht waren, sie sich abnützen und wieder auf dem Misthaufen landen, woher sie stammten.
Tinguely hat am Ende seines Leben durchaus auch die Meinung vertreten, dass seine Werke erhalten werden sollten.
Aber es gibt doch sicher auch Grenzen. Wenn Sie in einer Lampe eine Glühbirne auswechseln müssen, ist das wohl kein Problem…
… solange man noch Glühbirnen bekommt. Die guten alten Glühbirnen gibt es ja nicht mehr. Wir haben aber vorgesorgt und rechtzeitig für Unsummen von Geld noch aufgekauft, was zu bekommen war. Wir sind wohl eines der letzten Grosslager für alte Glühbirnen und werden nicht selten Leuten angefragt, die es verpasst haben, sich rechtzeitig einzudecken,
Aber wenn Ihr Lager aufgebraucht sein wird, werden Sie da extra Glühbirnen herstellen müssen?
Es gibt Leute, die Glühbirnen reparieren. Mittlerweile gibt es aber LED-Lampen, die gleich oder fast gleich aussehen wie Glühbirnen. Ich habe diese zum Beispiel im «Grossen Luminator» einsetzen können, als ich ihn vor einem Jahr im Flughafen aufbaute. Positiver Nebeneffekt ist, dass wir damit von 15 Kilowatt auf 770 Watt runterkamen. Man benötigt also kein Kleinkraftwerk mehr und sieht beinahe keinen Unterschied. Auch diese hier oben (zeigt auf eine der Lampen im Museumsrestaurant) sind alles LED-Birnen.
Aber wo sind die Grenzen der Interventionen?
Dort, wo man das Aussehen und die Funktion verändert. Wir versuchen zum Beispiel Motoren, die durchgebrannt sind, zu reparieren. Die Motoren sieht man ja. Wir ersetzen nur Teile, die man nicht sieht. Zum Beispiel die Kugellager in der Brunnenskulptur draussen. Die gehen ständig kaputt. Ich stelle jetzt Versuche mit Gleitlagern an.
Die konservatorische Betreuung der Tinguely-Werke scheint sehr viel Experimentierfreude vorauszusetzen?
Man muss viel ausprobieren und beobachten. Wenn zwei Eisenstäbe aufeinander reiben, nützen sie sich ab. Ich versuche nun herauszufinden, wie lange es dauert, bis einer durchgerieben ist und vor allem, wie man diesen Prozess aufhalten kann. Die Teile ausgiebig zu fetten, ist nicht die richtige Lösung, denn die Geräusche, die durch die Reibung entstehen, sind ja Teil des Werkes.
Was machen Sie, wenn zum Beispiel bei einer Skulptur wie der «Méta Maxi-Maxi-Utopia» ein grosses Holzrad in Brüche geht? Ersetzen Sie es?
Wir versuchen es so oft wie möglich zu reparieren. Ersetzen können wir die Räder – eigentlich sind es ja Gussformen – nicht, weil es sich um Einzelstücke handelt. Die findet man heute nicht mehr. Aber zum Glück gehen die nicht so rasch kaputt.
Das Museum Tinguely hat bestimmt die grösste Erfahrung im Konservieren und Restaurieren von Tinguely-Skulpturen. Gibt es ein Handbuch für den Unterhalt dieser speziellen Werke?
Ein eigentliches Handbuch gibt es nicht, zumindest noch nicht. Aber natürlich haben wir alle unserer Arbeiten genau dokumentiert. Und es besteht sicher das Interesse daran, eine Art Richtschnur für den konservatorischen Umgang mit Tinguelys Werk zu schaffen. Es wäre schön, wenn wir so etwas realisieren könnten. Wir bekommen ja viele Anfragen, etwa von Auktionshäusern, die zwei Tage vor einer Versteigerung fragen, ob sie ein angebotenes Tinguely-Objekt in Gang setzen könnten. Ein funktionierendes Objekt ist natürlich viel mehr wert als ein stillstehendes. Aber aus der Ferne kann ich das natürlich nicht beurteilen. Aber man könnte zum Beispiel Empfehlungen herausgeben, wie lange und wie oft pro Tag ein Objekt in Betrieb sein darf.
Gibt es da einheitliche Regeln?
