Der Basler Baudirektor über den Ärger über das Verkehrskonzept Innenstadt, Medienkampagnen und über sein Verhältnis zum Auto.
Hans-Peter Wessels scheint nichts aus der Ruhe zu bringen. Auf die wachsende und oftmals direkt auf seine Person zielende Kritik am Verkehrskonzept Innenstadt reagiert der Basler Bau- und Verkehrsdirektor demonstrativ gelassen. Auch darauf, dass sich die Umsetzung des neuen Verkehrsregimes wegen einer Reihe von parlamentarischen Vorstössen um ein paar Monate bis nach den Sommerferien verzögert.
Ohne Verzögerung konnte indes das Interview stattfinden, obschon das gesamte Generalsekretariat wegen einer Schulung verwaist war. So führte der Regierungsrat die Delegation der TagesWoche höchstpersönlich in sein Büro, aus dem freie Sicht auf den schönen autofreien Münsterplatz herrscht.
Herr Wessels, haben Sie noch Freude an Ihrem Amt?
Hans-Peter Wessels: Absolut. Vorsteher des Bau- und Verkehrsdepartements zu sein, ist die dankbarste Aufgabe im Regierungsrat, die ich mir vorstellen kann. Basel ist in einer Phase des Aufbruchs. Die Wirtschaft investiert in neue Gebäude, ganze neue Stadtquartiere wie die Erlenmatt entstehen, und wir realisieren selber zahlreiche Neubauten im öffentlichen Bereich – denken Sie nur an die Schulen und Hochschulen, an die Spitalbauten und die Museen. Unsere Tätigkeitsfelder sind oft sichtbarer als jene anderer Departemente, weil sie die Umgebung der Einwohnerinnen und Einwohner ganz direkt berühren.
Seit einigen Monaten laufen Sie von einem Ärger in den nächsten. Jetzt haben Sie auch noch eine Klage wegen des Parkplatzregimes am Hals – weil in gewissen Quartieren mehr Anwohnerparkkarten verkauft werden, als es Parkplätze gibt.
Diese Parkkarten-Geschichte ist doch arg an den Haaren herbeigezogen. Auch in anderen Städten werden mehr Anwohnerparkkarten verkauft, als es blaue Parkplätze gibt. Dort hat man keinerlei Probleme damit. Wenn nun eine Basler Zeitung dieses Thema so gross aufmacht, dann ist das in erster Linie ein Problem für die Leserschaft, die von ihrer Zeitung nicht ernst genommen wird.
Aber es ist doch auch ein Problem für Leute, die in einem Quartier eine Anwohnerparkkarte gekauft haben und dann keinen freien Platz finden?
Anwohnerparkkarten werden in Basel seit Jahrzehnten verkauft. Neu ist, dass die Zahl der blauen Parkplätze, auf denen man mit diesen Karten unbeschränkt parkieren kann, auf Kosten der weissen Parkplätze erhöht wird. Das Angebot für Kartenbesitzer erhöht sich also deutlich. Wer daraus nun ein Problem konstruiert, verdreht schlicht die Tatsachen.
«Wenn die Tageszeitung von Christoph Blocher alles unternimmt, um mich in einem schlechten Licht erscheinen zu lassen, dann fasse ich dies als grosses Kompliment für meine Politik auf.»
Die wachsende Kritik bezieht sich aber auch auf das Verkehrskonzept Innenstadt. Und sie zielt oft auch ganz direkt auf Ihre Person, auf den «missionarischen Velofahrer» Hans-Peter Wessels. Wie gehen Sie damit um?
Wenn die Tageszeitung von Christoph Blocher alles unternimmt, um mich in einem schlechten Licht erscheinen zu lassen, dann fasse ich dies als grosses Kompliment für meine Politik auf. Ich bin überzeugt, dass viele Menschen diese Kritik genau so einordnen wie ich; in meiner Umgebung kenne ich jedenfalls kaum jemanden, der diesen Kampagnenjournalismus noch erst nimmt.
Sie sind als jemand bekannt, der Kritik oftmals mit einem Lachen quittiert. Sind Sie wirklich so cool, oder ist es auch ein Stück Schauspielerei aus Selbstschutz?
