«Wir wollen die Stadt mitgestalten»

Wie politisch sind illegale Partys? Was will die Bewegung? Zwei junge Aktivisten nehmen Stellung. Und Bettina Dieterle, eine Ex-Punkerin aus den bewegten 1980er-Jahren, zieht Vergleiche.

Tausend in einer Nacht: Am 2. Juni fand auf dem Basler nt/Areal eine grosse illegale Party statt. (Bild: zVg)

Wie politisch sind illegale Partys? Was will die Bewegung? Zwei junge Aktivisten nehmen Stellung. Und Bettina Dieterle, eine Ex-Punkerin aus den bewegten 1980er-Jahren, zieht Vergleiche.

Am Samstag, 2. Juni, pilgerten nachts über 1000 Menschen aufs nt/Areal. Die Schlösser einer leer stehenden Halle, die abgerissen wird, wurden geknackt, Soundsysteme aufgestellt und eine «Sauvage» veranstaltet. Hier haben wir darüber berichtet, hier finden Sie einen Videoclip. Seither äus­sern sich Stadtentwickler, Polizei, Politiker und Anwohner dazu.

Was aber treibt die Aktivisten an? Weshalb nehmen sie sich diesen Freiraum, wie nehmen sie die Polizei-Einsätze wahr – und gibt es Parallelen zu den 1980er-Jahren? Die Aktivisten Ueli (30) und Martin (23), die anonym bleiben möchten, und die Schauspielerin Bettina Dieterle, die vor 30 Jahren in der Punkszene verkehrte, geben Antworten.

Was verstehen Sie unter einem Freiraum?

Ueli: Einen Raum, wo man frei von Konventionen und Konsumzwang ­kreativ sein kann …Martin: … doch bezieht sich dieser Freiraum nicht nur auf den Ausgang, sondern auf das gesamte Leben. Ich brauche Platz, um etwas zu machen, was nicht der gesellschaftlichen Norm entspricht. Ich will mein Lebensumfeld, meine Stadt mitgestalten.

Der Basler Stadtentwickler ­Thomas Kessler sagte im «TagesAnzeiger», dass es in Basel und ­Zürich genug Freiraum für alle ­erdenklichen Jugendszenen gebe.

Bettina Dieterle: Solche Aussagen bekamen wir schon in den 1980er-Jahren zu hören. Nur weil Thomas Kessler dieser Ansicht ist, heisst das nicht, dass die Jugendlichen mit dem Angebot zufrieden sind. Sobald man den Freiraum zur Verfügung stellt und sagt, was man darf und was nicht, funktioniert er nicht mehr. Es geht darum, einen Raum zu entern, ihn kreativ zu bespielen, nach eigenem Gusto.

Martin: Sehe ich auch so. Schauen Sie sich das nt/Areal an. Früher war dies ein wilder Ort, der Wagenmeister ein Gebäude, das allen offenstand, ohne Konsumzwang. Zuletzt aber wurde ­dieses Areal immer kommerzieller – und für mich uninteressanter, denn ich möchte selber gestalten, statt mich in ein gemachtes Nest zu setzen.

Ueli: Mir geht es auch sehr stark um Gemeinschaft. Räume haben bei uns einen definierten Zweck. Damit muss man Kohle machen oder die CMS muss dafür zahlen, weil sie es irgendwie wertvoll findet. Dadurch wird jede Initiative zerstört. Ich vermisse ein Verständnis für andere Lebensformen. Nehmen wir das Basler Wagenplatz-Projekt: Da möchte eine grössere Gruppe Menschen zusammen wohnen, nur fehlt der entsprechende Wohnraum für die Umsetzung. Also suchen sie sich eine Fläche für einen gemeinsamen Wagenplatz. Ihr Vorhaben scheitert schliesslich an der Bauzonenordnung, weil diese das nicht vorsieht. Warum bitte soll das nicht möglich sein? Ich vermisse bei uns die Freiheit.

Wir leben in einer überreglementierten Stadt?

Ueli: Definitiv. Jetzt wurde ja auch noch die Strassenmusik reglementiert. Das ist doch völlig absurd. Der öffent­liche Raum gehört uns allen. Da frage ich mich ernsthaft, ob man als Nächstes eine Bewilligung haben muss, damit man zu fünft auf einem Bänklein sitzen und eine Zigi rauchen darf.

Nun rühmt sich die Stadt aber ­damit, dass sie Freiraum schaffe – etwa im Hafen, wo Zwischennutzungsprojekte umgesetzt werden.

