Kultur hat in der Baselbieter Regierung keine Lobby mehr. Das wird sich auch mit der im Februar neu gewählten Regierung nicht ändern. Das sind schlechte Aussichten für den Nachfolger oder die Nachfolgerin des abtretenden Kulturchefs Niggi Ullrich.
Es wird eng für die Kultur und Kunst im Baselbiet. Im unteren Kantonsteil ziehen bereits die ersten Wolken auf und künden von härteren Zeiten. Unter dem Vorwand einer dringenden Sanierung der Gemeindefinanzen wollen die Agglogemeinden Allschwil und Muttenz die Kulturbeiträge an das Theater Basel streichen (Allschwil: 20’000 Franken, Muttenz: 10’000 Franken).
Natürlich ist der Verlust dieser Gelder nicht existenziell für das Theater, aber er hat symbolische Wirkung. Er könnte einen Domino-Effekt auf weitere Gemeinden haben. Obwohl rund 490 Allschwilerinnen und Allschwiler ein Theaterabo haben und die von der Stadt Basel hoch subventionierte Dienstleistung mit offensichtlichem Genuss konsumieren, deklarieren sowohl der Einwohner- wie auch der Gemeinderat den Beitrag als «nice to have» und damit als lässlichen Zuschuss.
Kultur hat keinen politischen Rückhalt
Wie muss man diese demonstrative Distanzierung von einer partnerschaftlichen Kulturpolitik verstehen? Ist das der Anfang vom Ende? Werden jetzt die kulturellen Errungenschaften der letzten Jahre peu à peu in Frage gestellt? Beginnt der Konsens zu einer überregionalen Kulturpolitik, die im Baselbieter Kulturleitbild noch geadelt wurde, zu bröckeln? Wird nun auch der «Kulturvertrag» zwischen den beiden Kantonen in Frage gestellt?
Nach rund 26 Jahren als Kulturamtsleiter wirft Niggi Ullrich per Ende 2014 das Handtuch. Der mangelnde politische Rückhalt, der in den vergangenen fünf Jahren die Kulturpolitik des Baselbieter Kulturbeauftragten zum Erlahmen gebracht hat, ist vermutlich der eigentliche Kündigungsgrund.
Angefangen hat die unselige Ausbremspolitik des Landrats mit der Rückweisung des Kulturgesetzes im Jahre 2009. Der Versuch, mit einer grossen «Tagsatzung» (so hiess die damalige Klausurtagung) den Diskurs so weit zu treiben, dass die Bedenken eliminiert und ein Konsens gefunden werden könnte, scheiterte. Zwar konnte die Kulturabteilung nach zweijährigem Hin und Her und nach einem schier endlosen Vernehmlassungsverfahren im Juni 2013 ein Kulturleitbild für die Jahre bis 2017 vorlegen.
Zahnloser Papiertiger
Doch das Papier war ein zahnloser Tiger und letztlich ein Beschrieb des Staus quo. Dies verbunden mit einer deutlichen Hommage an die Politik, welche die Baselbieter Kultur explizit als Unikat und mit wenig überregionalen Berührungsoptionen sowie einer starken Bewertung der Laienkultur festgeschrieben haben wollte.
Insofern war das Papier ein Rückschritt in der Kulturpolitik. Einer Politik, die sich über Jahre hinweg offen, überregional, urban und mit einer starken professionellen Orientierung in allen Kunstbereichen präsentieren und bewähren konnte.
Ullrich sieht für sich und seine Kulturpolitik keine Perspektive mehr. Zudem wird Ullrich eins und eins zusammengezählt und auch den bevorstehenden Wechsel in der Regierung nicht als positives Zeichen gewertet haben.
Kein Flair für Kultur
Die drei Kandidatinnen und Kandidaten, die sich neu für das Regierungsamt zur Verfügung stellen, versprechen keinen Kurswechsel. Alle drei sind wenig kulturaffin. Mit Monica Gschwind steht zudem eine FDP-Politikerin auf der Matte, die einen stramm rechtsbürgerlichen Kurs fährt. Als Hölsteiner Gemeindepräsidentin konnte sie bei der Frage nach einem Asylheim in der Holdenweid kürzlich zeigen, was sie unter partizipativer und kooperativer Haltung versteht und wie radikal sie Eigeninteressen vertritt.
Auch bei den beiden SP-Kandidaten – Daniel Münger und Regula Nebiker – steht die Kultur nicht im Vordergrund. Und die bisherigen Regierungsräte Sabine Pegoraro, Anton Lauber, Thomas Weber und Isaac Reber haben die jetzige Situation mitverursacht.
Die Stimmung im Land ist schlecht. Bereits das Stichwort «Theatersubvention» löst in den Onlinekommentarspalten der «Basler Zeitung» und neuerdings auch auf bei der «Basellandschaftlichen Zeitung» einen Shitstorm aus, welcher das Theater als Feindbild sieht und ein gerütteltes Mass an Aufregung, Erstaunen, Empörung und Unwillen, aber kaum Begeisterung hervorruft. Es ist offensichtlich: Der Kultur und Kunst wird es an den Kragen gehen.
Wer wagt sich in das Minenfeld?
Diese Ausgangslage ist für die Suche nach einem neuen Kulturleiter oder einer neuen Kulturleiterin, vorsichtig ausgedrückt, suboptimal. Wer wird sich in dieses Minenfeld wagen? Wer hat die Chuzpe, hier Tacheles zu reden und eine neue Kulturpolitik zu implementieren? Oder müssen wir uns künftig mit einem Verwaltungsjuristen als Kulturamtsleiter begnügen?
Offene Fragen, für deren Klärung jedoch nicht viel Zeit bleibt: In nur 31 Tagen ist Ullrichs Sessel geräumt. Bei der derzeitigen Stimmung und dem entsprechenden politischen Rückhalt ist die Stelle zurzeit eigentlich gar nicht zu besetzen. Nur ein Kamikaze-Kulturleiter wird sich diesen Job anlachen wollen.
Der einzige Strohhalm ist im Moment das aktuelle Kulturleitbild, das bis 2017 in Kraft sein wird.
Aber was passiert danach? Wie geht es mit der Baselbieter Kulturpolitik weiter? Wird die über 26-jährige kulturelle Aufbau- und Entwicklungsarbeit von Niggi Ullrich obsolet werden? Wird sich das Baselbiet abschotten und sich ganz auf seinen Bann zurückziehen? Und parallel zu den aktuellen Rückzugsgefechten auch eine kulturelle Abbaupolitik betreiben?
Die Sparpolitik der eingangs erwähnten Gemeinden wäre dafür eine Hinweis, aber offensichtlich auch hinreichend Vorwand, um sich aus der Kunst und Kultur zurückzuziehen. Politischer Widerstand dagegen ist im Moment weder sicht- noch spürbar. Die fortschrittlichen Politikerinnen und Politiker im Baselbiet scheinen sich eingebunkert zu haben. Oder noch schlimmer: Vielleicht gibt es diese Kräfte gar nicht mehr.