Fundierte Kritik nehme ich selbstverständlich ernst. Ich bin auch offen und dankbar dafür. Und selbstverständlich mache ich Fehler.
Es fällt auf, dass das neue Verkehrskonzept am Anfang, als Sie es zusammen mit Pro Innerstadt zum ersten Mal präsentierten, recht positiv aufgenommen wurde. Die gehäufte Kritik kam erst später. Wie erklären Sie sich diesen Stimmungsumschwung?
Früher wehrten sich Pro Innerstadt und der Gewerbeverband mit Händen und Füssen gegen eine fussgängerfreundliche Innenstadt – mit Erfolg. In der Zwischenzeit setzte sich aber auch in diesen Kreisen die Erkenntnis durch, dass man damit den Geschäften in der Innenstadt Schaden zufügte. Jetzt stehen diese Organisationen grundsätzlich hinter dem Konzept – selbstverständlich nicht ohne Bedenken, was Details in der Umsetzung betrifft. Natürlich gibt es Ängste, wie sich das Konzept in bestimmten Fällen konkret auswirken wird. Diese Ängste muss man, wenn es nicht um künstlich überhöhte Probleme geht, ernst nehmen, man muss ihnen begegnen.
«Ich begrüsse es, dass sich der Gewerbeverband nun aktiv in die Debatte einbringt, nachdem er sich lange Zeit passiv verhalten hat.»
Es ist ja vor allem das Gewerbe, das sich Sorgen macht.
Ja, und ich begrüsse es, dass sich der Gewerbeverband nun aktiv in die Debatte einbringt, nachdem er sich lange Zeit passiv verhalten hat. Es wäre um einiges einfacher gewesen, wenn der Gewerbeverband seine konkreten Änderungsvorschläge schon vor drei Jahren eingebracht hätte, als das Verkehrskonzept im Grossen Rat behandelt wurde. Zum Beispiel der Vorschlag, die Anlieferungszeiten etwas auszudehnen. Das sind minimale Anpassungen, die dem Verkehrskonzept als Ganzem keinen Schaden zufügen. Wenn man damit Bedürfnissen des Gewerbes Rechnung tragen kann, haben wir keine Probleme, Anpassungen vorzunehmen.
Sie sprechen die Vorstösse an, die Politiker von links bis rechts unter der Federführung des Gewerbeverbands lanciert haben.
Ja. Mein Regierungsratskollege Baschi Dürr und ich – wir beide sind die federführenden Departementsvorsteher in dieser Sache – sind selbstverständlich bereit, uns mit diesen Vorstössen zu befassen und das Verkehrskonzept dort anzupassen, wo es sinnvoll ist und der Grosse Rat dies wünscht.
Konnten Sie diese strittigen Punkte denn nicht selber voraussehen? Zum Beispiel das Blumengeschäft in der Innenstadt, das die Blumen nicht mehr ausliefern kann?
Kommt darauf an, wie man diese Punkte einordnet. Unser Verkehrskonzept entspricht im Grossen und Ganzen dem, was andere Städte bereits realisiert haben und sich trotz der Bedenken des Gewerbes, die sich natürlich auch an diesen Orten äusserten, bewähren konnte. Wir haben die fussgängerfreundliche Innenstadt ja nicht neu erfunden. Natürlich soll auch das Gewerbe von einer attraktiven Innenstadt profitieren können. Wenn dafür kleinere Anpassungen nötig sind, steht dem im Prinzip nichts im Weg. Und man darf nicht vergessen, dass wir aus einer Situation heraustreten, die davon geprägt war, dass in der Verkehrspolitik vieles über Jahrzehnte hinweg blockiert war. In Basel standen sich zwei unversöhnliche Blöcke gegenüber, die wenig kompromissbereit waren, das bricht jetzt trotz der geäusserten Kritik langsam auf. Selbst der Gewerbeverband ist im Grundsatz für das neue Verkehrskonzept. Insofern begrüsse ich es sehr, dass wir ihn als konstruktiven Gesprächspartner gewinnen konnten.
«Städte mit fortschrittlicheren Mehrheiten konnten schneller vorwärtsmachen, während in Basel lange Zeit eine einseitig autofreundliche Politik vorherrschte.»
Warum mussten wir in Basel so viel länger als anderswo auf eine fussgängerfreundliche Innenstadt warten?
