Der neue Papst heisst Franziskus. Mit dieser Namenswahl hat Jorge Bergoglio eine Richtungsentscheidung gefällt: Er steht für die «Kirche der Armen» und für den Vorrang der Seelsorge vor der Kirchenlehre und Kirchenrecht.
Mit Jorge Mario Bergoglio, dem bereits 76 Jahre alten Seelsorger aus einem armen Bereich Argentiniens, wählten sie einen Mann, der dem Konzilspapst Johannes XXIII. in manchem nahe ist. Bevor er seinen ersten päpstlichen Segen spendete, bat Bergoglio um das Gebet der Leute – ein demütiger Amtsantritt. Diese Geste war weit entfernt vom Auftritt seiner päpstlichen Amtsvorgänger.
In seiner Bischofsstadt, der Millionen-Metropole Buenos Aires, fährt Bergoglio wenn immer möglich Tram. Er hat keine Limousine mit Fahrer, keinen Mercedes wie so mancher Purpurträger europäischer Provinienz.
Er ist ein politische Seelsorger, kein theologischer Muskelprotz. Wenn die armen Leute wieder einmal über den Tisch gezogen werden sollten, mischte er sich oft in die argentinische Politik ein. In Sachen Sexualmoral und Kirchendisziplin ist Bergoglio allerdings konservativ, ein typischer Jesuiten-Oberer aus Südamerika.
Fragwürdige Vergangenheit
Für einige Zeit war Bergoglio sehr umstritten. Er leitete die argentinische Jesuitenprovinz während des Guerra Sucia Argentina, des schmutzigen Krieges des herrschenden Militärregimes gegen die so genannten Linksterroristen. Hat er damals zu viele Kompromisse gemacht, als der rechte Staatsterror tobte und viele Christen, auch einige Jesuiten und andere Ordensleute, gefoltert und ermordet wurden? Wie stand er zu dem Märtyrerbischof Enrique Angelelli, den die Militärdiktatur mittels eines LKW-Unfalls ermordete, weil er hartnäckig für die Bedrohten eingetreten war? Der neue Papst wird viele Fragen aus dieser gewalttätigen und unglücklichen Vergangenheit beantworten müssen.
Die mörderischen Seiten eines entfesselten neoliberalen Kapitalismus hat der Argentinier Bergoglio viele Jahre lang am eigenen Leib erfahren. Aufgrund dieser Erfahrungen hat er anders als Benedikt XVI. den Armen dieser Erde viel zu geben. Der Bayer interessierte sich wenig für die Menschen in Afrika, Lateinamerika und den Ländern Asiens. Sie dürften nun mehr Beachtung bekommen. Das tut auch der katholischen Kirche gut – die weg vom Eurozentrismus und weg von den alten Themen steuern könnte. Zugleich könnten die von Papst Benedikt gepflegten Fragen zum Relativismus leiser und leiser werden.
Enttäuschung für die Konservativen
In historischen Krisen wandte sich die Kirchenführung nicht selten Ordensleuten zu. Dies geschieht nun erneut. Wie gut, dass kein mit italienischen Machenschaften verbundener Kardinal zum Papst gewählt worden ist. Bei den Neuen Religiösen Gemeinschaften, auch beim Opus Dei und der undurchsichtigen Machtbewegung Comunione e Liberazione, herrscht Enttäuschung über diese Wahl. Denn kein Rechter hat gesiegt, sondern der Jesuitenpater aus den verarmten Vorstädten.
Viel besseres hätte der katholischen Kirche nicht widerfahren können.