Es ist kurzsichtig aus dem Misserfolg einer Technologie das Scheitern der Energiewende als Ganzes abzuleiten: Die Energiewende kommt. Mit oder ohne Geothermie.
Der Blitz kam nicht aus heiterem Himmel: Spätestens seit dem Erdbeben von Ende 2006 in Basel war klar: Die Nutzung der Erdwärme kann sich ebenso als Ritt auf dem Vulkan erweisen wie das Fracking von Erdgas. Jede Energie, ob nuklear, fossil oder erneuerbar, birgt Risiken und hat Nebenwirkungen. Leider fehlte diese Warnung auf der Verpackungs-Beilage des St. Galler Bohrprojekts.
Entsprechend überrascht reagierten am Wochenende Leute aus Politik und Medien auf das neue Geothermie-Beben. Dieses erschütterte nicht nur den Untergrund im Grenzland St.Gallen/Appenzell, sondern bringt anscheinend auch die Schweizer Energiepolitik ins Wanken: «Schwerer Rückschlag für Leuthards Energiestrategie», titelte etwa die «NZZ am Sonntag». Und die «Ostschweiz am Sonntag» liess den Berner Atomkraft-Fan Christian Wasserfallen auf der Frontseite frohlocken: «Der Atomausstieg war von Anfang an falsch.» (online nicht verfügbar)
Eine unsinnige Folgerung
Müssen wir also die bundesrätliche Energiestrategie begraben, falls die Verstromung der Erdwärme endgültig scheitert? Wer diese These vertritt, muss tief ins Papier hinein bohren. Dann stösst er im Bericht «Energieperspektiven 2050» auf Seite 232 aufs Kapitel Geothermie. Darin quantifizierten die Verfasser den Strom aus Geothermie im Jahr 2050 je nach Szenario auf 0,4 bis 4,3 Milliarden Kilowattstunden (kWh). Sie weisen aber auch auf die «grosse Unsicherheit» dieser Schätzung hin. Die obere Zahl von 4,3 Milliarden kWh (7 % der nationalen Stromproduktion) im «Szenario «C&E» pickten nun einige Sonntags-Medien heraus und leiteten daraus ab, die Energiestrategie stehe und falle mit der Geothermie. Diese Folgerung ist unsinnig und kurzsichtig zugleich.
Die Energiezukunft ist offen
Unsinn ist, Perspektiven über die Energieversorgung im fernen Jahr 2050 zum Nennwert zu nehmen. Denn die vielen Szenarien, die der Bundesrat präsentiert, zeigen nur eines: Die Energiezukunft ist offen. Die Politik kann und soll diese mit geeigneten Massnahmen oder Unterlassungen beeinflussen.
Doch wohin die Reise geht, hängt auch von äusseren Einflüssen ab: Wächst zum Beispiel die Wirtschaft nur halb so stark, wie es der Bundesrat in seinen Perspektiven vorsieht, wird die Schweiz 2050 weit weniger Strom verbrauchen, als die Geothermie im besten Fall produziert. Kurzsichtig ist es, aus dem Misserfolg einer Technologie das Scheitern der Energiewende als Ganzes abzuleiten: Die Wende in der Energieversorgung tritt auch ohne Geothermie ein, denn die Ausbeutung von nicht erneuerbarer Energie lässt sich nicht ewig fortsetzen. Die Frage ist nur, ob wir diese Wende chaotisch erleiden oder erfolgreich gestalten.