Wie Nestlé Wasser in Gold verwandelt

Der Dokumentarfilm «Bottled Life» zeigt auf, wie der Schweizer ­Lebensmittelkonzern den Wassermarkt beherrscht. Der investigative Journalist Res Gehriger ist dafür um die halbe Welt gereist und hat einige Quellen von Nestlés Wassergeschäft besucht. Ein Gespräch.

Nestlé füllt in Ländern wie Pakistan sauberes Wasser in Flaschen ab. Das hat seinen Preis. (Bild: Doklab)

Der Dokumentarfilm «Bottled Life» zeigt auf, wie der Schweizer ­Lebensmittelkonzern den Wassermarkt beherrscht. Der investigative Journalist Res Gehriger ist dafür um die halbe Welt gereist und hat einige Quellen von Nestlés Wassergeschäft besucht. Ein Gespräch.

Wir wissen, dass Rohstoffe wie Öl oder Gas Gold wert sind. Aber was wissen wir über das Wasser? Nicht so viel wie Peter Brabeck, der Verwaltungsratspräsident von Nestlé. Als CEO des Schweizer Konzerns erkannte er früh, dass Wasser einen Wert hat. Einen Preis auch. Und eine hohe Rendite. Eine Lastwagenladung Wasser kostet Nestlé in den USA zehn Dollar. In Flaschen abgefüllt hat diese Menge im Laden einen Wert von 50 000 Dollar, wie wir im Dokumentarfilm «Bottled Life» erfahren.

Widerstand gegen die «Wasserjäger»

Seit Nestlé vor 20 Jahren den französischen Per­rier-Konzern übernommen hat, ist die Firma weltweit Marktführerin. Heute setzen die Waadtländer mit abgepacktem Wasser jährlich zehn Milliarden Franken um. Tendenz steigend. Doch wem gehört das Wasser?

Dieser Frage wollte der Schweizer Filmregisseur Urs Schnell nachgehen und schickte den investigativen Journalisten Res Gehriger auf die Reise zu den Quellen des Wasser­geschäfts – etwa in den Osten der USA, wo Nestlé in einem Naturschutzgebiet Testbohrungen macht, zum Ärger vieler Anwohner. Diese mobilisieren sich, wehren sich dagegen, dass ein Konzern ihr Quellwasser gratis abpumpt und dann für viel Geld verkauft. Ideologische Unterstützung erhalten sie dabei von Maude Barlow, der ehemaligen Chefberaterin für Wasserfragen der UNO. «Nestlé ist ein Wasserjäger, ein Raubtier auf der Suche nach dem letzten sauberen Wasser dieser Erde», sagt sie angriffig.

Gehriger reist weiter, in Länder wie Nigeria oder Pakistan. Nestlé lässt ihn nicht in die Fabriken rein. Er spricht mit Leuten, die dort leben. Viele Brunnen seien ausgetrocknet, das Grundwasser der Bevölkerung nicht mehr sauber, erfährt er in der Industriestadt Sheikhupura. «Pure Life», das Flaschenwasser von Nestlé, übersteigt die finanziellen Mittel vieler Einwohner. Die Bevölkerung kann nur um Hilfe bitten. Diese bleibt aber aus. Die Regierung kümmert sich zu wenig um die Wasserversorgung.

Wasser hat für Nestlé einen «Marktwert»

Und Nestlé? Die Firma gebe auch keine Unterstützung, klagt ein Einwohner. Während Nestlé in jenen Gemeinden der USA, wo Wasser gepumpt wird, als grosszügiger Sponsor von Dorfvereinen und Schulen auftritt, scheint der philanthropische Einsatz am anderen Ende der Welt begrenzt zu sein.

Was sagt Nestlé zu all dem? Im Abspann wird Peter Brabeck unter den Mitwirkenden aufgeführt, aber unfreiwillig. Er verweigerte den Filmemachern das Gespräch, weshalb sie auf Archivmaterial zurückgriffen und ihn bei Auftritten filmten. Brabeck gibt sich einerseits als Botschafter für Wasser, der auch in Entwicklungsländern helfen will, andererseits als Konzernchef mit Geschäftsideen. Dass Wasser für alle zugänglich sei, kommt für ihn einer «Extremlösung» gleich: Für ihn ist es ein Lebensmittel mit einem Marktwert. Am Ende des Films bleibt der Eindruck: Der Konzernchef predigt Wasser und meint Gold.

Res Gehriger, wenn Sie zum Italiener um die Ecke gehen, bestellen Sie dann zum Wein noch eine Flasche «San Pellegrino», eine Marke aus dem Wassersortiment von Nestlé?

Hat auf verschiedenen Kontinenten recherchiert: Journalist Res Gehriger.

Hat auf verschiedenen Kontinenten recherchiert: Journalist Res Gehriger. (Bild: Doklab)

Nein, ich bestelle eine Karaffe Hahnenwasser. Ich sehe nicht ein, weshalb ich zum Beispiel «Henniez» oder «Perrier» trinken soll, die im Vergleich zum Zürcher Leitungswasser ein Mehrfaches an Nitrat enthalten. Nitrat ist eine Verunreinigung. Ich trinke lieber ein gutes Produkt, das gratis ist, als ein schlechtes, für das ich noch bezahlen muss.

«San Pellegrino», «Henniez», «Perrier»: Boykottieren Sie Nestlé-Produkte?

Ich kaufte schon früher wenig Produkte dieses Konzerns. Nach unseren Recherchen schmecken sie mir auch nicht besser.

Warum?

