Die falsche Debatte zur falschen Zeit

Nach den sexuellen Übergriffen in Köln redet keiner über die Opfer, alle reden über die Täter. Die wichtige Debatte über sexuelle Gewalt rückt in den Hintergrund, viel wichtiger erscheint der Umstand, dass die Täter Ausländer waren. Das ist falsch.

So geht's nicht weiter: Frauen protestieren am 7. Januar 2016 in Köln.

 

(Bild: Keystone / Oliver Berg)

Nach den sexuellen Übergriffen in Köln redet keiner über die Opfer, alle reden über die Täter. Die wichtige Debatte über sexuelle Gewalt rückt in den Hintergrund, viel wichtiger erscheint der Umstand, dass die Täter Ausländer waren. Das ist falsch.

Es ist frustrierend.

In Köln gab es in der Silvesternacht Dutzende Überfälle, mehrere sexuelle Belästigungen und zwei Vergewaltigungen. In Weil am Rhein wurden zwei minderjährige Mädchen mutmasslich von einer Gruppe Syrer vergewaltigt. Und auch in Zürich kam es zu Übergriffen «dunkelhäutiger Männer» auf Frauen.

Es ist frustrierend. Nicht der Umstand, dass diese Taten begangen wurden – das ist schrecklich. Frustrierend aber ist die Debatte, die nun geführt wird. Und bei der man sich als Journalistin zweimal die Frage stellt, ob man sich einmischen soll. Und wenn ja, auf welche Weise.

Alle reden über die Täter. Diese sind in allen Fällen dunkelhäutig oder «dem Aussehen nach nordafrikanisch», sie fallen «in Rudeln» über Frauen her. In Deutschland ist das für Politiker Anlass genug, über die Abschiebung straffällig gewordener Flüchtlinge zu diskutieren – obwohl die Herkunft der Täter und ihr Aufenthaltsstatus bislang nicht restlos geklärt ist. Andere sprechen offen darüber, dass die Grenzen geschlossen werden müssen. Im Vorfeld der Abstimmung über die Durchsetzungsinitiative kann man nur hoffen, dass diese Stimmung nicht vollends in die Schweiz überschwappt.

Die Debatte hilft in keiner Weise, sexuelle Gewalt zu beseitigen.

Denn diese Debatte wird auf der falschen Ebene geführt und trifft so nicht den Kern des Problems: Sie hilft in keiner Weise, sexuelle Gewalt zu beseitigen. Sie ist zu einem Instrument in der Flüchtlingsdebatte geworden.

Die Taten von Köln sollen keineswegs verharmlost werden. Was sich dort abspielte, ist unfassbar. Doch das ist nicht der Grund, warum beispielsweise ich mich bislang nicht dazu äussern wollte. Sondern dass diese Debatte auch hier nach jeder Fasnacht oder jedem Wochenende geführt werden könnte – sie aber nicht geführt wird. Denn dann müsste man ja zugeben, wie weit verbreitet sexuelle Übergriffe sind.

Sexuelle Gewalt ist – leider – alltäglich

Sexuelle Gewalt findet immer statt, nur meist verborgen vor dem öffentlichen Blick hinter verschlossenen Türen und Fensterläden. Und sie gelangt nur selten zur Anzeige, weshalb die Fallzahlen, die eine Statistik ausweisen kann, verfälschend wirken. Die Täter sind zudem bei Weitem nicht nur Ausländer oder Flüchtlinge: Laut Bundesamt für Statistik wurden 2014 in der Schweiz knapp 4000 Vergehen gegen die sexuelle Integrität verübt, die Mehrheit von Schweizern. 139 Vergehen wurden davon Asylsuchenden zur Last gelegt.

Trotzdem herrscht nun in der Diskussion um Köln der Blick auf die kulturellen Unterschiede vor und werden diese als Grund für die Übergriffe eingebracht. Unbestritten gibt es in arabischen und nordafrikanischen Ländern andere Geschlechterordnungen. Und sehr gerne darf man über die Idee von Frauenkursen für Asylbewerber nachdenken. Doch diese Debatten sollten unabhängig von den aktuellen Vorfällen geführt werden.

Die Medien schreien auf, weil die Täter Ausländer waren.

Denn für mich als Frau hat sich nichts geändert. Ich muss mich nicht mehr als sonst ängstigen, wenn ich abends allein durch die Stadt nach Hause gehe. Oder sollte ich sagen, nicht weniger als sonst?

Wurde ich schon Opfer von sexueller Belästigung? Ja. So wie unzählige Frauen da draussen auch. Sei es der Mann, der mir beim Konzert zu nahe rückte und meinte, meinen Po betatschen zu müssen. Oder derjenige, der sich in der überfüllten Pariser Metro hinten an mir rieb. Wie schon beim Hashtag #aufschrei, bei dem vor zwei Jahren Frauen über Twitter ihre sexistischen Erfahrungen teilten, käme wohl auch in diesem extremeren Fall einiges an Berichten zusammen, würde man danach fragen.

Doch das tut man nicht. Die Medien schreien nicht auf, weil Frauen sexuell belästigt wurden, sondern weil die Täter mutmasslich Ausländer – schlimmer noch: Asylsuchende – waren. Wobei dies neben dem Ereignisdatum auch der einzige Punkt ist, der die mediale Verknüpfung der Fälle in Weil und Zürich mit Köln zulässt.

Wird nun vermehrt über sexualisierte Gewalt und Belästigung geredet werden? Wohl kaum. Oder höchstens für eine kurze Zeit. Danach wird das Thema wieder hinter verschlossenen Türen verschwinden – so wie der Ruf nach dem #aufschrei verhallt ist.

Es ist frustrierend.

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