In blinder Angriffswut stürzten sich die Ankläger auf die muslimische Familie, die Schulleitung und Bildungsdirektorin Monica Gschwind. Drei Lehren aus dem Trauerspiel um den Therwiler Händedruck.
In solchen Fällen heisst es gerne: Die Volksseele kocht. Die Baselbieter Bildungsdirektion hat der Volksseele nun eine Abkühlung verpasst. Sie ist in der Therwiler Händedruck-Affäre zum Entschluss gelangt, die Rechtsgrundlage sei gegeben, um Schüler zu verpflichten, ihren Lehrern und Lehrerinnen die Hand zu reichen, wenn diese das einfordern.
Die Geschichte ist in mehrerer Hinsicht ein Lehrstück. Sie zeigt auf, wie es um die Schweiz im Jahr 2016 bestellt ist. Wie fragil und leicht reizbar die seltsame Konstruktion Volksseele ist. Wie gross die eigene Verunsicherung sein muss, dass eine Geste zweier Jugendlicher ausreicht, das eigene Selbstverständnis ins Wanken zu bringen.
Die erste Lehre: Der Topf mit der Volksseele gehört nicht nur abgekühlt, sein Inhalt gehört in den Ausguss. Niemand hat zu befehlen, was schweizerisch ist und was nicht. Kulturelle Identität lässt sich nicht zusammenbrauen, sie entsteht aus geteilten Überzeugungen..
Sie lässt sich also auch nicht über Repressionen erzwingen. Das Verhalten mag sich so ändern lassen, die Denkwelt nicht. 5000 Franken Busse zu verhängen, weil ein Schüler seiner Lehrerin nicht die Hand reichen will, wäre bizarr, weil bar jeder Verhältnismässigkeit. Trotzdem ist der Entscheid der Bildungsdirektion ein guter, und das ist die zweite Lehre in dieser traurigen Geschichte:
Überzeugungen können nicht herbeigebrüllt werden, sie entstehen aus der Diskussion.
Die oft gescholtene Baselbieter Bildungsdirektorin Monica Gschwind hat vieles richtig gemacht. Sie ist nicht der Versuchung erlegen, «Führungsstärke» zu beweisen, als der Druck auf sie stieg. Sie ist nicht auf die Familie und die Schulleitung losgegangen, wie es die verantwortungslos agierende SP-Bundesrätin Simonetta Sommaruga getan hat. Gschwind hat sich nicht auf Kosten Schwächerer als Macherin geriert. Das ist ihr anzurechnen.
Auf Argumente kann man sich einlassen, auf Hass und Verachtung nicht.
Stattdessen hat sie sich Zeit genommen und die Rechtsgüter bewertet, hat das Grundrecht der beiden Jugendlichen auf freie Ausübung ihres Glaubens abgewogen gegenüber dem Verfassungsauftrag zur Gleichstellung von Mann und Frau und dem Schutz vor Diskriminierung. Sie hat mit dem Gutachten die Diskussion geführt darüber, was passieren muss, wenn Überzeugungen aufeinanderprallen.
Gschwind hat die Involvierten ernst genommen, sie hat sich mit ihnen auseinandergesetzt. Das haben all jene nicht, die sich in blinder Angriffswut auf die Familie, die Schulleitung und Gschwind gestürzt haben. Für die Familie bedeutet das, dass sie nachvollziehen kann, weshalb aus Sicht der Schule und des Kantons das Verhalten der beiden Söhne inakzeptabel ist. Auf Argumente kann man sich einlassen, auf Hass und Verachtung nicht.
Die dritte Lehre: cool bleiben.
Nein, in Therwil wurde nicht sichtbar, dass der Islam und seine gesellschaftlichen Ideen nicht kompatibel sind mit schweizerischen Werten. Es lässt sich keine Radikalisierungstendenz daraus ablesen. Nicht das Versagen der Multikulti-Gesellschaft. Kein Einknicken aus falsch verstandener Toleranz.
In Therwil haben zwei Teenager aus reaktionären religiösen Überzeugungen heraus entschieden, dass es unsittlich wäre, ihrer Lehrerin die Hand zu geben. Die Lehrerin fühlte sich dadurch herabgesetzt. Die Schulleitung reagierte besonnen und fand eine pragmatische Lösung, bis die Bildungsdirektion die Sache untersucht hatte.
Das wäre die ganze, eine kleine Geschichte. Hätte nicht die Volksseele zu kochen angefangen.