Das Wichtigste zuerst: Die Universität hat nicht nur eine Freiheit, sondern gleich mehrere: gewiss die Freiheit von Lehre und Forschung, aber auch die Freiheit, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu beschäftigen, die bestimmten politischen Kräften ein Dorn im Auge sind. Und sie hat auch die Freiheit, allenfalls missliebige Studierende oder Studierendengruppen zuzulassen und auszubilden.
Missliebigkeit und «Dorn im Auge» beruhen auf der anmassenden Forderung, dass die Uni politikfrei sein müsse. Beileibe nicht von jeder, sondern von einer ganz bestimmten Politik. Wenn beispielsweise ein Ökonomieprofessor seine Texte mit neoliberaler Gläubigkeit verbreitet, kommt niemand auf die Idee, dass er in unzulässiger Weise ein politisches und damit ein garstiges Lied (Goethe: «Faust») anstimme.
Die Forderung nach Politikfreiheit ist selber sehr politisch und entspringt Eliminationssehnsüchten am rechten Flügel des Medienspektrums. Neuerdings wird sie auch von Blättern der ehemaligen Mitte (NZZ, «Sonntags-Zeitung») mitgetragen, die sich offensichtlich vom Getöse der Rechten beeindrucken lassen.
Die «Weltwoche» hatte bereits im Oktober 2012 gleich zweimal ihre Schrotflinte gegen Universitätsangehörige abgeschossen, die «zeitgeistige Irrlehren» verbreiten würden. Im Visier waren Fachleute, die sich etwa mit Klimawandel, Genderfragen, Völkerrecht beschäftigen und zu unerwünschten Einsichten kommen.
Sind Journalisten der «Weltwoche» dazu berufen, über die Auftragserfüllung von Akademikern zu urteilen?
Die Frage, ob solche Akademiker ihren Universitätsauftrag erfüllen und wer dazu berufen und befähigt ist, dies zu beurteilen, ist die eine. Sind es etwa die Journalisten der «Weltwoche»? Eine andere Frage ist, was Universitätsangehörige privat und öffentlich von sich geben dürfen.
Der jüngste Streit wird um genau diese Frage geführt, aber mit der Frage vermengt, wie politisch die Universität sein dürfe und was die akademische Freiheit zulasse. Eine zusätzliche Vermengung bringt noch die Frage der Universitätsfinanzierung ins Spiel, die mit unpopulären Stellungnahmen von Universitätsangehörigen gefährdet sein soll.
Die aktuelle Polemik gilt persönlichen Kommentaren, die von Universitätsangehörigen ausserhalb ihrer Universitätstätigkeit im Internet als Blog platziert worden sind und platziert werden. Konkret geht es um Beiträge der Genderforscherin Franziska Schutzbach (Uni Basel) sowie des Historikers Philipp Sarasin (Uni Zürich) und seiner Crew.
Wo kämen wir hin, wenn zu jeder privater Äusserung von Angestellten eine Stellungnahme der Uni-Leitung nötig schiene.
Im Kampf gegen unbequeme, unliebsame und darum angeblich unzulässige Privatkommentare von Universitätsangehörigen wird, weil dies mehr Druck produziert, gleich die ganze Uni einbezogen und mit der Erwartung verbunden, dass diese gefälligst unpolitisch zu sein habe und sich auf Wissenschaft beschränken solle.
In einer ersten Stellungnahme reagierte die Uni Basel auf die jüngste Herausforderung der «Basler Zeitung» völlig richtig: Es gehe um den Blog einer Privatperson. Und: «Mitgliedern der Universität Basel steht es frei, ihre Meinung an solchen Orten zu äussern.» Mehr hätte das Blochersche Kampagnenblatt mit seiner auf Instrumentalisierung angelegten Anfrage schlicht nicht zugute gehabt.
Auf Nachfrage erhielt sie aber eine zweite Äusserung, die dann weniger glücklich war und als Widerruf erschien. Statt zu sagen, dass der Mediensprecher bereits alles Nötige gesagt habe, hielt es die Spitze des Rektorats für nötig, sich zur Qualität der früheren Privatäusserung offiziell zu äussern, die eine temporäre Lehrbeauftragte und Doktorandin abgegeben hat.
Wir müssen uns nun fragen, wo wir da hinkämen, wenn solche distanzierende (oder auch zustimmende) Stellungnahmen allgemein nötig erscheinen würden. Sowohl den direkt Kritisierten als auch den sich indirekt zuständig fühlenden Universitätsleuten ist möglichst viel Gelassenheit gegenüber politischer Kritik zu wünschen.
Die Universität wünscht, dass Exponenten ihres Hauses den «Elfenbeinturm» verlassen, in der Gesellschaft präsent sind.
