Ein Mord als Vorwand, um die Klischee-Keule zu schwingen

Die «Schweiz am Wochenende» hat den Mord an Georges und die Trauer um ihn aufgegriffen. Entstanden ist ein Artikel voller Vorurteile und Behauptungen.

Das Quartier trauert um Georges und eine Zeitung schreibt das Quartier ins Elend.

Am Morgen des 21. Dezembers wurde in der Dreirosenanlage ein toter Mann aufgefunden. Der Obdachlose war Opfer einer Gewalttat geworden und starb durch eine Stichverletzung. Georges hiess er, und galt 15 Jahre lang als gute Seele des Parks, als schweigsam, zurückgezogen und doch kinderlieb. Die Lücke, die er hinterliess, war schnell mit Gedenkkerzen bestückt. Hauptsache, die Leere irgendwie füllen. Ein ganzes Quartier trauerte um Georges.

Über zwei Wochen ist das her. Viel wurde in der Zwischenzeit über den Fall berichtet. Selten wurde in der jüngeren Vergangenheit über einen Menschen am Rand der Gesellschaft so viel geredet wie über Georges. Da mochte auch die «Schweiz am Wochenende» nicht abseits stehen.

Hier muss man anfügen: leider.

Endlich mal ein guter Obdachloser!

Befremdend wirkt schon der Titel: «Der Mord, der das Hipster-Paradies stört». Wenn Sie sich fragen, wann der Park an der Dreirosenbrücke zum «Hipster-Paradies» avanciert ist oder ob ein Mord woanders weniger stören würde, dann sind Sie nicht allein. Unterdessen wurde der Titel bei der «bz Basel» online übrigens angepasst. Dort heisst es nun: «Mord an einem Obdachlosen: In Basel ist ein Vorzeigeprojekt für Integration gescheitert».

Was macht denn so ein «Hipster-Paradies» überhaupt aus? Sind es die Kinder, die sich auf der Schaukel vergnügen? Sind es die Jungs, die sich auf dem Basketballfeld nass schwitzen? Oder sind es vielleicht die Pärchen, die verträumt im Grün liegen?

Wir wissen es nicht. Der Autor übrigens auch nicht. Oder er will es uns nicht verraten. Weiter im Text: Es folgen rührende Worte zu Georges (oder Georg, wie der Autor schreibt): «Er galt als guter Obdachloser», heisst es da und der Autor weiss auch warum:

«Er hielt seinen Schlafplatz in Ordnung, benutzte öffentliche Toiletten und pflegte seinen Bart.»

Endlich mal keiner dieser fiesen, dreckigen Penner, wie sie sonst in der Stadt rumgammeln und aufs Trottoir pissen! Und diese wild wuchernden Bärte, die will man wirklich nicht sehen. Nein, so einer war Georges nicht. Georges war ein Guter.

Wo die «Balkanboys» oben ohne trainieren

Darum heisst es im Artikel, dass «ein freundlicher Obdachloser zur Quartieridylle passte, wie sie sich die Anwohner erträumten.» Denn:

«Kleinbasel brauchte eine Figur wie Georg, um den Problemen des Stadtteils mit dem Übernamen Klein-Istanbul ein freundliches Gesicht zu geben.»

Jetzt hält der Autor den Finger so richtig in die Wunde. Das Kleinbasel, wo Gewalt regiert. Wo man sich im Minutentakt vor geballten Fäusten und gezückten Messern ducken muss. Nicht einmal die Polizei traut sich da noch hin, erzählt man sich an den Stammtischen.

Da braucht es schon einen fleischgewordenen Gartenzwerg wie Georges, damit sich die Kinder zum Spielen heraustrauen auf einen Platz, wo die «Balkanboys im Sommer oben ohne trainieren», wie der Autor sein Publikum wissen lässt. Doch damit ist nun Schluss, denn: «Mit Georg ist auch die Idylle gestorben.» Wieso genau das so sein soll, bleibt offen.

Des Mordes verdächtigt wird ein 21-Jähriger, der kurz nach dem Delikt festgenommen wurde. Auch dazu schürt die Zeitung die Gerüchteküche:

«Spekuliert wird, dass es sich um einen Dealer handeln könnte, den Georg verpfiffen hat.»

War Georges ein Lügner?

Damit sich der Journalist seinen Quark nicht ganz alleine anrühren muss, hat er zwei Obdachlosen-Fachmänner befragt. Einer ist Walter von Arburg, Sprecher von Pfarrer Siebers Sozialwerken in Zürich. Diesen konfrontiert der Journalist mit Aussagen von Quartierbewohnern und Basler Sozialarbeitern, wonach Georges seine Lebensweise aus eigenen Stücken gewählt hatte.

Das kann doch nicht sein, findet der Journalist und Von Arburg stimmt ihm zu: «Das ist eine Romantisierung.» Seine Erfahrung zeige, dass hinter der Obdachlosigkeit immer eine Krise wie etwa ein Jobverlust stecke. Gut, Walter von Arburg hat nie mit Georges gesprochen – im Gegensatz zu den Menschen, von denen die angeblich romantisierenden Aussagen stammen.

Georges hat keine Sozialhilfe bezogen. Es kann gut sein, dass er in seinem Leben einen Schickssalsschlag erlitten hat. Er hätte dennoch nicht im Dreirosenpark leben müssen, hätte er es anders gewollt.

Obdachlosen-Fachmann Nummer zwei ist Matthias Drilling, Professor an der Fachhochschule Nordwestschweiz. Auch er sagt: «Von allen Obdachlosen, mit denen ich gesprochen habe, hat keiner seine Lebensweise freiwillig gewählt.» Auch er hat nie mit Georges gesprochen. Laut dem Autor reise Drilling «durch die Städte Europas, um Obdachlose zu studieren». Ist eben eine noch sehr unerforschte Art. Drilling will deshalb, dass ab Frühling alle Obdachlosen in der Schweiz gezählt werden.

Und zum Abschluss ein Afrikaner-Geschichtlein

Aber zurück zum Dreirosenpark. Der Journalist traute sich nämlich mutig dorthin und machte dabei eine Entdeckung:

«Auf der Treppe neben der Gedenkstätte hat sich eine Gruppe Afrikaner versammelt.»

Oh-oh, das kann nichts Gutes bedeuten!

«Sie sind aus unterschiedlichen Gründen hier: um sich zu unterhalten, um zu kiffen, um zu dealen. Ein Gambier sagt auf Englisch, wie sehr er seinen Freund Georg vermisse. Ein Mann aus der Karibik stimmt ihm zu. Da kommt ein Dritter hinzu und sagt zum Reporter: Hau ab!»

Offen gelassene Behauptungen, Vorurteile, einäugige Fachmänner, alles garniert mit einer guten Portion Stammtisch und drögelnde Afrikaner als Abschluss. So einen Artikel hat weder Georges noch das Quartier verdient.

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