Die Ecopop-Vorlage löst keine Probleme. Ein überzeugter Grüner kann unmöglich dafür sein. Ein Gastkommentar von Guy Morin.
Wenn die zwei Weltkriege und der darauf folgende Kalte Krieg zwischen den USA und Russland die zentralen Ereignisse des 20. Jahrhunderts waren, so wird die Frage des Wachstums, des Ressourcenverbrauchs und die damit verbundene ökologische Übernutzung unseres Planeten die zentrale Frage des 21. Jahrhunderts werden. Dies obwohl uns der Club of Rome bereits 1972 auf die Grenzen des Wachstums hinwies und wir eigentlich schon im letzten Jahrhundert die Weichen hätten richtig stellen müssen. Die Folgen des zunehmenden Verbrauchs von fossilen Energien, des Anstiegs des Energiekonsums, des CO2-Ausstosses und die damit verbundene Klimaerwärmung sind hinlänglich bekannt.
Am Treffen der C40 Climate Leadership Group, der Bürgermeister der Megastädte für den Klimaschutz, in Johannesburg Anfang Februar sprachen alle Bürgermeister von «Adaptation», also von der Anpassung an die Klimaerwärmung. Denn die Städte werden von Stürmen, Flutwellen oder Überschwemmungen heimgesucht. Nun müssen sie in Hochwasserschutz, Dämme, Deiche oder Flussrenaturierungen investieren. Geld, das für Investitionen in den Klimaschutz – etwa in den öffentlichen Verkehr, die Energieeffizienz oder in die erneuerbaren Energien – fehlen wird.
Auf zu grossem Fusse
Um eine nachhaltige Entwicklung zu erreichen, müssten wir den «ökologischen Fussabdruck» von weltweit 2,7 auf 1 reduzieren. Dieser Wert besagt, dass die Weltbevölkerung zurzeit die natürlichen Reserven von 2,7 Planeten verbraucht. In der Schweiz beträgt der ökologische Fussabdruck 5!
Über das Ziel sind wir uns einig: Ob ökologischer Fussabdruck 1, 2000- Watt-Gesellschaft, eine Tonne CO2 pro Kopf – wir kommen nicht um eine Verringerung des Ressourcenverbrauchs herum. Wie wir das Ziel erreichen und wann wir das Ziel erreichen sollen oder wann es gar zu spät ist, da scheiden sich die Geister. Ist Nachhaltigkeit mit Wachstum vereinbar? Gibt es «green growth» oder ist das ein Widerspruch in sich? Müssen wir dazu das weltweite Bevölkerungswachstum eindämmen, den Ressourcenverbrauch pro Kopf senken oder beides?
Dass das globale Bevölkerungswachstum die Nachfrage nach Ressourcen mitbestimmt und beim Ziel der Nachhaltigkeit ein wichtiger Faktor ist, ist unbestritten. Die Ecopop-Initiative löst dieses Problem aber nicht. Die Initiative der «Vereinigung Umwelt und Bevölkerung: Ecopop» will die jährliche Nettozuwanderung in der Schweiz im Durchschnitt auf 0,2 Prozent der ständigen Wohnbevölkerung beschränken und 10 Prozent der staatlichen Entwicklungshilfe zur Förderung der freiwilligen Familienplanung einsetzen.
Auf den ersten Blick mag das als ökologische oder grüne Massnahme plausibel erscheinen. Ich bin aber überzeugt davon, dass sie keine Lösung bringt und dem Umweltgedanken mehr schadet als nützt. Deshalb lehne ich sie dezidiert ab. Die Ecopop-Initiative begrenzt nicht das Bevölkerungswachstum der Schweiz, sondern die Zuwanderung. Sie ist damit fremdenfeindlich und verteidigt die Privilegien der ansässigen Einwohnerinnen und Einwohner der Schweiz.
Wenn wir schon das weltweite Bevölkerungswachstum mit Entwicklungshilfe angehen wollen, müsste die Schweiz solidarisch sein und die staatliche Entwicklungshilfe auf die von der UNO geforderten 0,7 Prozent des Bruttosozialprodukts massiv steigern. Heute beträgt der Schweizer Anteil 0,46 Prozent des Bruttosozialprodukts. Neben der «freiwilligen Familienplanung» müssten internationale Projekte zur Unterstützung der Frauen, der Bildung und der Bekämpfung der Kindersterblichkeit gefördert werden.
Diese Massnahmen haben nachweislich einen Einfluss auf das Bevölkerungswachstum. Die Ecopop-Initiative ist scheinheilig, denn sie erweckt den Anschein, ein weltumspannendes Problem zu lösen, und will vordergründig unser ökologisches Gewissen beruhigen. Dabei ist sie eine SVP-Masseneinwanderungsinitiative hoch zwei. Denn zusätzlich zur Forderung von Kontingenten beschränkt sie diese auf rund 16 000 pro Jahr.
Nachhaltigkeit ist für die Zukunft
Ich bin überzeugt, dass «green growth» oder eine «green economy», wie sie von der OECD, den C40 Cities oder dem Global Footprint Network vorangetrieben wird, möglich ist. Mathis Wackernagel, der Gründer des Global Footprint Network und Erfinder des ökologischen Fussabdrucks, hat uns in diesen Tagen Folgendes geschrieben: «Here is the simple case that respecting natures budget is pro-poor, pro-technology and pro-future (and therefore pro-economy).» Nachhaltigkeit ist für Arme, für Technologie und für die Zukunft also für die wirtschaftliche Entwicklung. Auf dem Weg zur Nachhaltigkeit sind Technologie und Innovation unsere stärksten Trümpfe. Wachstum war bisher immer mit mehr Ressourcenverbrauch, mehr Energieverbrauch verbunden. Ein krebsartig wucherndes und ungezügeltes Wachstum also.
Unterdessen gibt es unzählige Beispiele, dass dies nicht so sein muss. Dank Innovation lassen sich Wertschöpfung, Umsatzsteigerung, Steigerung der Energieeffizienz und Senkung der Umweltbelastung vereinen: «green growth» oder nachhaltiges Wachstum. Ein Beispiel ist die Ernst Schweizer AG, eine Metallbaufirma aus der Region. 2011 generierten mehr als doppelt so viele Mitarbeitende einen um den Faktor 2,6 höheren Umsatz im Vergleich zu 1978. In diesen 33 Jahren nahm der Energieverbrauch hingegen ab. Der Anteil erneuerbarer Energien wuchs von 3,7 Prozent im Jahr 1978 auf knapp 75 Prozent im Jahr 2011. Die Treibhausgas-Emissionen wurden um fast 80 Prozent reduziert, die Umweltbelastung wurde halbiert. Dämmung der Fabrikhalle, Holzpelletheizung, solare Kühlung der Server, Lackieranlage mit Wärmerückgewinnung, energieeffiziente Fahrzeuge und weitere Massnahmen machten dies möglich.
Um eine nachhaltige Entwicklung zu verwirklichen, müssen wir in die sogenannten «clean technologies», in Energieeffizienz und erneuerbare Energien investieren und unsere Entwicklungshilfe massiv aufstocken. Die Ecopop-Initiative dient diesen Zielen nicht. Deshalb lehne ich sie ab.
_
* Der Grüne Guy Morin ist Basler Regierungspräsident und Vorsteher des Präsidialdepartements.
Artikelgeschichte
Erschienen in der Wochenausgabe der TagesWoche vom 21.02.14