Martin: Die Stadt hat es beim Hafen leider versäumt, einen echten Freiraum zu öffnen. Sie hätte die Brachen vorstellen und sagen können: Hier ist Platz, setzt eure Ideen um. Stattdessen lancierte sie einen Wettbewerb mit Jury, verlangte Konzepteingaben und verhinderte so, dass von Grund auf etwas Gemeinsames entwickelt wurde. Beim Hafen stört mich auch, dass, so wie es sich abzeichnet, die immer gleichen Gruppen zum Zug kommen. Mir scheint, da sei viel Vitamin B im Spiel.

Ueli: Die Stadt hat kein Interesse, dass im Hafen eine Basler Reitschule entsteht. Die Räume sind klar definiert, ­einige Buvetten haben den Zuschlag bekommen, ebenso der ICF-Ableger – also die Partychristen – sowie ein ­Radioprojekt. Das sind doch keine ­Freiräume. Da ist alles klar definiert. Oder habt ihr das in den 1980er-Jahren anders gesehen?

Bettina: Uns ging es grundsätzlich um die Eroberung von Räumen, denn vor 30 Jahren gab es bestenfalls einige Jugendzentren, mehr war da nicht. Und diese waren für uns nicht interessant, weil sie unter der Aufsicht von Erwachsenen standen, die einem sagten, ­welche Wand man bunt anstreichen dürfe. Wir wollten für unsere eigenen Räume kämpfen. Ich habe aus meiner Zeit im Autonomen Jugendzentrum enorm viel mitgenommen: Eine Horde Menschen musste sich organisieren, sich miteinander arrangieren und ­lernen, wie man das jetzt macht, eine solche Selbstverwaltung.

Ueli: Die Rechten predigen bei uns ­immer die heilige Eigenverantwortung. Fangen aber Leute an, selber Sachen auf die Beine zu stellen, Freiheit zu ­leben, dann bekommen sie es mit der Angst zu tun. Ausgerechnet das Establishment, das mehr Freiheit fordert, sieht in unserem Verhalten eine Bedrohung. Das ist doch schizophren.

Zur Angst trägt vermutlich auch bei, dass bei «Sauvages» einige Leute vermummt sind. Warum eigentlich?

Ueli: Weil die Leute, die das Schloss zu einer Halle knacken und vor dem Gebäude eine Absperrung aufstellen, mit ihren Aktionen Straftaten begehen. Wenn sie dabei von Handykameras ­gefilmt würden und die Aufnahmen im Netz landen, könnten sie sich gleich freiwillig verhaften lassen. Die Vermummung ist zum eigenen Schutz nötig. Uns sind mehrere Fälle bekannt, bei denen an einer illegalen Party ein Organisator aufgeschrieben wurde und danach, ­neben Urteil und Busse auch noch die Kosten für den Polizei-Einsatz tragen musste. So steht ein jugendlicher Mensch plötzlich vor einem Schuldenberg in Höhe von 25 000 Franken.

Ist das ein reales Beispiel?

Ueli: Ja. Sollte jemand für die Party vom Samstag verurteilt werden, dann ist seine finanzielle Zukunft am Arsch.

Die Jungfreisinnigen sammeln jetzt Unterschriften für eine ­«Jugendbewilligung», wie sie in Zürich getestet wird. Wäre das für Sie eine befriedigende Lösung?

Ueli: Nein. Eine Veranstaltung wie jene in der Halle wäre dennoch nicht bewilligt worden. Zudem ist die Jugendbewilligung diskriminierend: ­Warum soll man mit 30 sein Recht verlieren, mit anderen eine solche Party zu organisieren? Kommt hinzu, dass so künftig von jedem, der mit Freunden und einem Radio im Freien grilliert, eine Bewilligung für sein illegales Fest verlangt werden könnte.

Was ist der politische Aspekt einer illegalen Party?

Ueli: An diesen Orten erlebt und erfährt man, wie die Selbstorganisation funktioniert. Das ist eine wichtige Erkenntnis, wird uns doch immer gesagt, dass wir einen Chef brauchen, weil wir sonst verloren seien. Mein Vater sagte immer: Das Leben funktioniere nicht nach dem Lustprinzip. Das sehe ich anders. Habe ich abends Lust, zu essen, dann koche ich. Warum sollte ich das nicht in allen Lebensbereichen tun?

Martin: Die grosse Masse, die bei einer solchen Party auftaucht, erfreut sich ja auch am wilden, subversiven Charakter eines solchen Anlasses. Jugendliche, die wochentags ihren Lehrmeistern gehorchen, konnten sich am Samstag kreativ austoben. Ich beobachtete etwa, wie einige den Innenraum lustvoll mit Klebebändern dekorierten. So etwas kann der Anfang einer Politisierung sein, finde ich. Denkbar, dass sie sich beim nächsten Fest stärker involvieren.

