Was das SDA-Debakel mit dem Geist von No Billag verbindet

Anhand des SDA-Dramas zeigt sich exemplarisch, woran das Schweizer Medienbusiness wirklich krankt: An sich selbst.

«Die Zitrone ist ausgepresst», sagen die SDA-Journalisten über ihre Agentur. Das trifft zu.

Ein Land verliert seine Nachrichtenagentur. Die letzte, die aus dem hintersten Winkel flächendeckend schreibt. Und das, kurz bevor das Land an der Urne darüber abstimmt, ob es seine öffentlich-rechtlichen Sender für immer beerdigen will – die letzten, die auch aus dem hintersten Winkel umfassend senden.

Die Agenturjournalisten streikten öffentlichkeitswirksam. «Die Zitrone ist ausgepresst», schrieben sie im Vorfeld. Gewohnt sprachlich präzis wählten die mutigen Journalistinnen und Journalisten die Vergangenheitsform: Die SDA-Zitrone war schon ausgepresst, als die Streikdrohung in der Luft lag.

Die aufgegebene Agentur

Zuletzt hatte die Führung noch die Redaktionsbüros am Zürcher Sihlquai zu Millionen gemacht, bevor man den Abbau von 40 Vollzeitstellen vollzog. Schliesslich sei man «nur den Aktionären etwas schuldig», wie SDA-CEO Markus Schwab der «NZZ am Sonntag» sagte. Das zieht man, die Aktionäre wollen es so, auch durch. Trotz 18 Millionen Franken Reserven.

Symptome des Zerfalls: Die grösste und einzige Nachrichtenagentur des Landes hat seit Spätherbst des vergangenen Jahres keinen Chefredaktor mehr. Geschäftsführer ist nun der frühere Keystone-Chef Jann Jenatsch, ausgebildeter Architekt.

Als die Journalisten der SDA darüber informiert wurden und fragten, ob sich an der publizistischen Führungslosigkeit etwas ändern würde, sagte CEO Schwab, man könne das bei einer allfälligen Anpassung des Organigramms dann «vielleicht» einmal anschauen. 

Deutlicher kann man kaum sagen, dass man sein Kerngeschäft längst aufgegeben hat. Es bleibt beim zum Scheitern verurteilten Versuch, die SDA in eine Werbeagentur zu verwandeln. Das legt schon der Kauf der Bildagentur Keystone nahe: Der SDA-Geschäftsbericht 2016 verschweigt nicht, dass deren positive Entwicklung vor allem auf Auftragsfotografie für Firmen, Organisationen und Verbände zurückzuführen ist. Ausserdem wurde die SDA-Wirtschaftsredaktion faktisch abgeschafft: Sämtliche Redaktoren müssen sich bei der Börsen-Agentur AWP bewerben, ein Dutzend Wirtschaftsjournalisten verliert den Job auf sicher. Firmen-PR statt Journalismus.

Das aufgegebene Geschäftsfeld

Der Fall SDA zeigt exemplarisch, woran die grossen Schweizer Verlage kranken: An sich selbst. Besser als die «Republik» hat es niemand auf den Punkt gebracht:

«Aber die Zukunft der Medien ist nicht das, was das Management der Medienhäuser interessiert. Fasst man zusammen, was sie tun (nicht, was sie sagen), so ist die Strategie klar: Sie spielen das Endspiel. … Die Schweizer Verlage haben die Hoffnung aufgegeben, in Zukunft mit Journalismus Geld zu verdienen.»

Dabei ist es nicht so, dass die grossen Verlage heute kein Geld mehr mit Journalismus verdienen würden. Aber kleine schwarze Zahlen reichen den grossen Playern nicht. Beim grössten Schweizer Medienkonzern Tamedia gilt nach wie vor: Mindestens 15 Prozent Rendite sind zu erreichen. Die Folgen für den Journalismus sind klar.

Vielleicht dämmert es auch den Politikern in Bern, die die aufgegebene SDA neu mit 2 Millionen Franken Steuergeldern subventionieren wollen. Der SDA, Lieferantin der Nachrichten-Grundversorgung der Schweiz, wird das Geld hochwillkommen sein. Nicht, um Stellen zu retten. Nicht für den Journalismus. Als Subvention für ihre Aktionäre.

Die bürgerliche Sehnsucht nach echten Staatsmedien

Das SDA-Drama und die No-Billag-Abstimmung liegen zwar zeitlich nur zufällig so nahe beieinander. Dennoch verbindet sie einiges. Sie sind Ausdruck derselben wirtschaftlichen und politischen Krise.

Von rechtsbürgerlicher Seite ist wenig bis nichts zu erwarten, wenn es um die Unterstützung von unabhängigem Journalismus geht, sprich um einen Grundpfeiler einer funktionierenden Demokratie. Das zeigt der Fall No Billag wie der Fall SDA. Als Bundesrat Ueli Maurer in Bern auf die SDA-Streikenden traf, sagte er ihnen ins Gesicht, warum er nicht vorhabe, die Leute der Agentur – und sei es nur moralisch – zu unterstützen: «Sie helfen uns ja auch nie», so der Bundesrat.

Maurers Satz ist nicht nur problematisch, weil er ihn ausgerechnet zu Mitgliedern der SDA sagt – den einzigen verbliebenen Journalisten, die noch jede einzelne Debatte in allen eidgenössischen Räten verfolgen und zu Nachrichten verarbeiten. Er zeugt auch von einem problematischen Verständnis von Journalismus.

Journalismus ist der Wahrheit, den Bürgern verpflichtet. Sicher keinem Bundesrat. Journalismus berichtet darüber, was Mächtige, was Regierende sagen und tun. Maurer fordert nichts anderes als Staatsmedien.

Geistige Landesverteidigung im Jahr 2018

Staatsmedien, die unkritisch die offizielle Sicht verbreiten, wünscht sich auch der neue FDP-Bundesrat Ignazio Cassis. «Ich appelliere an Ihre Verantwortung, im Interesse des Landes nicht mehr ständig über unsere Verhandlungsposition gegenüber der EU zu spekulieren», sagte der Aussenminister. «Alle Bürger – auch die Medienschaffenden – sollten sich daran erinnern, dass sie unsere Wirtschaft und unseren Wohlstand zu verteidigen haben.»

Medienschaffende als gehorsame Mitstreiter einer geistigen Landesverteidigung: Nordkorea lässt grüssen. Angesichts dieser Sehnsucht nach starken Staatsmedien von rechtsbürgerlicher Seite verwundert es nicht, dass die – redaktionell absolut unabhängigen – SRG-Formate mittels «No-Billag»-Initiative ausgerechnet von dieser Warte aus für immer zum Schweigen gebracht werden sollen.

Die Rede von den angeblichen «SRG-Staatsmedien» der Befürworter der Initiative war immer eine Lüge. Was ihnen in Tat und Wahrheit nicht passt, sind starke, unabhängige Medien mit unabhängigen Nachrichtenredaktionen. Die SRG-Sender kann kein Politiker auf Linie zwingen. Ja, sogar SDA-Agenturticker, die nur neutral verbreiten, was irgendwo gesagt wurde, können wenig hilfreich bis bedrohlich wirken, wenn man lieber PR auf allen Kanälen sähe.

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