Die Hoffnung gilt der Erwartung, dass die Repräsentanten der rund 190 Nationalstaaten mit den Massnahmen zur Reduktion des Zuwachses von Kohlendioxid (CO2) nun Ernst machen. Und die Illusionslosigkeit heisst uns, skeptisch zu bleiben gegenüber dem, was konkret unternommen wird, wenn der Gipfel vorbei ist und die Kameras abgebaut sind.
Der Grossanlass kommt mit verschiedenen Bildern in unsere Stuben. Zum einen sind es die üblichen Gruppenbilder mit den Staats- und Regierungspersonen sowie die Spezialbilder mit den Tête-à-Têtes (diesmal Obama und Xi Jinping, wie kürzlich in Antalya Obama und Putin).
Dann auch die eindrücklichen Bilder zu der genial inszenierten Trotzreaktion auf das Demonstrationsverbot in Paris, die Bilder mit den vielen Schuhen der nicht zugelassenen Demonstranten auf der Place de la République: Schuhe zu jedem Lebensalter und Lebensstil zu Hunderten aufgereiht. Es sollen sich auch Schuhe des Papstes und des UN-Generalsekretärs darunter befunden haben. Diese Aktion darf ruhig die Frage aufwerfen, wo denn unsere Schuhe sind.
Die erste und die letzte Generation
Eine andere Frage ist: Wie sind diese Schuhe da hingekommen und derart ordentlich aufgereiht worden? Die Medien schweigen sich darüber aus, es dürfte aber die Organisation Avaaz dahinterstecken. Schon mal von ihr gehört? Vielen dürfte sie total unbekannt sein, obwohl sie über 40 Millionen Mitglieder – sogenannte Avaazers – in 194 Ländern hat. Ihren Namen hat diese 2007 in New York gegründete Bewegung aus dem Persischen bezogen, er bedeutet Stimme oder Klang.
Die Sozialwissenschaften haben schon früher den Terminus «voice» eingeführt, um auszudrücken, ob eine Gruppe ihre Stimme überhaupt erheben kann. Ob sie sich damit auch wirklich Gehör verschafft, ist nochmals eine andere Frage.
UN-Generalsekretär Ban Ki Moon erklärte in seiner wie immer spröden Eröffnungsrede, die Verantwortlichen hätten jetzt ein Rendez-vous mit der Geschichte («History is calling»). Aussagekräftiger ist ein anderer Slogan: «Wir sind die erste Generation, die die Folgen des Klimawandels spürt, und die letzte Generation, die etwas dagegen tun kann.» Dabei geht es vor allem um die Geschichte, die vor uns liegt. Die Geschichte, die in Sachen Klima- und allgemeinerem Umweltschutz hinter uns liegt, ist auf den ersten Blick wenig erbaulich.
Die Weltrettung hat vor Paris eingesetzt und sie muss nachher weitergehen.
Die Pariser Conference of the Parties (COP) ist bereits die 21. derartige Zusammenkunft. Die früheste kollektive Sensibilisierung trat im Lauf der 1970er-Jahre ein. 1979, also vor fast vier Jahrzehnten, wurde die erste Klimakonferenz in Genf einberufen, ein Privattreffen von Wissenschaftlern. Die erste UN-Konferenz (COP 1) trat 1995, also vor 20 Jahren, in Berlin zusammen.
Weitere wichtige Stationen waren: die Umweltkonferenz von Rio de Janeiro 1992, an der die Klimarahmenkonvention ins Leben gerufen wurde; sodann Kyoto 1997 mit der Festlegung eines verbindlichen Klimaabkommens unter den Industrieländern. Dieses Abkommen trat allerdings erst 2005 nach der Ratifizierung in Kraft; es hatte immerhin zur Folge, dass die Industriestaaten (ohne USA) in einer ersten Verpflichtungsperiode verbindlich in Aussicht stellten, die Emissionen der wichtigsten Treibhausgase zu senken.
Nicht jedes weitere Treffen war ein Erfolg. Kopenhagen 2009 (COP 15) ging als Misserfolg in die Geschichte ein. Diese Konferenz hinterliess immerhin einen unverbindlichen Minimalakkord, an dem man anknüpfen und mit dem man weiterarbeiten konnte. Die vielen Treffen vor Paris leisteten alles in allem offenbar unvermeidliche Vorarbeiten, die jetzt weitergeführt werden. Man wird dem Prozess nicht gerecht, wenn jetzt gesagt wird, dass in 14 Tagen die Welt gerettet werden müsse. Die Weltrettung hat lange zuvor eingesetzt, und sie muss auch nachher weitergehen.