Bahnt sich eine neue Jugend­bewegung an?

Ueli: Ja. Immer mehr Leute in unserer Gesellschaft erkennen, dass wir aus­gebeutet werden, dass das, was man uns als Demokratie verkauft, nicht wirklich eine ist. Und dass unser Rechtssystem unfair ist: Droht eine Bank zu kollabieren, kann man plötzlich die ganzen Regelwerke auf den Kopf stellen, bei notleidenden Menschen hingegen tut man das nicht.

Martin: Wir spüren die Repression bei jeder Party. Am Samstag begann ­alles friedlich: 500 Menschen spazierten zu Beginn an einem Kastenwagen vorbei. Angesichts dieser Masse fuhr die Polizei wieder weg. Später sah ich, wie ein Polizist in Zivil ausrastete und seine Waffe zog. Man stelle sich nur vor: Ein Angetrunkener hätte ihn an­gerempelt, ein Schuss sich gelöst, ein Partygänger wäre getötet worden. Die Polizei-Einsätze sind völlig übertrieben.

Ueli: Die Polizei schafft die Problem­situationen.

Martin: Genau. Bei der Party im ­Abrissgebäude der Grosspeter-Garage sah ich, wie ein Betrunkener tanzend Richtung Uniformierte torkelte, worauf ein Polizist aus fünf Metern Distanz Gummischrot abfeuerte. Auf einen unbewaffneten Partygänger! Das darf doch nicht sein. Und dann klagt die ­Polizei im Communiqué, dass danach Steine geworfen wurden.

Was ist die Konsequenz? Läuft es auf Eskalation hinaus?

Ueli: Es gibt sicher solche, die sich wünschen, dass es richtig knallt – auf beiden Seiten. Mit dem Unterschied, dass wir nicht bewaffnet an Partys gehen. Wir wollen ja nicht die Stadt in Schutt und Asche legen. Mich regt es gottlos auf, dass die Polizei jeweils schreibt, die Party sei friedlich gewesen, aber einige Vermummte hätten den Einsatz nötig gemacht. Das entspricht keineswegs der Tatsache. Die Polizei schreitet völlig unverhältnismässig ein. Am Samstag wurden die Anlagen zum Teil mit Gewalt beschlagnahmt, Leute wurden mies behandelt, beschimpft, geschlagen und gefesselt mit Pfefferspray traktiert.

Haben Sie gerade Flashbacks, Bettina?

Bettina: Ja, natürlich. Das ist dieselbe Vorgehensweise wie vor 30 Jahren. Es ist traurig, dass es heute wie damals Polizisten gibt, die ihre Macht missbrauchen.

Ueli: Es ist erschreckend, dass immer noch Menschen im Keller der Clarawache zusammengeschlagen werden. Scheinbar traut sich niemand, dem Einhalt zu gebieten.

Bettina: Schon in den 80ern wurde mit einer Gewalt zurückgeschlagen, die in keinem Verhältnis zu dem stand, was wir taten. Wir richteten unsere Aggression primär gegen Gebäude, die Polizei richtete sie gegen uns.

Was sich aber geändert hat: Im Unterschied zu den 1980er-Jahren wird Basel heute von Rot-Grün regiert.

Bettina: Schon, aber die stehen auch unter dem Zwang der Bürgerlichen und der Geldgeber.

Martin: Meiner Meinung nach kann man rot-grün auch nicht als links bezeichnen.

 

Bettina: Man muss natürlich sehen: Die Regierung steht unter massivem Druck, weil rasch der Vorwurf laut wird, sie liesse «Chaoten» gewähren.

Ueli: Warum lassen sie uns dann nicht gewähren, wenn sie sowieso Schelte kassieren?

Bettina: Gute Frage. Zudem sind es zwei verschiedene Dinge, was die Regierung herausgibt und wie die Polizei funktioniert. Freiraum für uns bedeutet ja auch Freiraum für die Polizei. Indem sie etwa auch mal zuschlägt.

Martin: Wie ich gehört habe, haben Polizisten am Samstag diverse Soundanlagen, Plattenspieler und Schallplatten mutwillig beschädigt …

Ueli: … und danach Soundsysteme konfisziert, ohne dafür einen Grund anzugeben oder eine Quittung aus­zustellen. Die Polizei sagte nur, dass man die Anlagen am Montag abholen könne. Sie rückte diese aber nicht heraus, ohne Angaben von Gründen. So ­etwas ist doch eines Rechtsstaats unwürdig. Ich verstehe das nicht. Polizisten werden doch Polizisten, weil sie andere Menschen schützen wollen. Damit haben sie eine grosse Verantwortung, der sie gerecht werden müssen. Ansonsten provozieren sie Vergeltung. ­Gewalt erzeugt Gegengewalt.

