Es ist fünf vor zwölf. Aber der griechische Premier hat die Chance, das drohende Desaster doch noch abzuwenden. Doch er muss sich entscheiden – und einen vernünftigen Kompromiss mit den Geldgebern finden.
Das Griechendrama geht seinem Ende entgegen. Bleibt das Land in der Eurozone, bringt es seine Staatsfinanzen in Ordnung und legt es mit Strukturreformen die Fundamente für ein nachhaltiges Wachstum? Oder stürzt Griechenland ab ins Chaos eines Staatsbankrotts, mit allen unwägbaren Folgen, die dies für die Eurozone und die Griechen selbst hätte?
Die Weichen werden an diesem Wochenende gestellt. Der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras muss sich entscheiden: Folgt er dem linksextremen Flügel seiner Partei, der schon lange mit dem «Grexit» liebäugelt und Griechenland in ein Kuba des Mittelmeeres verwandeln möchte, oder entschliesst sich Tsipras, auf die grosse Mehrheit der Bevölkerung zu hören, die am Euro festhalten will, selbst wenn sie dafür Opfer bringen muss?
Tsipras ist entscheidungsscheu und führungsschwach – wie ein roter Faden zieht sich das durch seine bisherige Amtszeit.
Es geht um die Zukunft des Landes, aber auch um das politische Vermächtnis des Alexis Tsipras. Die bisherige Bilanz des jungen Regierungschefs ist verheerend. Griechenland, das im vergangenen Jahr endlich wieder zum Wachstum zurückgekehrt war, ist erneut in die Rezession zurückgefallen. Tsipras Plan, mit den anderen EU-Südstaaten eine Allianz gegen Deutschland zu schmieden, ist kläglich gescheitert. Seine Hoffnung, Milliardenkredite in Russland und China lockerzumachen, ist zerplatzt wie eine Seifenblase.
Statt gleich nach seinem Amtsantritt eine Lösung auszuhandeln, hat Tsipras über Monate hinweg laviert und gepokert. Der überfälligen Auseinandersetzung mit den Linksextremisten und Kommunisten in seiner Partei geht er aus dem Weg. Tsipras ist entscheidungsscheu und führungsschwach – wie ein roter Faden zieht sich das durch seine bisherige Amtszeit.
Ein Absturz sondergleichen
Griechenland hat dafür einen hohen Preis bezahlt. Aus Angst vor einer Rückkehr zur Drachme haben die Griechen ihre Bankkonten seit Jahresanfang um mehr als 30 Milliarden Euro geplündert. Die Geldinstitute bluten aus und überleben nur noch am Tropf von Notkrediten der Europäischen Zentralbank. Im fünften Monat der Tsipras-Regierung steht Griechenland näher als je zuvor am Abgrund der Staatspleite.
Es ist fünf vor zwölf. Aber der griechische Premier hat die Chance, das drohende Desaster doch noch abzuwenden – wenn er seine utopischen, unfinanzierbaren Wahlversprechen vergisst und sich mit den Geldgebern auf einen vernünftigen Kompromiss einigt, der die Freigabe weiterer Hilfsgelder ermöglicht.
Dem griechischen Patienten jetzt noch mehr von der toxischen Medizin zu verabreichen, wäre verantwortungslos.
Zu einer tragfähigen Lösung gehört aber auch, dass sich die Gläubiger bewegen. Der Sparkurs der vergangenen fünf Jahre hat Griechenland in die längte und schwerste Rezession gestürzt, die ein europäisches Land in Friedenszeiten jemals durchzumachen hatte. Ein Viertel der Wirtschaftskraft des Landes wurde ausradiert. Die Arbeitslosenquote explodierte auf 27 Prozent, ein Drittel der Bevölkerung lebt an der Armutsgrenze. Vergleichbar ist dieser Absturz nur mit der Grossen Depression in den Vereinigten Staaten Anfang der 1930er-Jahre.
Dem griechischen Patienten jetzt noch mehr von der toxischen Medizin zu verabreichen, wäre verantwortungslos. Weitere Kürzungen der bereits um ein Viertel reduzierten Renten sind unzumutbar. Arbeitslosengeld gibt es in Griechenland höchstens ein Jahr lang. Eine Sozialhilfe oder eine Grundsicherung wie Hartz IV kennt das Land nicht. Hunderttausende Familien leben deshalb von den Renten ihrer Eltern und Grosseltern. Auch immer neue Steuererhöhungen sind sinnlos, zumal die griechische Finanzverwaltung gar nicht in der Lage ist, die Abgaben einzutreiben.
Wirtschaft muss wieder wachsen
Wenn Griechenland den Weg aus dem Tal der Tränen finden will, braucht es nachhaltiges Wirtschaftswachstum. Hier schliesst sich der Kreis zu Tsipras. Statt Zehntausende Menschen in den ohnehin aufgeblähten Staatsapparat zu schleusen, sollte die Athener Regierung mit Strukturreformen und Privatisierungen, mit einem radikalen Bürokratieabbau und der Einführung eines einfachen, transparenten Steuersystems die Voraussetzungen dafür schaffen, dass die Wirtschaft wieder wächst und neue Arbeitsplätze geschaffen werden.