Die Bevölkerung in der Schweiz wächst stark. Darum wollen SVP und Ecopop die Einwanderung begrenzen. Doch auch der Geburtenüberschuss lässt – entgegen früheren Erwartungen – die inländische Bevölkerung weiter wachsen. Eine Analyse.
Die Schweizer Bevölkerung werde schrumpfen. Diese Warnung geistert seit den 1970er-Jahren durchs Land. Der Grund: Die Geburtenziffer, also die durchschnittliche Kinderzahl pro Frau (siehe Box), sank schon 1971 unter die Schwelle von 2,1, die es angeblich für die Stabilisierung der Bevölkerung braucht. Und seit 1980 schwankt diese Ziffer zwischen 1,4 und 1,6, also weit unter der Limite zur Erhaltung des Bestandes.
Plus 1,8 Millionen seit 1980
Trotzdem hat die Bevölkerung in der Schweiz zwischen 1980 und 2013 weiter zugenommen, nämlich um rund 1,8 Millionen Personen. Das zeigen die gestern veröffentlichten Daten des Bundesamts für Statistik. Innerhalb von 33 Jahren entspricht das einer Zunahme von annähernd 30 Prozent. In der Schweiz wuchs die Bevölkerung damit deutlich stärker als im europäischen Durchschnitt (plus 7 Prozent seit 1980).
Der Löwenanteil dieses Wachstums entfiel auf den Wanderungssaldo, also die Differenz zwischen Ein- und Auswanderung. Doch auch der Geburtenüberschuss, also die Differenz zwischen Geburten und Todesfällen, blieb beträchtlich; sein Anteil am Wachstum der Bevölkerung zwischen 1980 und 2013 betrug immerhin 30 Prozent (siehe Grafik).
Weiteres Wachstum prognostiziert
Auch in den nächsten Jahrzehnten wird die Bevölkerung hierzulande weiter wachsen, allerdings weniger schnell. Das jedenfalls erwartet das Bundesamt für Statistik (BFS) in seinem mittleren (Trend-)Szenario ab dem Jahr 2010. Für den Zeitraum von 2010 bis 2030 rechnet das BFS mit einer Zunahme von total 0,87 Millionen Personen. Davon sollen weiterhin 30 Prozent auf den Geburtenüberschuss, 70 Prozent auf den Zuwanderungssaldo entfallen.
Das Wachstum der Bevölkerung ist politisch von Belang. Das gilt besonders für die Schweiz, seit das Volk die SVP-Initiative «gegen Masseneinwanderung» angenommen hat und die Abstimmung über die Ecopop-Initiative «Stopp der Überbevölkerung» bevorsteht. Die SVP-Initiative verlangt eine Kontingentierung der Zuwanderung, lässt aber die Grösse dieser Kontingente offen.
Ecopop-Initiative hat wenig Einfluss
Die Initiative der Organisation Ecopop hingegen fordert konkret: «Die ständige Wohnbevölkerung in der Schweiz infolge Zuwanderung», also der Wanderungssaldo, «darf im dreijährigen Durchschnitt nicht um mehr als 0,2 Prozent pro Jahr wachsen.» Das gilt nach einer zweijährigen Übergangsfrist, in der die Initiative noch einen Wanderungssaldo von 0,6 respektive 0,4 Prozent pro Jahr erlaubt. Keinen Einfluss nimmt diese Initiative jedoch auf das inländische Wachstum der Bevölkerung. Damit fragt sich: Wie wirkt sich dieses Volksbegehren aus im Vergleich zum (in der Grafik dargestellten) Trend-Szenario des BFS? Die Antwort lautet: Erstaunlich wenig.
Das zeigt folgender Vergleich der absoluten Zahlen: Falls das Volk der Ecopop-Initiative Ende dieses Jahres zustimmt, wird der Saldo der Zuwanderung im Jahr 2015 auf 50’000, im Jahr 2016 auf 34’000 und in den folgenden Jahren auf jährlich rund 17’000 Personen beschränkt. Der Geburtenüberschuss hingegen bleibt nach einer Annahme der Ecopop-Initiative nahezu gleich hoch wie im Trendszenario. In diesem Fall würde die gesamte Bevölkerung in der Schweiz (Geburtenüberschuss plus Wanderungs-Saldo) von 2015 bis Ende 2030 um mehr als eine halbe Million Personen weiter wachsen; dies trotz Begrenzung der Zuwanderung. Dieses Wachstum wäre nur um etwa zwanzig Prozent kleiner als das nicht begrenzte Trendwachstum, welches das mittlere Bevölkerungs-Szenario des Bundesamtes für Statistik ausweist.
Bevölkerungszunahme unterschätzt
Zahlen zur Zukunft sind allerdings mit Vorsicht zu geniessen. Das lehrt der Vergleich von früheren Szenarien und der wahren Bevölkerungs-Entwicklung. Beispiel: Das mittlere Bevölkerungs-Szenario des Bundes aus dem Jahr 2000 prognostizierte der Schweiz fürs Jahr 2010 einen Wanderungs-Saldo von 11’300 Personen, einen Sterbeüberschuss von 500 Personen und eine Gesamtbevölkerung von 7,33 Millionen. In Wirklichkeit aber erzielte die Schweiz im Jahr 2010 einen Wanderungs-Saldo von 65’000 sowie einen Geburtenüberschuss von 17’000 Personen. Am Ende des Jahres 2010 lebten 7,87 Millionen Menschen in der Schweiz, sieben Prozent mehr, als der Bund zehn Jahre zuvor prognostiziert hatte.
Quellen: 1990 bis 2010 und 2013: Bevölkerungsstatistik BST. 2020 und 2030: Mittleres Bevölkerungsszenario des BST/2010. Berechnung/Rundung: Guggenbühl
Die Geburtenziffer zeigt, wie viele Kinder eine Durchschnittsfrau in ihrem Leben gebären wird; dies in Bezug auf die aktuelle Bevölkerungsstruktur im jeweiligen Kalenderjahr. Diese Ziffer, so heisst es, müsse bei 2,1 liegen, um den Bestand der Bevölkerung stabil zu halten. Dabei handle es sich aber um einen «theoretischen Wert», betont Raymond Kohli, Experte für Demografie im Bundesamt für Statistik: Die 2,1-Regel gelte nur bei konstanter Bevölkerungsstruktur, also wenn es keine Ein- und Auswanderung gibt, die Lebenserwartung und damit die Alterspyramide gleich bleibt. Das war in der Schweiz aber nicht der Fall: Die Lebenserwartung stieg und die Bevölkerung wuchs aufgrund des positiven Zuwanderungs-Saldos. Darum gibt es in der Schweiz trotz langjähriger tiefer Geburtenziffer weiterhin einen – immer wieder unterschätzten – Geburtenüberschuss.