Basel hatte anders als andere Städte bis vor zwei Legislaturen eine bürgerlich dominierte Regierung. Das Parlament ist immer noch mehrheitlich bürgerlich. Städte mit fortschrittlicheren Mehrheiten konnten schneller vorwärtsmachen, während in Basel lange Zeit eine einseitig autofreundliche Politik vorherrschte. Wir haben Nachholbedarf. Auch beim Tramnetz: Hier liegt eine gut 70-jährige Stagnationsphase hinter uns. Jetzt sind wir dabei, wieder neue Tramlinien zu bauen, über die Grenzen nach Deutschland und – hoffentlich – auch nach Frankreich. Wir unternehmen auch konkrete Schritte in Richtung einer leistungsfähigen S-Bahn, wie es dies in anderen Agglomerationen längst gibt. Gegenüber Zürich sind wir bei der S-Bahn 30 bis 40 Jahre im Rückstand.
Kommen wir auf die Vorstösse zum Verkehrskonzept aus dem Grossen Rat zurück. Sie haben die Anpassungen der Anlieferungszeiten erwähnt. Wie offen stehen Sie den weiteren Forderungen gegenüber: der freien Fahrt für ansässige Gewerbebetriebe, einer Konzession für Kurierdienste, einem neuen Gebührensystem oder Zufahrtspollern?
Wenn der Grosse Rat die Vorstösse an die Regierung überweist, wovon auszugehen ist, werden wir sie gerne prüfen. Es gibt auch eine Begleitgruppe für die Umsetzung, in der neben unseren Departementen auch der Gewerbeverband Einsitz hat. Die Begleitgruppe befasst sich ohnehin schon mit diesen Punkten. Innenstadtgeschäfte, die verderbliche Waren transportieren müssen, sollen natürlich weiter zufahren können. Die Zufahrtsbewilligung für produzierende Gewerbebetriebe müssen im Einzelfall beurteilt werden. Wie oft im Leben zeigt sich der Teufel erst im Detail, offenbaren sich gewisse Probleme also erst bei der konkreten Umsetzung des Konzepts. Im Hinblick auf die Umsetzung befassen sich auch die Kolleginnen und Kollegen des Justiz- und Sicherheitsdepartements aktuell mit zahlreichen dieser Details und leisten dabei sehr gute Arbeit.
Tatsächlich scheint man sich gegenwärtig etwas in Detailfragen verfangen zu haben. Können Sie uns konkret sagen, was das neue Verkehrskonzept bringen wird? Werden in der ganzen Innenstadt Boulevardcafés aus dem Boden schiessen?
Das Potenzial liegt auf der Hand. Halten Sie sich nur mal vor Augen, wie sich das Bild der Steinenvorstadt geändert hat, als sie autofrei wurde.
«Natürlich wird jetzt nicht jede Gasse und Strasse zu einer Steinenvorstadt.»
Aber Sie wollen doch nicht die ganze Stadt in eine Steinenvorstadt verwandeln?
Natürlich wird jetzt nicht jede Gasse und Strasse zu einer Steinenvorstadt (lacht). Aber an diesem Beispiel zeigt sich eindrücklich, dass sich die Art und Weise, wie eine Strasse genutzt wird, enorm verändern kann, wenn das Verkehrskonzept ändert. Das Potenzial wird dort sichtbar, wo die Fussgängerzone bereits umgesetzt ist. Der Spalenberg ist ein vom Charakter her ganz anderes Beispiel, der Rümelinsplatz auch, die Grünpfahlgasse sowieso (Anm. Standort der TagesWoche-Redaktion) …
Weil dort so viele Velofahrer durchs Fahrverbot fahren?
Ja, zum Beispiel die Redaktoren der TagesWoche (lacht)…
Aber auch Chefbeamte aus Ihrem Departement…
Sicher? Ich ziehe das Interview zurück! Aber zurück zum Thema. Die Freie Strasse ist ein weiteres Beispiel, das sich ganz anders präsentiert als das Gebiet rund um den Heu- oder Gemsberg. Die einzelnen Gassen, Plätze und Strassen werden sich ihrem Charakter entsprechend unterschiedlich entwickeln. In den Gebieten, die jetzt schon Fussgängerzone sind, wird sich gegenüber heute praktisch nichts ändern, das muss man auch sagen. Wir werden die Welt in der Innenstadt nicht völlig auf den Kopf stellen. Es wird weiterhin Autoverkehr geben, Taxis zum Beispiel haben während 365 Tagen im Jahr uneingeschränkte Zufahrt zur Innenstadt, wenn es sich um Bestellfahrten handelt. Es wird weiterhin Anwohnerzufahrten geben, Fahrten von Gewerbetreibenden während und auch ausserhalb der Zulieferzeiten. Es ist letztlich also ein liberales und geschäftsfreundliches Konzept.
