93 Prozent der Krim-Stimmbürger sollen sich für die Wiedervereinigung zu Russland aussprechen. Die Zustimmung zur russischen Annexion scheint auf der Schwarzmeer-Halbinsel gross. Die Ukraine riegelt derweil die Ostgrenze ab.
Simferopol, Ukraine. Es ist noch früh an diesem Wahlsonntag, aber Sergei Aksjonow ist bereits hellwach. «Dieses Referendum ist unwiderruflich», erklärt der – international nicht anerkannte – Premier der Autonomen Republik Krim nach seiner Stimmabgabe am Morgen und nimmt das Ergebnis gleich vorweg: «Die Krim wird ein Teil Russlands sein.» Die Prognosen nach Schliessung der Wahllokale melden am Abend Vollzug. 93 Prozent der 1,8 Millionen stimmberechtigten Bürger der Schwarzmeer-Halbinsel haben demnach «für eine Wiedervereinigung der Krim mit Russland» gestimmt. Eine unabhängige Prüfung der Ergebnisse gibt es nicht.
«So, wie das Volk es will»
Aksjonow hatte es am Morgen in die Formel gekleidet: «Alles verläuft so, wie das Volk es will.» Richtiger müsste es heissen: «Wie der Kreml es will.» Denn der Krim-Premier, der sich Ende Februar in Simferopol an die Macht geputscht hat, handelt auf Weisung aus Moskau. Dort hat sich Präsident Wladimir Putin nach der Maidan-Revolution in Kiew offenkundig den Anschluss der Krim zum Ziel gesetzt, wo nicht nur sechs von zehn Bürgern russische Wurzeln haben, sondern in Sewastopol auch die russische Schwarzmeerflotte stationiert ist.
Putin: «Alles voll vom Völkerrecht gedeckt»
Die geplante Annexion ist ein Gewaltakt, den das Referendum nach aussen legitimieren soll. Alles sei «voll und ganz vom Völkerrecht gedeckt», sagt Putin auch am Sonntag wieder, diesmal in einem Telefonat mit Bundeskanzlerin Angela Merkel. Was in diesen Tagen auf der Krim wirklich geschieht, ist dagegen am besten bei der Anreise zu sehen. Auf den Zufahrtswegen zur Halbinsel hat das Militär die Herrschaft übernommen.
Die Krim ist vom ukrainischen Festland mit Auto und Zug nur über die schmale Landenge von Perekop und weiter östlich über einen Damm bei Chonhar zu erreichen. An diesen strategischen Schnittstellen exekutieren russische Soldaten und prorussische Paramilitärs die Annexion ukrainischen Staatsgebietes. Mit Panzerwagen haben sie Strassensperren errichtet. In den Zügen kontrollieren bewaffnete Bürgerwehren die Reisenden. Auch der Luftraum ist nur für Flüge von und nach Moskau geöffnet.
Prorussische Paramilitärs haben die Kontrolle
Es gehe darum, «ukrainische Faschisten und Terroristen daran zu hindern, in unser Land einzudringen», erklärt am Bahnhof von Simferopol einer der muskelbepackten Männer, die dort derzeit das Sagen haben. Er trägt eine Tarnhose, Armeestiefel, eine Bomberjacke und eine Armbinde in den russischen Nationalfarben Weiss, Blau und Rot. In Wirklichkeit ist von ukrainischen Gewalttätern auf der Krim bislang weit und breit nichts zu sehen. Die umstrittene Volksabstimmung über die politische Zukunft der Halbinsel verläuft am Sonntag ohne Zwischenfälle.
Wie sollte es auch anders sein? Vor den Wahllokalen in Simferopol patrouillieren zwar keine Soldaten. Aber im Stadtgebiet sind die Sicherheitskräfte fast allgegenwärtig. Verkehrspolizisten kontrollieren im Beisein von schwer bewaffneten, vermummten Soldaten alle Autos, die ihnen aus irgendeinem Grund verdächtig erscheinen. Aus Sewastopol, wo die russische Schwarzmeerflotte stationiert ist, berichten moskautreue Medien, dass «die Abstimmung von Sicherheitskräften in Brigadestärke bestens bewacht wird».
