Lange hat es gedauert, jetzt wird Klartext endlich geredet in der Zuwanderungsfrage, und das künftige Verhältnis unseres Landes zu Europa wird zum Wahlkampfthema. Auch für die Parteien links der SVP.
«Wenn wir die Initiative buchstabengetreu umsetzen, ist das Freizügigkeitsabkommen mit der EU erledigt», sagt FDP-Präsident Philipp Müller in einem Interview mit der «Aargauer Zeitung». Das Volk solle nochmals entscheiden, fordert er: zwischen einer buchstabengetreuen Umsetzung der Masseneinwanderungs-Initiative (MEI) und einem Massnahmenkatalog zur Reduktion der Einwanderung aus Nicht-EU-Staaten (will heissen, einem Ja zu einem gemeinsamen Weg mit der EU).
So viel öffentlich demonstrierte Einigkeit war selten seit der Abstimmung vom 9. Februar 2014.
Klare Worte wurden dieser Tage auch in Basel gesprochen. Ohne bilaterale Verträge laufe in der Nordwestschweiz nichts, lautete das Fazit einer Podiumsveranstaltung am EuroAirport, an der sich die lokale Elite die Ehre gab: von SP-Politikern über KMU-Betreiber bis hin zu Novartis-Exponenten. Das Interesse an diesem Happening war so riesig, dass man kurzfristig in eine grössere Halle ausweichen musste.
So viel öffentlich demonstrierte Einigkeit war selten seit der Abstimmung vom 9. Februar 2014. Das knappe Ja zur Zuwanderungs-Initiative hatte alle Parteien auf dem falschen Fuss erwischt. Auch die SVP, die wohl selber nicht mit einem Sieg gerechnet hatte und kein taugliches Rezept zur Bewältigung der Zuwanderungsprobleme hat.
Bleibt zu hoffen, dass dieses Feuer für eine vernünftige Zuwanderungs- und EU-Politik nach den Wahlen nicht erlischt.
Statt Selbstkritik zu üben, reagierten die Verlierer nach der MEI-Abstimmung hilflos und frustriert. Schuld waren wie immer die anderen, die üblichen wohlfeilen parteipolitischen Phrasen wurden gedroschen und trotzige Parolen verkündet. SP-Schweiz-Präsident Christian Levrat etwa wollte die Ja-Sager-Kantone mit einem 10-Punkte-Plan bestrafen. Ein 300-köpfiges Komitee aus Künstlern, Politikern, Professoren und der Gewerkschaft VPOD lancierte die Rasa-Initiative («Raus aus der Sackgasse»), die an der Urne wohl kaum eine Chance haben wird. Und FDP-Präsident Müller und die Basler SP-Ständerätin Anita Fetz forderten provokativ, doch Ueli Maurer oder Christoph Blocher als «Sonderverhandlungsführer» nach Brüssel zu schicken.
Klar, es ist Wahlkampf. Von einer parteiübergreifenden Allianz der Vernunft zu sprechen, ist voreilig. Positiv überrascht stellt man aber heute fest: Endlich hat sich die politische Schweiz jenseits der SVP aus ihrer Igelstellung gelöst und bietet dem wirtschaftsfeindlichen Anti-EU-Populismus der Volkspartei offen die Stirn. Bleibt zu hoffen, dass dieses Feuer nach den Wahlen nicht gleich wieder erlischt.