Wegen meiner im Regierungsauftrag ausgeübten Tätigkeit in der Bergier-Kommission zur Schweiz 1933–1945 und als Präsident der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus (EKR) wurden immer wieder Forderungen an die Uni herangetragen, sie solle diesen unhaltbaren Professor entlassen. Einmal berichtete mir der frühere Rektor bei einer zufälligen Begegnung auf dem Korridor mit gespielt ernster Miene von solchen Interventionsversuchen, um dann lachend beizufügen, es seien mindestens gleich viele Schreiben eingetroffen, die der Universität zu diesem Mitglied gratuliert hätten.
Was aber, wenn diese gleichgewichtigen Urteile nicht gegeben gewesen wären? Müsste die Universität irgendwelche Konsequenzen ziehen? Die Universität wünscht, dass Exponenten ihres Hauses den «Elfenbeinturm» verlassen, in der Gesellschaft präsent sind, Visibilität praktizieren. Besonders erwünscht ist dies etwa in medizinischen, aber nicht in sozialen Gesundheitsfragen. Gar nicht geschätzt wird dies von rechtspolitischer Seite, wenn es um Armuts-, Geschlechter- und Migrationsforschung geht.
Was will universitäre Freiheit von Lehre und Forschung sichern? Sie will garantieren, dass Erkenntnisse akademischer Arbeit nicht durch ausserwissenschaftliche Erwartungen eingeschränkt werden. Diese Freiheit ist jedoch nicht grenzenlos, sie bewegt sich in einem von der Universität durch die Berufungsumschreibung (venia docendi) und durch Lehraufträge gesteckten Rahmen.
Auch von Professoren und Professorinnen ist zu erwarten, dass ihre Lehrtätigkeit gleichsam als Puzzleteil in das Gesamtangebot eines Instituts oder Departements passt und dass die Forschung dem Spezialgebiet gewidmet wird, für das er/sie berufen wurde.
Universitätsangehörige dürfen einen gewissen Schutz gegen unqualifizierte Angriffe aus der Aussenwelt beanspruchen.
Als Gegenstück der Freiheiten gibt es selbstverständlich auch Pflichten. Dies muss auch darum gesagt sein, weil die falsche Meinung besteht, hier würden private Hobbys mit Steuergeldern finanziert. Dozierende haben allerdings einen gewissen Spielraum in der Gestaltung ihres Arbeitsfelds.
Bezüglich ihrer Stellung in der Gesellschaft dürfen Universitätsangehörige, Bürger und Bürgerinnen der Universitätsrepublik, sogar einen gewissen Schutz gegen unqualifizierte Angriffe aus der Aussenwelt beanspruchen. Schutz sicher in erster Linie für ihre universitäre Tätigkeit im klassischen Sinn, nun aber auch offenbar nötig gewordener Schutz ihrer ausseruniversitären Meinungsäusserungsfreiheit.
Teilnahmen an gesellschaftspolitischen Debatten werden, wie Nebensätze belegen, zusätzlich problematisiert, wenn sie von Citoyens und Citoyennes der Universität kommen, die keine schweizerische Staatsbürgerschaft haben und gar Deutsche sind. Dürfen sie am Ort ihres Wirkens zu gesellschaftspolitischen Fragen öffentlich Stellung nehmen?
Wechselseitige Abhängigkeit
Selbstverständlich sollten sich Fachleute «einmischen» bzw. melden, wenn sie eine wie immer verstandene Fachkompetenz einbringen können, zum Beispiel zum Lehrplan 21, zu Geschlechterrollen oder zum Burkaverbot, obwohl sie darüber als «Ausländer» nicht mitabstimmen dürfen. Es sollte aber auch nicht stören, wenn sie sich gleichsam als SRG-Kunden an der Billag-Diskussion beteiligen und, statt «No Billag» zu rufen, sich sogar für «Yo, Billag!» einsetzen?
Bei der Beschäftigung mit der vorliegenden Problematik kann man im Netz auf Äusserungen stossen, die zeigten, dass da eine alte und nicht so schnell veraltete Frage verhandelt wird. Dabei kann man die folgenden Sätze finden, die aus einem anderen Kontext stammen, aber noch immer gültig sind und bleiben:
«… eine Trennung von Politik und Wissenschaft in unterschiedliche Sphären ist genauso vormodern wie die Berufung auf Weisheitswissen. Politik und Wissenschaft stehen in wechselseitiger Beziehung und Abhängigkeit. So sehr die Politik auf wissenschaftliche Erkenntnisse angewiesen ist, so sehr ist die Wissenschaft darauf angewiesen, dass die Politik ihre Infrastruktur und Forschungsfinanzierung und vor allem die nötigen Freiräume zur Reflexion gewährt.»
Wir dürfen und wir müssen anerkennen, dass zwischen Wissenschaft und Politik Interdependenzen bestehen und dass es dabei auch Spannungen geben kann.