Die Rückweisung der Erbschaftssteuer-Initiative ist ein billiger Winkelzug der Bürgerlichen

Der Ständerat hat aus rechtlichen Bedenken die Erbschaftssteuer-Initiative zurückgewiesen. In Tat und Wahrheit will die bürgerliche Mehrheit ihre Klientel schützen.

Wirklich Geld ist dort, wo Reichtum über Generationen hinweg vererbt wird. Dass man es dort holen könnte, hat sich bis weit in den Mittelstand herumgesprochen. Das macht bürgerliche Politiker nervös. (Bild: ALESSANDRO DELLA BELLA)

Der Ständerat hat aus rechtklichen Bedenken die Erbschaftssteuer-Initiative zurückgewiesen. In Tat und Wahrheit will die bürgerliche Mehrheit ihre Klientel schützen.

Der Ständerat hat am Dienstag die inhaltliche Diskussion über die Initiative «Millionen-Erbschaften besteuern für unsere AHV (Erbschaftsteuerreform)» verweigert und das Geschäft an die zuständigen Kommissionen zurückgewiesen. Es müsse erstens abgeklärt werden, ob da nicht die «Einheit der Materie» verletzt sei (gemeint ist die Zweckbindung der neuen Steuer für die AHV). Und zweitens, ob die Initiative nicht überhaupt ungültig sei, weil sie bestehende rechtliche Normen verletze.

Beide Einwände waren vor dem Rat von Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf als nicht stichhaltig bezeichnet worden. Der Ständerat war anderer Meinung. Also dreht die Initiative nun eine «Ehrenrunde» durch die Kommissionen.

Selbstverständlich ist es das gute Recht des Ständerates, einen Initiativtext zwecks rechtlicher und inhaltlicher Begutachtung zurückzuweisen. Dies ist allerdings bereits ein ziemlich heftiger Eingriff in die Volksrechte, den man nicht leichtfertig tun darf. Eine solche Massnahme sollte man möglichst selten und nur in gravierenden Fällen ergreifen – und dann nach transparenten und nachvollziehbaren Kriterien. Wenn diese Kriterien tatsächlich erfüllt sind, darf und muss eine Initiative für ungültig erklärt werden. Mit Betonung auf «muss» – auch dann also, wenn es starken politischen Kräften im Rat nicht gefällt.

Die Initiativen zum Minarettverbot, zur Ausschaffung, zu pädophilen Erziehern, zur Masseneinwanderung hätten mindestens ebenso viele Fragen in Sachen Einheit der Materie und/oder Kollision mit dem übergeordnetem Verfassungs- und Völkerrecht erlaubt wie die Initiative zur Erbschaftssteuer. Jene aber hat man gleich zur Abstimmung gebracht und schlägt sich jetzt mit kaum lösbaren Umsetzungsproblemen herum. Die Erbschaftssteuer dagegen ist ein inländisches Projekt und liesse sich ohne internationale Verwerfungen umsetzen.

Es ging im Ständerat auch gar nicht um rechtliche Unsicherheiten und daraus folgende Abklärungen oder um erwartete Umsetzungsprobleme. Es ging vielmehr darum, dass die bürgerliche Mehrheit in der Ständekammer die Besteuerung von Erbschaften in der direkten Linie ganz einfach nicht will, weil sie den Interessen ihrer Klientel zuwiderläuft.

Und wirklich Geld ist dort, wo grosser Reichtum über Generation hinweg immer weiter vererbt wird.

Und es ging darum, dass aus Sicht dieser bürgerlichen Mehrheit ein recht grosses Risiko besteht, dass die Initiative eine relevante Stimmenzahl oder sogar die Mehrheit hinter sich bringt. Denn die künftige sichere Finanzierung der AHV ist für die Stimmbürger bis weit in den Mittelstand hinein ein zentrales Anliegen. Dass man das Geld dort holen sollte, wo es ist, hat sich ebenfalls bis weit in den Mittelstand hinein herumgesprochen. Und wirklich Geld ist dort, wo grosser Reichtum über Generation hinweg immer weiter vererbt wird. Eine Erbschaftssteuer auf grosse Vermögen (laut Initiative: mehr als zwei Millionen Franken) erscheint bei dieser Betrachtungsweise überaus sinnvoll.

Gleiche Startchancen für alle

Ich habe eigentlich nie verstanden, warum die Erbschaftssteuer in der direkten Linie in den Kantonen weitgehend abgeschafft wurde. Richtig eingesetzt, könnten die Erträge aus der Erbschaftssteuer dazu beitragen, Ungleichheiten in der Gesellschaft abzudämpfen – sei das über die finanzielle Sicherung der AHV, wie es die Initiative verlangt, sei es über die gezielte Förderung von Kindern aus wirtschaftlich schwächeren Schichten. Letzteres wäre ein Beitrag zur Herstellung gleicher Startchancen für alle – und das wiederum würde einer der Grundideen der Demokratie entsprechen: keine Benachteiligung wegen Geschlecht, Rasse, Religion oder Herkunft.

Dass die bürgerliche Seite, einschliesslich der Grünliberalen, solcherlei gerne als «Gleichmacherei» bezeichnet und das negativ meint, ist nicht weiter erstaunlich. Denn diese Seite müsste wohl etwas abgeben. Für andere Leute aber ist der Begriff «Gleichmacherei» womöglich positiv besetzt, weil sie etwas bekommen würden.

Schenkungs-Tsunami ausgelöst

Offenkundig befürchtet das Bürgertum ernstlich, dass die Erbschaftssteuer-Initiative angenommen werden könnte. Deshalb löste nur schon deren Ankündigung im Herbst 2011 einen «Schenkungs-Tsunami» aus, der manchen Notar an seine Kapazitätsgrenze brachte. Denn die Initiative sieht im Falle der Annahme eine Rückwirkung vor. Was ziemlich ungewöhnlich und womöglich rechtlich tatsächlich nicht haltbar ist.

Dass der Ständerat nun die Behandlung der Initiative vorderhand verweigert – wahrscheinlich in der Hoffnung, man könne sie später für ungültig erklären –, ist ebenfalls ein Zeichen für die Nervosität des bürgerlichen Lagers. Ich sehe den Vorgang allerdings auch als Chance, endlich klare Rahmenbedingungen für die Beurteilung der Gültigkeit von Initiativen zu schaffen. In den vergangenen Jahren ist nämlich über mancherlei abgestimmt worden, dessen rechtliche Seriosität durchaus zweifelhaft war.

Wenn für alle solchen Fälle künftig klare Regeln und Verfahren bestünden, wäre das ein Fortschritt. Wenn es aber nur darum geht, die eine Initiative zur Erbschaftsbesteuerung aus dem Weg zu räumen, wäre die Zurückweisung im Ständerat nichts als ein billiger Winkelzug.

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