Die neuen jungen Linken sind erfrischend unverkrampft und locker – ganz anders als die «Bewegten» in den 1980er-Jahren.
Seit Jahren versucht die Mehrheit der Printmedien den 1. Mai totzuschreiben. Jahr für Jahr repetieren die Pressemeldungen die Mär vom immer kleiner werdenden Fähnlein alternder Ewiggestriger, die ein inhaltslos gewordenes Ritual abhalten. Und seit einigen Jahren frage ich mich: Wird hier bewusst etwas übersehen? Sind die Kollegen noch nicht wach? Oder ersparen sie sich einfach den «anstrengenden» Umzug und warten, ihre Berufskrankheit pflegend, am Barfi darauf, dass die ältere Generation zu Bier, Kaffee, Kuchen und Geschichten aus vergangenen Tagen eintrudelt.
Da sind die Jungen mehrheitlich natürlich längst nicht mehr dabei. Entweder sitzen sie im Zug nach Zürich, oder sie ziehen direkt zum «Hirscheneck», das am «Tag der Arbeit» seinen Geburtstag feiert.
Feministin im kurzen Rock
Meine Beobachtung ist, dass die Demos seit rund zehn Jahren eher grösser werden. Dabei ist die Stimmung durchaus fröhlich bis ausgelassen. Bei meiner letzten 1.-Mai-Demo im vorletzten Jahr erschien eine Junggewerkschafterin in einem an eine Gardeuniform der Roten Armee erinnernden Kostüm mit superkurzem Rock und neckischem Schiffchen auf dem blonden Wuschelkopf. Das Gesicht sorgfältig geschminkt, drehte sie eine Pirouette und meinte: «Am 1. Mai muss man gut angezogen sein. Dann wird man fotografiert.»
Kaum zu glauben, dass diese Frau, eine beinharte Feministin, ein unverkrampftes Verhältnis zu einem gewissen Chic hat. Feminismus bedeutet für sie nicht Lustfeindlichkeit – und Widerstand nicht stetigen heiligen Zorn gegen das «Schweinesystem». Den hegt der eine oder die andere junge Linke vielleicht auch. «Aber», wie Unia-Sekretärin Franziska Stier sagt, «unsere Protestmittel sind kreativer, bunter, lustvoller – und wir können auch mal über uns selber lachen.»
Wenn wir in den 1980er-Jahren gegen Nato-Raketen oder gegen das Establishment demonstrierten, riefen wir bei den shoppenden Konsumenten in den Innenstädten blankes Entsetzen hervor. Das war uns recht. Wir waren keine Hippies. Hatten keine Blumen im Haar, sondern Helme auf dem Kopf. Skandierten hasserfüllt «Kauft, kauft, kauft euch tot!» und dergleichen.
Natürlich, da waren die Forderungen nach autonomen Freiräumen, Selbstverwaltung und nichtkommerzieller Kultur. Aber der Grundtenor war destruktiv. Wir wollten im Wortsinn kaputt machen, was uns kaputt machte. Die Zusammenarbeit mit staatstragenden Strukturen wie Gewerkschaften oder gar der Sozialdemokratie war undenkbar.
Doch die Linke lernt aus ihren Fehlern. In der «Alten Stadtgärtnerei» gelang zum ersten Mal das Konzept, sowohl per Initiative als auch mit Barrikaden einen Freiraum zu schaffen, vor allem aber einen grossen Teil der Stadtbevölkerung auf die eigene Seite zu ziehen. Das Ensemble aus Wirtschaftsgebäuden, Glashäusern und wildem Grün bot Platz und Infrastruktur für praktisch jede Fraktion der linksalternativen Szene, aber auch für unpolitische junge Künstler und auch jede Menge Spinner.
Die Lehren aus dem AJZ
Anders als im AJZ zuvor, hielt man harte Drogen und gewalttätige oder sonst übergriffige Säufer auf Abstand. Man bemühte sich erfolgreich um Offenheit und Pluralismus, auch wenn jede Fraktion immer noch versuchte, ihr eigenes Süppchen zu kochen. Wenn es drauf ankam, hielt man zusammen, suchte nach gemeinsamen Lösungen – ob man nun Autonomer war oder der Buddelfraktion der Gemüsehippies angehörte. Es wurde fraktionenübergreifend diskutiert, gestritten, geflirtet und geliebt. Und dennoch zerbrach die Minne in der stadtgärtnerischen Idylle letztlich an Repression und internen Meinungsverschiedenheiten.
In der «Alten Stadtgärtnerei» war die Überwindung der politischen Rivalitäten ein jahrelanger Prozess und bis zum Schluss nicht abgeschlossen. Solche Probleme scheint die neue Linke nicht zu haben. Die jungen Leute wissen, dass es für sie und den Planeten ums Eingemachte geht. Und sie nutzen von den neuen Medien bis zu den Strukturen der institutionalisierten Linken alles, was ihnen dabei helfen kann.
Die jungen Linken müssen nicht mehr durch alle Beizen gehen und Flugblätter verteilen. Ihre Diskussionen laufen häufig übers Netz.
Wie wir damals fordern sie den öffentlichen Raum für sich zurück. Protestieren gegen Polizeirepression. Sie fordern Platz zum Wohnen und Leben. Sie fordern Freiräume und gerechte Löhne. Sie fordern schlicht eine Perspektive. Jeder auf seine Weise, nach seinen Möglichkeiten und Neigungen.
Und sie haben verdammt viel Spass dabei. Sie machen – aus Protest – den Autobahntunnel zum illegalen Dancefloor, mögen wie wir damals den Pogo, wiegen sich aber auch lasziv zu Dubsteb und Elektro. Anmache und Flirten sind unter der Wahrung gewisser Anstandsregeln durchaus erlaubt. Dabei kommt die Politik keineswegs zu kurz.
Neue Medien als Kampfmittel
Dank der neuen Medien ist es heute nicht nur einfacher, spontane Demos und Aktionen zu organisieren wie etwa die Solidaritäts-Demo für den Wagenplatz, die ohne Plakate in wenigen Tagen 500 Leute jeder Couleur mobilisierte – und Regierungspräsident Morin für die Stadtnomaden einnahm. Auch die politische Bildung wird ihnen leicht gemacht – was es wiederum erschwert, an den Alleinvertretungsanspruch der eigenen Splittergruppe zu glauben. Sie mischen sich, für uns damals ein Tabu, beherzt und mit viel Witz in laufende Abstimmungskämpfe und Wahlen ein.
Dass die neue linke Jugendbewegung in der Öffentlichkeit weniger präsent erscheint, als sie es tatsächlich ist, liegt vielleicht daran, dass sie wie alle Jungen im Cyberspace zu Hause ist. Man muss nicht mehr durch alle Beizen gehen und Flugblätter verteilen, und auch Diskussionen laufen häufig übers Netz. Zudem sind die Jungen nicht wie wir früher auf zwei, drei zentrale Treffpunkte angewiesen. Es gibt den Wagenplatz am Hafen, es gibt die Wasserstrasse und «den Block» im St. Johann, die Offenburgerstrasse, die Klybeckinsel, die Inselstrasse, das Café Hammer und das «Hirscheneck» – und das sind nur ein paar der vielen Orte, an denen politisiert, gelebt und gefeiert wird.
Links zu sein ist wieder sexy.