Kaum Andrang vor Wahllokalen
Auch in Simferopol seien «die Russen jederzeit in Rufbereitschaft», behauptet eine etwa 50-jährige Frau, die schon am verregneten Morgen zur Abstimmung gegangen ist. Sie will ihren Namen nicht nennen, gibt sich aber als Lehrerin einer ukrainischen Schule zu erkennen. «Ich habe nur ein einziges grosses Kreuz gemacht und alles durchgestrichen», erklärt sie mit Galgenhumor. Der Andrang in ihrem Wahllokal ist bescheiden, wie andernorts in Simferopol auch. Dennoch vermelden die Behörden eine Wahlbeteiligung von weit mehr als 80 Prozent. Das klingt wenig wahrscheinlich, denn die tatarische Minderheit und auch viele Ukrainer hatten angekündigt, das Referendum zu boykottieren.
Neutrale internationale Experten sind sich einig, dass das Krim-Referendum ebenso völkerrechtswidrig ist wie die faktische Besetzung der Halbinsel durch russische Soldaten. So sieht es unter anderem die zuständige Venedig-Kommission des Europarates, dem auch Russland und die Ukraine angehören. Die EU bekräftigt am Sonntagnachmittag, sie werde das Referendum nicht anerkennen.
Eine weitere Eskalation ist denkbar
Es gehört deshalb nicht viel Fantasie dazu, eine weitere Eskalation der Krim-Krise zu prophezeien. Brüssel und Washington drohen Moskau seit Tagen mit verschärften Sanktionen, sollte der Kreml die Annexion der Krim vollziehen. Schon an diesem Montag kommen die EU-Aussenminister zusammen, um Einreiseverbote und Kontosperren gegen die politische und wirtschaftliche Elite Russlands zu beschliessen. Die Interimsregierung in Kiew ihrerseits beharrt darauf, dass «die territoriale Einheit des ukrainischen Staatsgebietes gewahrt bleiben muss», wie Übergangspräsident Oleksandr Turtschinow erklärt.
Auf den Einsatz militärischer Gewalt will die Führung in Kiew zwar vorerst verzichten. «Wir müssen eine friedliche Lösung finden», sagt Turtschinow. Am Sonntag verkündet seine Regierung überraschend eine Waffenruhe mit dem russischen Militär auf der Krim. Das heisst vor allem, dass die ukrainischen Stützpunkte dort vorerst unbehelligt arbeiten können. Die Lage bleibt dennoch «brandgefährlich», wie Bundesaussenminister Frank-Walter Steinmeier sich am Wochenende ausdrückt. So wirft das Kiewer Aussenministerium Moskau vor, eine rund 80 Mann starke russische Militäreinheit habe am Samstag eine Landzunge nordöstlich der Krim besetzt und eine Gas-Umschaltstation in Besitz genommen.
Unsicherheiten in Donezk
«Wir werden eine Invasion unseres Landes mit allen Mitteln stoppen», lässt die ukrainische Regierung trotz Waffenruhe wissen. Sie erklärt dies vor allem mit Blick auf die immer explosivere Lage in den ostukrainischen Industriemetropolen Charkiw und Donezk. Seit Tagen liefern sich dort prorussische und regierungstreue Demonstranten gewaltsame Auseinandersetzungen. Drei Menschen starben bereits bei Messerstechereien oder durch Schüsse. Am Sonntag stürmen Randalierer in Donezk den Sitz der ukrainischen Sicherheitskräfte. Die Übergangsregierung in Kiew teilt mit, sie habe die Grenze zu Russland in weiten Teilen abgeriegelt, um «Provokateure zu stoppen».
Das Aussenministerium in Moskau seinerseits weist immer wieder darauf hin, dass man «Russen und russischstämmige Bürger in der Ukraine schützen» werde. Präsident Wladimir Putin ist mit allen rechtlichen Vollmachten ausgestattet, um eine Militäraktion in der Region zu starten. Die russische Armee hat dort nach unterschiedlichen Angaben bis zu 80’000 Soldaten und mehrere Hundert Panzer einsatzbereit.