Ein Sechstel der Briefkastenfirmen, deren Unterlagen in fremde Hände gelangten, sind mit Geld aus der Schweiz ausgestattet. Dass Schweizer Geldinstitute sich an Geschäften in der Grauzone beteiligen, ist ein alter Hut. Umso mehr wäre mehr Transparenz wünschenswert.
Die Aufregung ist riesig. Daten von 214’000 Briefkastenfirmen in 21 Steueroasen sind einem internationalen Journalisten-Konsortium in die Hände gefallen. Diese Daten stammen von der Kanzlei Mossack Fonseca (MF) in Panama, die Filialen unter anderem in Zürich und Hongkong unterhält. «Gefüttert» wurde die MF von Finanzintermediären in aller Welt, die Gelder von vermögenden Personen oder Firmen in einer juristischen Konstruktion unterbringen wollen, in der sie fremdem Zugriff weitgehend entzogen sind.
Auf der langen Namensliste, die sich aus den Unterlagen ergibt, tauchen illustre Persönlichkeiten auf – vom ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko über den Fussballstar Lionel Messi und den Fifa-Chef Gianni Infantino bis zum isländischen Premier Sigmundur Gunnlaugsson. Von einem Cousin von Bashar al-Assad bis zu Ian Cameron, dem 2010 verstorbenen Vater des britischen Premiers. Von reichen Menschen aus dem Umfeld von Wladimir Putin oder dem saudischen König Salman ganz zu schweigen.
Sein Geld in einer Briefkastenfirma in der sonnigen Karibik zu hinterlegen, ist natürlich nicht illegal. Es kann unter bestimmten Umständen sogar sinnvoll sein. Und es kann sozusagen die finanzielle Intimsphäre schützen. Solange den Statthaltern die tatsächlichen Eigentümer bekannt sind, ist daran nichts auszusetzen.
Illegal wird es erst, wenn auf diese Weise das Vermögen und dessen Ertrag der gesetzlich vorgesehenen Besteuerung im Herkunftsland entzogen werden oder wenn es sich um kriminell beschafftes Geld handelt, das auf diesem Umweg gesäubert werden soll. Dafür gibt es in den bisher bekannt gewordenen Unterlagen keine Beweise.
Die üblichen Verdächtigen
Dennoch: Schon die Tatsache, dass Geld in eine Briefkastenfirma investiert wird, deren tatsächlicher Eigentümer tunlichst anonym zu bleiben wünscht, zeigt an, dass sich diese Geschäfte oft in einer Grauzone abspielen. Und wenn sich aus den Unterlagen ergibt, dass von den 214’000 Briefkastenfirmen nicht weniger als 34’300 von insgesamt 1223 Schweizer Finanzintermediären gefüttert wurden, sollten bei den Schweizer Behörden alle Alarmglocken läuten – und das tun sie bei der Finanzmarktaufsicht Finma ja auch.
Credit Suisse Channel Islands, die UBS, die Luxemburger Niederlassung der Basler Privatbank Safra Sarasin und der Schweizer Zweig der HSBC sollen den Unterlagen gemäss zu den zehn grossen Playern in der Panama Connection gehören. Also die üblichen Verdächtigen.
Wir haben das schärfste Geldwäschereigesetz der Welt – aber wer weiss schon immer so ganz genau, was eigentlich illegal ist!
Das Erstaunlichste an der Geschichte ist, dass kaum noch jemand wirklich darüber staunt. Schweizer Banken verwalten Potentatengelder? Aber ja, das tun sie doch schon seit Jahrzehnten. Schweizer Banken helfen Ausländern bei der Steuerhinterziehung? Das stimmte solange, bis die USA und die europäischen Nachbarn genügend Druck machten, um den Unfug abzustellen.
Heute macht man das subtiler – zumindest für die grossen Kunden. An mittlere und kleine Kunden gibt man den amerikanischen Druck dafür schon in vorauseilendem Gehorsam weiter. Schweizer Banken waschen illegale Gelder? Geht nicht mehr, denn wir haben das schärfste Geldwäschereigesetz der Welt – aber wer weiss schon immer so ganz genau, was eigentlich illegal ist!
Spuren in die Schweiz
Wir haben uns daran gewöhnt, dass bei jedem internationalen Skandal, bei dem viel Geld im Spiel ist, alsbald eine Spur in die Schweiz führt. Diktatoren aller Art und ihre Entourage, zwielichtige Geschäftsleute und Steueroptimierer bringen ihre Schäfchen bei Schweizer Finanzinstituten in Sicherheit. Und diese bauen als zusätzliche Sicherheitsschlaufe die eine oder andere Briefkastenfirma in den Geldfluss ein.
