Russland wählt am Sonntag seine Duma-Abgeordneten. Die Siegerpartei ist bereits klar. Die Frage bleibt, wie hoch der Sieg ausfällt.
Mit Wahlen ist das in Russland bekanntlich so eine Sache. Von freien, geheimen und gleichen Abstimmungen kann in der «gelenkten Demokratie» des Kremlherrschers Wladimir Putin keine Rede sein. Das beginnt bei der Zulassung von Parteien und Kandidaten, führt über den Zugang zu den Medien und endet beim nachgewiesenen und nur notdürftig verschleierten Betrug bei der Stimmauszählung. All das wird es mit hoher Wahrscheinlichkeit auch diesmal geben, bei der Wahl zur Staatsduma an diesem Sonntag.
Vor knapp fünf Jahren führten die dreisten Manipulationen bei der Parlamentswahl zu vehementen Protesten Hunderttausender Bürger. Der Kreml liess die Demonstranten zunächst kontrolliert gewähren. Erst nach der erfolgreichen Wahl des alten/neuen Präsidenten Wladimir Putin im Mai 2012 überrollte die Staatsmacht die Opposition mit brachialen Unterdrückungsmassnahmen. Wenn nicht alles täuscht, dann waren es genau diese Monate des Aufbegehrens, in denen in Putins Denken alle Dämme brachen.
Damals, im Winter 2011/12, nahm eine Entwicklung ihren Anfang, die ihren bisherigen Höhepunkt in der Krim-Krise des Jahres 2014 erreichte: die endgültige Hinwendung Putins zum diktatorischen Regieren und die unwiderrufliche Abwendung von den freiheitlich-demokratischen Werten des Westens.
Heimat, Freiheit und Frau – Russland nahm Michail Ryklin alles. Aufgegeben hat er seine Kritik trotzdem nicht. Mit der TagesWoche sprach der Philosoph und Dissident im Mai 2012 über den Zustand seiner Heimat. Auch heute noch sehr aufschlussreich über die Geschehnisse von damals: «Putin setzt Stalins System fort».
Hatte sich Putin 2008, nach Ablauf seiner ersten beiden Amtszeiten, noch als Hüter der Verfassung präsentiert und seinen Vertrauten Dmitri Medwedew ins Präsidentenrennen geschickt, so trat er nun als «nationaler Führer» auf, der das Land gegen Unterwanderungsversuche von aussen schützen müsse.
Seit jeher war es die grösste Angst Putins, von einer prowestlichen Farbenrevolution gestürzt zu werden, wie sie in Georgien 2003 und in der Ukraine 2004 bereits stattgefunden hatte. Als sich das Ganze in der Kiewer Euromaidan-Revolution Anfang 2014 wiederholte und zuspitzte, reagierte Putin mit militärischen Mitteln. Er liess, gegen jedes Völkerrecht, die Krim annektieren.
In Teilen der westlichen Welt wird die russische Hinwendung zur diktatorischen Gewaltherrschaft noch immer notorisch verharmlost.
Klar muss sein: Wer sich damit abfindet, akzeptiert den Eroberungskrieg als Mittel der Politik. Es war deshalb richtig, dass der ukrainische Präsident Petro Poroschenko in diesen Tagen vor der Duma-Wahl die Finger in die russischen und von Russland geschlagenen Wunden legte und die Abstimmung auf der Krim illegal nannte.
Natürlich weiss Poroschenko, dass er auf die Abläufe vor Ort keinerlei Einfluss hat. Aber sein Protest weist doch wenigstens auf die schmähliche Entwicklung hin, die in Russland seit 2011 stattgefunden hat.
In Teilen der westlichen Welt wird die russische Hinwendung zur diktatorischen Gewaltherrschaft noch immer notorisch verharmlost. Es ist absurd, dass sich linke und rechte Populisten in ihren Attacken gegen den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Edogan ebenso einig sind wie in ihrer offensiven Verteidigung des Putinismus. Widersprüchlicher geht es nicht.
Dabei ist offensichtlich, dass es beiden Autokraten vor allem um den Ausbau der persönlichen Machtbasis geht, wobei Erdogan immerhin noch einigermassen demokratisch wählen lässt. Putin dagegen hat nicht nur die Amtszeit des Präsidenten auf sieben und die Legislaturperiode der Duma auf fünf Jahre verlängern lassen, um allzu häufige Wahlen zu vermeiden. Er hat die Abstimmungen auch zeitlich voneinander abgekoppelt, um nicht wieder in eine Protest-Wahlkampf-Zwickmühle geraten zu können wie 2011/12.
Der Manipulationsapparat ist gut geölt.
Nach einer Umfrage des Moskauer Lewada-Instituts ist mehr als die Hälfte der Russen überzeugt, dass es bei der Duma-Wahl Fälschungen geben wird. Zugleich ist es Putin gelungen, in der Ukraine-Krise die patriotische Stimmung im Land anzuheizen und die Bürger hinter dem «nationalen Führer» und seinen Parteigängern im Parlament zu versammeln. Angst vor einer Wahlniederlage braucht Putin also nicht zu haben.
Ist die OSZE wieder vor Ort? Ja, die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) sendet 466 Beobachter nach Russland, fast doppelt so viele wie noch 2012 bei der Präsidentschaftswahl. Zu den vergangenen Parlamentswahlen 2011 hatte die OSZE 318 Wahlbeobachter akkreditiert. Damals hatte die Organisation die Duma-Wahl wegen Verstössen gegen demokratische Standards als nicht fair eingestuft.
Wer gewinnt? Die Regierungspartei Geeintes Russland (auch Einiges Russland). Die Frage ist nur wie hoch. Jeder verlorene Prozentpunkt ist ein Indikator für die Stimmung im Land. Gemäss Umfragen hat der Zuspruch zwischen Februar 2016 und April 2016 um 7 Prozent nachgelassen.