Ganz einheitliche natürlich nicht. Aber wir haben hier im Museum eine genaue Zeitsteuerung: Wir wissen genau, wie lange und wie oft ein Objekt in Betrieb ist. Ich kann also zum Beispiel nachschauen, wie lange eine Maschine im Betrieb ist, wie viele Einschaltfrequenzen zu wieviel Sekunden sie hinter sich hat, bis es im schlechten Fall zu einem Defekt kommt. So können wir auch Regeln aufstellen, wie oft und für wie lange Sequenzen ein Objekt in Betrieb sein darf, ohne dass es zu Schaden kommt. Das Werk «La Chant du Cygne du Bambou» zum Beispiel lassen wir nur noch 12 Sekunden laufen mit einer Pause von jeweils 15 Minuten. Das ist sicher nicht mehr im Sinne von Jeannot, der seine Werke solange laufen liess, bis nichts mehr ging. Das können wir uns aber angesichts des Werts und der Unwiederbringlichkeit der Werke natürlich nicht mehr leisten. Wir gehen langsam soweit, dass wir Teile von Werken, die sehr unter der Bewegung leiden, durch Kopien ersetzen, um so das Originalteil zu schützen. Für die Besucher spielt das eine untergeordnete Rolle. Ich könnte mir auch vorstellen, von gewissen Werken Kopien zu bauen. Etwa von der tragbaren Zeichenmaschine, damit man die wieder im ursprünglichen Sinne in Betrieb nehmen könnte.
So wie die Zeichenmaschine unten beim Eingang mit dem Münzautomat?
Das ist bereits eine Kopie von der «Méta Matic No. 10». Sie wurde noch von Tinguely selbst zusammen mit Seppi Imhof geschaffen. Sie hat aber so wenig Ähnlichkeit mit dem Original, dass sie eigentlich schon wieder ein Original ist. Diese Maschine wird heute täglich von Dutzenden von Menschen befingert, was einem auch ein bisschen wehtun kann.
Mit den Kopien sprechen Sie ein kunsthistorisch heikles Gebiet an.
In einem gewissen Sinne sicher. Wenn man das Werk aber klar als Kopie deklariert und es von den Erben abgesegnet ist, dann könnte man durchaus einen Nutzen daraus ziehen. Zum Beispiel wenn wir an der Museumsnacht mit der tragbaren Zeichenmaschine durch die Besuchermassen gehen könnten, um ihnen so ein Stück Tinguely-Spirit zu demonstrieren, den sie sonst nicht erleben könnten. Aber ich stosse mit dieser Idee bei Direktion noch auf viel Skepsis.
Wir haben eingangs vom gerissenen Leder-Keilriemen gesprochen. Das ist ja wohl ein Stück, das es nicht ab Stange zu kaufen gibt. Wie kommen Sie zu einem Ersatz, wenn dereinst eine Reparatur nicht mehr möglich sein sollte?
Wir müssten einen Sattler suchen, der einen herstellt, was auch nicht einfach sein dürfte. Oder ich finde irgendwo ein solches Stück auf einem Flohmarkt, bei einem Trödler oder auf einer Deponie von hier bis Rom oder sonst irgendwo. Ich schaue mich, wo immer ich bin, nach möglichen Ersatzteilen um. Ich gucke auch auf Ebay nach. Ich kenne die Werke und weiss genau, was man eventuell brauchen könnte – von der Schraube über Motoren und Accessoires bis hin zur Bettflasche, die nicht mehr hergestellt wird. Sehen Sie dort die kleine Indianerfigur an der Lampe. Was mache ich, wenn die eines Tages plötzlich nicht mehr da ist – sei es, dass sie abfällt oder jemand sie klaut? Diese Indianerfigur steckt in meinem Hinterkopf, und wenn ich mal eine finden sollte, dann kaufe ich sie, um ein Ersatzteil bereit zu haben. Oder wo findet man heute noch Elektrokabel aus den 1950er-Jahren? Vielleicht in Italien irgendwo im Lager eines Elektrikers. Wenn ich irgendwo eine Rolle finde, dann kaufe ich sie.
Sie kennen offensichtlich keinen Feierabend?
Wenn ich etwas mache, dann mache ich es richtig.