Dass die Schweiz mit von der Partie ist, wenn auf internationaler Ebene Geschäfte in der Grauzone stattfinden, ist weder neu noch erstaunlich.
Dass die Schweiz mit von der Partie ist, wenn auf internationaler Ebene Geschäfte in der Grauzone stattfinden, ist weder neu noch erstaunlich. Eigentlich ist es nicht einmal ein Skandal; dazu ist es schon viel zu alltäglich. Und wir profitieren ja auch alle ein wenig vom Wohlergehen des Finanzplatzes Schweiz.
Erstaunlich am aktuellen Fall ist die Gelassenheit, mit der zum Beispiel die USA und Grossbritannien mit den hässlichen Enthüllungen umgehen. Während die übrigen Europäer sich mehr oder minder heftig ereifern, nach Untersuchungsausschüssen und den Staatsanwälten rufen, bleiben die angelsächsischen Partner ziemlich ruhig.
Angelsächsische Lippenbekenntnisse
Im Falle von Grossbritannien liegt das wohl daran, dass sehr viele der Steueroasen, in denen sich Briefkastenfirmen gerne niederlassen, im politisch/juristischen Einzugsbereich der britischen Krone liegen: die Kanalinseln, Isle of Man, Gibraltar, Bahamas, Cayman, die Jungferninseln. Und der ehemaligen Kronkolonie Hongkong möchte man gewiss auch nicht zu nahe treten.
Dabei hatte sich der britische Premierminister noch vor drei Jahren für mehr Transparenz und einen verstärkten Datenaustausch auch mit «seinen» Steuerparadiesen stark gemacht. Geldwäscherei, Korruption und Steuerhinterziehung sollten unterbunden werden. Wie die Unterlagen zeigen, bisher ohne durchschlagenden Erfolg.
Die USA verfügen selber über zwei sehr potente Offshore-Zentren, die womöglich noch intransparenter sind als alle anderen.
Noch ärgerlicher ist das Stillschweigen der USA zu den sich aus den Unterlagen ergebenden Verdachtsmomenten. Das amerikanische Interesse an der Disziplinierung der karibischen Offshore-Destinationen hält sich auch deshalb in Grenzen, weil die USA selber über zwei sehr potente Offshore-Zentren verfügen, die zudem womöglich noch intransparenter sind als alle anderen: die Bundesstaaten Delaware und Nevada. Kommt hinzu, dass es gewiss nicht im Interesse des global operierenden Finanzkapitals ist, in seiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt zu werden. Die USA sind offenbar nicht gewillt, den zum Umbau der Offshore-Struktur nötigen Druck zu erzeugen.
Tief verwurzelte Doppelmoral
Dass sie es könnten, haben sie im Falle der Schweiz gezeigt. Das Schweizer Bankgeheimnis ist unter dem stetig steigenden Druck vor allem der USA zunehmend zerbröckelt und heute nicht mehr existent. Dass sie die hohen ethischen Massstäbe, die sie an das Steuerparadies Schweiz anlegten, in ihrem eigenen karibischen Hinterhof nicht anlegen wollen – und in den beiden Bundesstaaten schon gar nicht –, lässt auf eine tief verwurzelte Doppelmoral schliessen.
Wladimir Putin, dessen Entourage in den Unterlagen prominent und mit mehreren Milliarden Dollar vorkommt, bezeichnet den ganzen Vorgang kurzerhand als eine Intrige der CIA – eine Logik, die er vermutlich in seiner früheren Funktion als sowjetischer KGB-Agent ausführlich geübt hat.
Die Grossen der Welt mögen heucheln, zurückweisen und zurückschlagen. Wir Schweizer sollten den Vorgang als Chance begreifen.
Die Grossen der Welt mögen angesichts der Offshore-Unterlagen heucheln, zurückweisen und zurückschlagen. Wir Schweizer sollten den Vorgang als Chance begreifen. Dass Schweizer Banken einmal mehr als Mitspieler in einer Grauzone an den Pranger geraten, ist unschön – und die meisten Schweizer haben von diesem «running gag» unserer Wirtschaftsgeschichte langsam die Nase voll.
Helvetia sei beim Umgang mit zwielichtigen Geschäftspartnern im Zweifelsfall «Zu allem bereit», betitelte das Wirtschaftsmagazin «Bilanz» einst eine gross angelegte Story über «Wirtschafts-Skandale». Das war im März 1989. Geändert hat sich seither offenbar nicht viel.
Dass der amerikanische Druck «unser» Bankgeheimnis beseitigt hat, ist eigentlich ein Segen. Wenn wir jetzt eine politische Debatte über den Umgang unserer Banken mit Steuerparadiesen und Offshore-Zentren anstossen, wäre das für die nachhaltige Weiterentwicklung des Finanzplatzes Schweiz womöglich ebenfalls ein Segen.