Die Freiluft-Party am Voltaplatz im Herbst 2011 wurde zur ­«Krawallnacht» erklärt. Ein Feuer brannte, Fensterscheiben einer Apotheke wurden eingeschlagen. Ist das nicht kontraproduktiv, weil mit den Schaufenstern auch die Argumente, die für eine Duldung sprechen, zerschlagen werden?

Ueli: Die Bewegung ist halt nicht ­homogen. Darin gibt es Menschen, die sich politisch engagieren, abstimmen, wählen und Initiativen einreichen, aber auch solche, die all das voll Scheis­se finden. Es gibt Menschen, die Partys besuchen, um zu konsumieren. Es gibt Leute, die sie organisieren. Es gibt alle Farben und Formen. Ich selbst schmeis­se keine Scheiben ein, da ich das nicht als zielfördernd erachte. Aber es hat unbestritten einen Effekt: Es wird darüber diskutiert, und es entwertet die Liegenschaft, die man hasst. So gesehen hat es seine Logik.

Martin: Genau. Ich bin im St.-Johann-Quartier aufgewachsen und fühle mich dort fremd heute, durch die bauliche «Aufwertung», wie die Behörden es formulieren. Ich bin auch nicht damit einverstanden, wenn man auf dem Voltaplatz einen Robispielplatz baut, der wie ein Internierungslager aussieht.

Aber längst nicht alle Besucher ­einer illegalen Party möchten damit gleich die Welt verändern.

Ueli: Vielleicht nicht. In der Schweiz ist der Leidensdruck auch noch nicht so gross. Dennoch manifestiert sich der Wille zur Veränderung an den Partys. Wir sehnen uns nach Orten, an denen wir nicht nur als Geldbörse angesehen werden. Es geht um Identität. Wenn du heute Punk wirst, dann ist das eine Identität, die dir verkauft wird. Durch Läden, die ihre Klamotten spezifisch als Punk deklarieren. Es gibt keine Identitäten mehr, die nicht kommerziell ausgeschlachtet wurden.

Bettina: Das erinnert mich an die Krawalle in Zürich, als uns gesagt ­wurde: «Ihr wollt doch nur konsumieren!» Im Gegenteil; wir wollten uns genau davon befreien. Und natürlich auch gegen das Spiessertum rebellieren, das die 1970er-Jahre geprägt hatte.

An manchen illegalen Partys, in den Langen Erlen etwa, werden am Ende Bebbi-Säcke verteilt und der Abfall wird eingesammelt. Ist das zu angepasst für Sie?

Martin: Nein. Wenn jemand aufräumen will, soll er. Wenn nicht, finde ich das auch okay.

Ueli: Da bin ich anderer Meinung. Man hat eine Verantwortung für seine Handlungen, ein Naturschutzgebiet soll so verlassen werden, wie man es vorfand. Dass man uns aber die Sachbeschädigungen vom Samstag vorhält, ist für mich nicht nachvollziehbar: Wir ­haben eine Halle bespielt, die bald ­abgerissen wird. Warum sollte diese schön geputzt abgegeben werden?

Und die Lärmbelästigung? Wo hört der Egoismus auf und fängt das Verständnis für die Anwohnerschaft an?

Ueli: Auf dem nt/Areal geht es jedes Wochenende laut zu und her. An der Party meldeten sich Anwohner, weil eine der Barrikaden einen Durchgang versperrte. Darauf nahm man Rücksicht und verschob die Barrikade. Wird das Gespräch gesucht, funktioniert so etwas.

Martin: Ich flüchte jedes Jahr drei Tage lang aus dieser Stadt. An der Fasnacht nimmt auch niemand Rücksicht auf meinen Wunsch nach Ruhe.

Ueli: Das ist das Gleiche wie die Diskussion am Rheinbord. Da kaufen sich Leute Wohnungen am Rhein und beklagen sich danach über Lärmbelästigung. Wenn sie völlige Ruhe wollen, dann sollen sie aufs Bruderholz ziehen. Ich finde es vielmehr egoistisch, wenn jemand ins Kleinbasel zieht, weil dort viel läuft, dann aber seine Ruhe will, sobald er die Schlafzimmertür hinter sich zugemacht hat.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 08.06.12

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