Mittelfristig haben alle dieselben Interessen
Die Vorbereitungen zu Paris haben vor fünf Jahren unter der Leitung von Christina Figueres eingesetzt, der costa-ricanischen Generalsekretärin der UN-Klimakonvention. Was jetzt auf dem Messegelände von Le Bourget abläuft, ist bloss ein momentaner Finish auf einem langen Etappenweg. Hier treffen noch die unterschiedlichsten Akteure aufeinander und versuchen, das sich abzeichnende Ergebnis in ihrem Sinn zu beeinflussen: nicht nur die verschiedenen Staatsvertretungen, sondern auch die vielen NGOs und Industrielobbyisten.
Die Notwendigkeit von Massnahmen zum Klimaschutz ist eigentlich unbestritten. Diskussionen gibt es um die Frage, wie man sie sicherstellt – und finanziert. Die berühmte Frage, wie man von A nach B kommt. Damit verbunden ist die andere klassische Frage, ob die notwendigen Impulse von unten (bottom-up) oder von oben (top-down) kommen müssen. Es erstaunt nicht, wenn Figueres erklärt, dass beides ebenso nötig sei wie auch eine Kombination von Motiven.
Während sich die Internet- und Strassenaktivisten kosmopolitisch als Weltbürgerinnen und -bürger engagieren, handeln die Staatsakteure gemäss ihren nationalen und die Vertreter der Wirtschaft gemäss ihren privaten Interessen. Dabei gilt es, sich vor Augen zu führen, dass die kurzfristig noch divergierenden Interessen schon mittelfristig die gleichen sein werden. Figueres: «Auf einem toten Planeten kann man keine Geschäfte machen.»
Gemeinsames Lernen der Staaten
Basisaktivisten haben nicht nur «voice», sie haben auch spürbar einsetzbare «consumer power». In der TagesWoche hat Stefan Boss eine über die Stufe der üblichen Massenpetitionen hinausgehende amerikanische Desinvestitionsbewegung vorgestellt. Mit der «Macht der Konsumenten» sorgt sie dafür, dass der Öl-, Kohle- und Erdgasindustrie die Investitionsgelder entzogen werden.
Ende November wurde bekannt, dass der weltgrösste Versicherungskonzern Allianz rund vier Milliarden Euro aus dem Investment in Kohlebergwerke und -kraftwerke abzieht. Einer der wichtigsten Geldgeber der Welt hat das Vertrauen in die Zukunftsfähigkeit der Kohle verloren. Dieser Entscheid könnte seine Nachahmer finden.
Auf dem langen Weg nach Paris wurden neue, erfolgversprechende Methoden entwickelt. Anstelle der früher angestrebten Einheitsregelungen ist jetzt die Deklaration von nationalen Selbstverpflichtungen eingeführt worden. Es geht um freiwillige Beiträge (Intended Nationally Determined Contributions, INDC). Über 160 Länder haben solche Erklärungen abgegeben und beteiligen sich so an einem Prozess der wechselseitigen Überprüfbarkeit und des gemeinsamen Lernens. Die Schweiz hat übrigens bereits im Februar 2015 als erstes Land seine Verpflichtungserklärung deponiert.
Umweltkatastrophen im kollektiven Gedächtnis
Im Weiteren müssen die Gegensätze abgeschwächt werden, die es zwischen den alten Industrieländern und den aufstrebenden Ländern gibt: Nachdem die einen den grössten Teil der CO2-Emissionen produziert haben, möchten sich die anderen nicht durch Rücksicht auf Klimafragen in ihrer Entwicklung einschränken lassen. Damit die Kosten von Klimaprojekten für Entwicklungsländer gesenkt werden können, soll nun in Paris das schon in Kopenhagen 2009 angedachte Finanzierungsinstrument eines Green Climate Fund (GCF) realisiert werden.
Vor einem Jahr ist ein Buch erschienen, das in Analogie zur traditionellen Erinnerungskultur, die sich auf Schlachten konzentriert (in der schweizerischen Variante auf Marignano und so weiter), Umweltkatastrophen einen Platz im kollektiven Gedächtnis sichern will. Diese haben Ortsnamen und Jahreszahlen: Seveso, Tschernobyl und Schweizerhalle, Fukushima; 1976, 1986, 2011. Es sind Katastrophen, die menschliches Handeln in verdichteter und einigermassen eindeutiger Weise als unzulänglich erfahrbar gemacht haben. In diesen Fällen mussten identifizierbare Verantwortliche Reparaturleistungen erbringen, und im besten Fall war die Welt nachher ein wenig besser als vorher.
Wie aber steht es mit der schleichenden Vergiftung von Böden, der fortschreitenden Verunreinigung der Meere, der steten Erwärmung des Klimas? Da gibt es weniger fassbare Orte und Jahre und individuelle Verantwortung. Aber es mahnen uns die Effekte des Klimawandels: die Sturmfluten, Hurrikane, Dürren, Überschwemmungen. Und hier sind wir darauf angewiesen, dass die anhaltenden internationalen Aushandlungsprozesse etwas erreichen.
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Frank Uekötter (Hg.): «Ökologische Erinnerungsorte»; Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, 2014, 334 Seiten.