Das war sicher auch so, als Sie noch mit Jean Tinguely zusammenarbeiteten. Wie wurden Sie eigentlich zu seinem Assistenten?
Über Seppi Imhof. Ich bekam einen Anruf, dass Tinguely für Milly-la-Forêt (Anm. der Standort der Grossskulptur «Le Cyclope») jemanden brauche. Ich bin dann sogleich hingefahren – Paris einfach, ein Retourbillett konnte ich mir nicht leisten. Ich kam in Paris an und kein Mensch war da. Ich hatte keine Telefonnummer, keine Adressen nichts und wartete etwa vier Stunden lang, bis endlich Seppi auftauchte. Sie hatten meine Ankunft ganz einfach vergessen. So kam ich doch noch nach Milly-la-Forêt und traf dort den Jeannot, den ich damals lediglich aus dem Fernsehen oder aus der «Schweizer Illustrierte» kannte. Und der begrüsste mich mit: «Super, ich bin der Jeannot, toll dass Du zu uns gekommen bist.» Das war damals das Grösste für mich.
War das Ihr grosser Traum, mit dem etablierten Künster zusammenarbeiten zu können?
Ja. In jungen Jahren bereits bin ich nach meiner Lehre als Schmied mit einer Mappe mit Arbeiten von mir unter dem Arm nach Mötschwil zu Luginbühl gefahren. Aber die waren nicht interessiert. Also fuhren wir am selben Tag noch weiter nach Neyruz, wo Tinguely arbeitete. Dort trafen wir niemanden an. Also ging’s weiter ins Emmental nach Eriswil zu Franz Eggenschwiler. Ich sagte ihm, dass ich mit einem Künstler zusammenarbeiten wolle, worauf er mich nach meinem Sternzeichen fragte. Ich sagte «Fisch», worauf er antwortete: «Di hett dr Herrgott gschickt.» Ich arbeitete insgesamt sechs Jahre mit ihm zusammen. Dort habe ich wie ein Wahnsinniger gearbeitet, und man wurde etwas aufmerksam auf mich.
Sie sind oder waren aber auch selber als Künstler tätig. Wie sehr sind Sie dabei von Tinguelys Werk beeinflusst?
Mir ging es gar nicht so sehr darum, mich über die Zusammenarbeit mit Tinguely als Künstler zu verwirklichen. Ich wollte mit den Künstlern zusammenarbeiten, um herauszufinden, ob ich genügend «spinne», um das ein Leben lang durchzuhalten. Ich wollte etwas über das Leben von Jeannot und Niki de Saint Phalle erfahren, ich habe ihnen Nächte lang fasziniert zugehört. Ich hatte meine persönliche «Heldenliste» mit Menschen, die ich kennenlernen wollte. Tinguely gehörte dazu. Und, nachdem ich das Video zu Herbie Hancocks «Rockit» gesehen hatte, auch Jim Whiting. Ich kam dann bei Klaus Littmanns Club «Bimbo Town» in der damaligen Stückfärberei mit Whiting zusammen. Ich hatte das Glück, mit den Leuten zusammenarbeiten zu können, die ich auf meiner Liste hatte.
Und jetzt sind Sie hier als Restaurator und Konservator mit Herz und Seele, wie es den Eindruck macht.
Es braucht jemand, der ganz praktisch zu Tinguelys Werken schaut. Und das tue ich sehr gerne. Guido Magnaguagno hatte das gut eingefädelt mit dem Zweierteam: mit jemandem, wie Reinhard Bek oder jetzt neu Albrecht Gumlich, der von der wissenschaftlichen Seite herkommt, und jemandem, der nicht Wissenschaftler ist, um eine Balance zu halten. Und es ist natürlich schön, dass Roland Wetzel nun an diesem Prinzip festhält.
Die aktuelle Ausstellung trägt den Untertitel «Ein neuer Blick auf Jean Tinguelys Werk». Ermöglicht sie auch Ihnen, der das Werk sehr gut kennt, einen neuen Blick?
Ja. Ich bin älter und Vater geworden. Auch ich habe einen neuen Zugang zu Tinguely. Je älter ich werde, umso mehr bin ich übrigens vom Frühwerk fasziniert. Die späten Werke sind faszinierend, aber die frühen haben etwas Einzigartiges.