Also viel Lärm um wenig Neues?
Es gibt Orte, die sich mit dem neuen Konzept gut werden entfalten können, gerade, was die Gastronomie betrifft. Ich denke zum Beispiel an die Rheingasse. Die dort ansässigen Wirte sind ungeduldig und hoffen darauf, dass die Umsetzung möglichst rasch erfolgen wird, gefolgt von einer entsprechenden Umgestaltung. Viele Geschäfte wissen vielleicht nicht genau, was auf sie zukommen wird, wissen aber wohl, dass sie höchstwahrscheinlich davon profitieren werden.
Die Rheingasse ist aber ein Wackelkandidat, wenn man das so sagen kann. Es werden ja Unterschriften gegen eine Sperrung der Mittleren Brücke gesammelt, was auch Einfluss auf die Rheingasse haben würde. Wird auch die Mittlere Brücke gesperrt – oder hat die Aussicht auf eine mögliche Volksabstimmung eine aufschiebende Wirkung?
Wir haben die Umsetzung wegen der erwähnten parlamentarischen Vorstösse auf den Zeitpunkt nach den Sommerferien verschoben. Wenn wir die Forderungen einfliessen lassen, muss der Grosse Rat noch einmal darüber diskutieren können, weil es sich ja um ein Konzept handelt, dessen Leitplanken vom Parlament beschlossen wurden. Danach wollen wir das Verkehrskonzept so rasch wie möglich umsetzen – selbstverständlich, ohne das Kleinbasel zu benachteiligen. Unter Einbezug der Mittleren Brücke also.
«Ich bin übrigens auch kein Autofeind, wie manche behaupten.»
Befürchten Sie nicht, dass der stark ideologisierte Verkehrsstreit im Grossen Rat wieder von vorne beginnt?
Ich denke nicht. Fast alle haben ein Interesse an einer attraktiven, fussgängerfreundlichen Innenstadt. Es liegt auf der Hand, dass man dabei den Bedrüfnissen der Anwohnerschaft, der Geschäfte und der Gewerbetreibenden Rechnung tragen muss. Ich sehe das deshalb entspannt. Und ich bin übrigens auch kein Autofeind, wie manche behaupten.
Stimmt, wir haben gehört, dass Sie selber das Autofahren erlernen.
Das glauben Mitarbeiter der TagesWoche, stimmt aber nicht (lacht). Zumindest noch nicht. Vielleicht ist das Gerücht entstanden, weil mir Tino Krattiger zum 50. Geburtstag einen Zettelkasten für die Vorbereitung auf eine allfällige Theorieprüfung geschenkt hat. Wahrscheinlich werde ich das Autofahren in den kommenden Jahren noch erlernen. Im Moment bin ich aber auf dem Velo gut unterwegs.
Als Auto fahrender Regierungsrat hätten Sie immerhin einen Parkplatz zur Verfügung vor Ihrem Departement.
Nicht wirklich. Die Parkplätze sind für die Leute da, die auf das Auto angewiesen sind. Das bin ich nicht. Mit dem Velo fahre ich eine Viertelstunde, mit dem ÖV dauert es etwa 20 bis 25 Minuten, bis ich hier bin.
Freuen Sie sich auf die Fasnacht, die in ein paar Wochen beginnt?
Aber sicher!
Sie werden mit bissigen Sujets rechnen müssen: Nach den Rauchern und den Hochhaus-Gegnern haben Sie nun auch noch das Gewerbe gegen sich aufgebracht – und nicht zu vergessen die Geschichte um die BVB-Führung.
Klar. Ich wurde bereits von mehreren Cliquen eingeladen, das ist eine grosse Ehre. Ich freue mich darauf.