Der Kampf gegen den IS ist kein Krieg

Bevor der Westen einen weiteren «Krieg gegen den Terrorismus» anzettelt, sollte er erst einmal dafür sorgen, dass die Finanz- und Ölströme des IS versiegen.

Flight deck crew work around a Super Etendard fighter jet as a French flag flies aboard the French nuclear-powered aircraft carrier Charles de Gaulle before its departure from the naval base of Toulon, France, November 18, 2015. France's Charles de Gaulle aircraft carrier will be deployed today to support operations against Islamic State in Syria and Iraq. REUTERS/Jean-Paul Pelissier

(Bild: JEAN-PAUL PELISSIER)

Bevor der Westen einen weiteren «Krieg gegen den Terrorismus» anzettelt, sollte er erst einmal dafür sorgen, dass die Finanz- und Ölströme des IS versiegen.

Die Anschläge in Paris waren schrecklich. Ihr Ziel war der Alltag, nicht staatliche Einrichtungen oder Symbole. Das verunsichert am meisten. Es ist egal, welcher Religion man angehört, welche sexuelle Orientierung man hat, welche Hautfarbe man besitzt und welcher Nationalität man ist, man kann getroffen werden. Aber das bietet auch die Möglichkeit des Heraustretens aus dem Alltag, die Unterbrechung der Routine. Und es drängt sich die Frage auf: Was ist eigentlich los, wenn Franzosen auf Franzosen schiessen? Was ist los mit Ländern wie Grossbritannien oder Deutschland, wenn Hunderte Jugendliche dieser Länder sich dem militanten Islamismus zuwenden?

Ohne den terroristischen Islamischen Staat (IS) zu verharmlosen: Er ist doch nur der Umweg, den diese Menschen gehen, um aus der Entfremdung von ihrer jeweiligen Gesellschaft Hass auf diese und die Verwestlichung zu formen. Diese Entfremdung ist Resultat von teilweise recht subtilen Ab- und Ausgrenzungsprozeduren, die unsere westlichen Gesellschaften gegenüber Minderheiten etablieren. Natürlich gibt es auch Unterschiede zwischen Frankreich und Deutschland. Das, was sich in Deutschland gerade zu entwickeln beginnt – eine diskursfähige Rechte jenseits der Neonaziszene –, gibt es in Frankreich schon deutlich längere Zeit.

Politische Lösung statt fauler Kompromiss

Die Entscheidung des französischen Präsidenten François Hollande, das Wort «Krieg» zu gebrauchen, Frankreich im Krieg zu sehen, ist emotional nachvollziehbar, ein Resultat des eingangs beschriebenen Schocks. Sie ist aber auch bequem. Sie entlastet von der Frage, was eigentlich los ist in unseren Gesellschaften. Und sie ist gefährlich. Der «Krieg gegen den Terror», auch wenn er jetzt «Krieg gegen den IS» heisst, spielt mit der Illusion, ein Problem militärisch lösen zu können, wo es doch vor allem langer politischer Arbeit bedürfte, um schon nur eine Idee von einer Lösung zu bekommen.

Wir wissen inzwischen, aufgrund welcher Kriege, Ausgrenzungen und Nöte der Nährboden entstand, auf dem der Islamische Staat gedeihen konnte. Hat der Westen denn ein Interesse oder gar den politischen Willen, diese Fehlentscheidungen zu korrigieren, und das im Einvernehmen mit den unübersichtlich vielen Akteuren vor Ort? Angesichts der Tatsache, dass sich unter den Gegnern des IS nicht nur die USA und Russland befinden, die es sich gegenseitig schon schwer genug machen, sondern auch Saudi-Arabien, der Iran, die Türkei und Assad, mit dem man auch sprechen muss, erscheint mir die Wahrscheinlichkeit für eine wirkliche, eine politische Lösung für die Region wesentlich geringer als ein fauler Kompromiss.

Nach 9/11 haben wir einen weiteren Fall von «bewaffnetem Angriff» hinzubekommen – und auch er wird räumlich und zeitlich unbeschränkt bleiben.

Ausserdem ist die völkerrechtliche Grundlage für eine Intervention Frankreichs, an der sich Deutschland beteiligen will, ausgesprochen fragil. Für den Anfang mag die Berufung auf das Selbstverteidigungsrecht nach Art. 51 der UN-Charta und eine UN-Resolution, die die Staaten der internationalen Gemeinschaft auffordert, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um den IS zu bekämpfen, noch ausreichen. Aber eigentlich müsste der UN-Sicherheitsrat schnell dazu übergehen, eigene Massnahmen zu ergreifen. Das tut dieser jedoch nicht, trotz der inzwischen stattgefundenen Annäherung der Vetomächte.

Die Berufung auf das Selbstverteidigungsrecht bleibt aber aus folgendem Grund problematisch: Seit dem 11. September 2001 wird dieses Recht auch auf «angreifende» Nicht-Staatsakteure bezogen. Diese haben kein Territorium, von dem aus angegriffen wird, sie sind also lokal kaum bestimmt. Ebenso lässt sich, da überall und stets das nächste Terrorkommando in Aktion treten kann, der Akt des «bewaffneten Angriffs» auch nicht zeitlich sinnvoll begrenzen.

Diese doppelte Unterbestimmtheit – zeitlich und räumlich – führt zu paradoxen Resultaten. Die Nato-Operation «Active Endeavour» gibt es seit 2001 auf der Legitimationsgrundlage des Selbstverteidigungsrechts. Aus Sicht der Nato hat der «bewaffnete Angriff» vom 11. September 2001 auf das Territorium der USA bis heute nicht aufgehört zu existieren. Jetzt haben wir einen weiteren Fall von «bewaffnetem Angriff» dieser Art hinzubekommen. Und auch er wird räumlich und zeitlich unbeschränkt bleiben. Dabei hätte man schon aus Afghanistan lernen können.

Pazifistische Ausrede?

Natürlich frage ich mich ernsthaft, ob das nicht nur Ausreden sind, um eine Art Pazifismus auch angesichts der IS-Barbarei aufrechterhalten zu können. Würde der Westen nicht ebenfalls falsch regieren, wenn er sich heraushielte und Vorort-Formationen für sich kämpfen liesse? Natürlich soll sich auch die Bundesrepublik Deutschland nicht heraushalten. Sie muss sich dafür engagieren, dass die Öl- und Finanzströme, die den IS am Leben halten, versiegen. Ist man denn unfähig, Konten zu sperren? Ist der Westen denn unfähig, auf die Golfmonarchien und die Türkei in geeigneter Weise einzuwirken? Wenn die westlichen Staaten das nicht wagen, warum trauen sie sich dann ausgerechnet einen erfolgreichen Krieg zu?

Das Völkerrecht muss beachtet, die von uns gesetzten Ursachen müssen schnellstens überwunden werden. Erst dann können die fünf privilegierten Vetomächte, die im Unterschied zu Deutschland eine besondere Verantwortung tragen, den Kampf gegen Terrororganisationen aufnehmen.

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