Ein Beispiel, das im Film keine Verwendung fand: In Texas traf ich Leute, die neben einer Nestlé-Pumpstation leben. Nachdem die Firma begonnen hatte, Wasser abzupumpen, sassen die Nachbarn auf dem Trockenen. Sie prozessierten und verloren. Nestlé pochte auf ein Gesetz, wonach sich der mit der grössten Wasserpumpe unbeschränkt bedienen könne. Vor Gericht sagte der Nestlé-Anwalt: «Wir können mit dem Grundwasser tun, was wir wollen, ohne auf unsere Nachbarn Rücksicht nehmen zu müssen.» Das ist ein eklatanter Widerspruch zu Nestlés «Good Neighbour»-Politik, die die Firma gerne präsentiert.

Peter Brabeck beteuert doch, Nestlé agiere zum Wohl der Menschheit, man wolle die ­Wasserversorgung garantieren. Dagegen ist ja nichts einzuwenden.

Das stimmt. Aber Brabeck trägt zwei verschiedene Hüte: jenen des Verwaltungsratspräsidenten eines Nahrungsmittelkonzerns, des grössten Flaschenwasserverkäufers. Der andere Hut ist jener des gemeinnützigen Wasserbotschafters. Das muss man auseinanderhalten.

Inwiefern?

Nestlé betont gerne die soziale Verantwortung des Unternehmens. Die entspricht in meinen Augen aber nicht einer Firmenphilosophie, sondern ist eher ein Marketinginstrument. Am stärksten fiel mir das in Äthiopien auf. Nestlé hat dort vor einigen Jahren eine Wasserversorgung für ein Flüchtlingslager bereitgestellt. Gute Sache. Bei meiner Recherche fand ich heraus, dass das Geld dafür aus einem Prozess stammt, den Nestlé gegen den Staat Äthiopien geführt und gewonnen hatte. «Nahrungsmulti verklagt Hungerstaat» hiess es 2002 in der Presse. Aus Image­gründen versprach Nestlé darauf, das Geld für wohltätige Zwecke zu spenden. Als ich mir die Pump­anlage dann angeschaut habe, war sie in schlechtem Zustand. Und ich erfuhr vor Ort, dass sich Nestlé stillschweigend aus dem Projekt zurückgezogen hat, schon 2005. Peter Brabeck trat aber noch 2007 vor die Kamera und behauptete, Nestlé ginge es im Flüchtlingslager um ein langfristiges Projekt.

Offenbar entspricht das nicht der Wahrheit. Was Fragen zur Moral aufwirft.

Und solche hätte ich Peter Brabeck gerne gestellt. Aber leider verweigerte er jedes Gespräch.

Warum?

Nestlé behauptet neuerdings, es sei uns bloss darum gegangen, den Konzern zu verunglimpfen. Was nicht stimmt. Wir haben Nestlé sogar nach ­unseren ­Dreh­arbeiten noch einen ganzen Fragen­katalog zugeschickt. Aber Nestlé weigerte sich, die Fragen zu beantworten.

Womöglich fürchtete Nestlé einen angriffigen Stil, so wie ihn der amerikanische Dokumentarfilmer Michael Moore pflegt.

Mag sein. Doch das lag uns fern. Ich bin nicht so witzig und auch nicht so schlagfertig wie er. Wir gingen ohne ideologische Scheuklappen auf Recherche. Es wäre nicht aufschlussreich und interessant gewesen, wenn wir Nestlé zum Vornherein als bösen Multi positioniert hätten. Man kann einem Unternehmen ja nicht vorwerfen, dass es Profit machen will. Wir wollten uns kritisch mit den Argumenten von Nestlé auseinandersetzen, leider wollten sie uns diese aber nicht liefern. Also mussten wir auf bereits existierende Zitate und Aussagen zurückgreifen.

Brabeck verweist darauf, dass die Landwirtschaft ein Vielfaches an Wasser pumpt.

Das stimmt. Global betrachtet ist die Landwirtschaft ein grösseres Problem. Nestlé packt Wasser in Flaschen ab, deshalb trocknet die Welt nicht aus. Aber es kann lokal Einfluss haben auf den Grundwasserspiegel. Uns ist es wichtig, dass man sich überlegt, wie es in jenen Ländern um die öffentliche Wasserversorgung steht, wo Nestlé seine neuen Märkte erschliesst.

Zum Beispiel in Pakistan.

Genau. Gleich neben der Nestlé-Fabrik hat mir dort eine Frau das gelblich gefärbte Wasser gezeigt, das bei ihnen aus dem Handbrunnen kommt. Die Kinder bekommen davon Durchfall. Und auf der anderen Seite des Zauns pumpt Nestlé mit einem Tiefbrunnen sauberes Trinkwasser. Das wird dann als «Pure Life» verkauft. Aber die Frau kann es sich gar nicht leisten.

Sie reisten für Ihre Recherchen um die halbe Welt. Abgesehen von Nestlé spielt die Schweiz keine Rolle. Warum eigentlich nicht?

Mineralquellen haben bei uns Tradition, ihre Nutzung wird nicht gross hinterfragt. Wir entschieden uns in die USA zu reisen, weil dort eine Kontroverse in Gang ist. Nestlé expandiert, pumpt immer mehr Wasser und stösst auf erheblichen Widerstand.

Man könnte Ihnen vorwerfen, dass Sie sich auf Nestlé fixieren. Konzerne wie Coca-Cola, Pepsi oder Danone kämpfen um den gleichen Markt.

Das stimmt. Aber Nestlé ist weltweit die Nummer 1 und hat das Zukunftspotenzial des abgepackten Wassers vor allen anderen erkannt. Zudem gibt es kaum Dokfilme, die sich mit diesem Konzern kritisch auseinandergesetzt haben.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 20/01/12

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