Das Parlament streitet einmal mehr über die Einbürgerungen. Die Debatte wird dem Problem nicht gerecht: Sie hofiert die viel zitierte «Stimmung im Volke».
Sollen Menschen mit ausländischem Pass künftig bereits nach acht Jahren Wohnsitz in der Schweiz eingebürgert werden statt – wie heute – nach 12 Jahren? Der Ständerat folgte bislang dem Bundesrat, der mit acht Jahren eine kürzere Frist befürwortet hatte. Der Nationalrat dagegen hielt letzte Woche an seiner früheren und rigoroseren Haltung fest: Er will die Einbürgerung nur Personen ermöglichen, die mindestens zehn Jahre in der Schweiz gelebt haben.
Damit nicht die ganze Vorlage bachab geht, hat der Ständerat jetzt nachgegeben: Das «Stöckli», eigentlich die sachorientiertere Kammer, ist aus Staatsräson mit einer knappen Mehrheit von 22 zu 20 Stimmen ebenfalls auf die vermutete Strassenmeinung eingeschwenkt.
Nüchtern betrachtet, handelt es sich um eine etwas skurrile Debatte, in der sehr schnell vergessen wird, dass es bei diesem Geschäft um Menschen geht. Um Leute, die zum Teil sehr gut integriert sind und ihre Zugehörigkeit zur Schweiz mit dem Akt der Einbürgerung «offizialisieren» wollen. Mit der Sache im engeren Sinn, nämlich der Gewähr von ausreichender «Swissness» der Einbürgerungskandidaten, hat der parlamentarische Streit um Minimalfristen wenig zu tun, sondern vor allem mit der viel genannten «Stimmung im Volke». Mit der Frage also, wie viel Integration in unserem Land angesichts der wachsenden Fremdenskepsis noch erträglich sei.
Die vermuteten Widerstände der Altbürger
Acht oder zehn Jahre! Kann es wirklich ernsthaft um solche Details gehen? Statt dass sich der Nationalrat an der Problematik der Einbürgerungswilligen orientiert, schielt er auf die vermuteten Widerstände der Altbürger – und macht die Ablehnung damit noch stärker.
Weitere Streitpunkte der anstehenden Revision des Bürgerrechtsgesetzes sind (oder waren) die Doppelzählung der Wohnsitzjahre von Jugendlichen, das Mitzählen von vorläufigen Aufenthalten, die Vorgaben für die kantonalen Wohnsitzfristen – und als Gipfelproblem, wie mit Kandidaten umzugehen sei, die das Bürgerrecht mit unwahren Angaben erschleichen. Im letzten Punkt hat sich im Nationalrat die Meinung durchgesetzt, dass solche «Betrüger» ohne Prüfung der Verhältnismässigkeit sogleich über die Grenze spediert werden sollen. Selbst die bürgerliche NZZ hat dies als «vollends groteske Demonstration» von Mitte-Rechts bezeichnet, die damit dem Geist der bedenklichen Ausschaffungsinitiative folge.
Der doppelte Schlüssel zu Einbürgerungstür
Einig waren sich Stände- und Nationalrat bislang einzig darin, dass in Zukunft die Niederlassungsbewilligung, also der C-Ausweis, zu den Voraussetzungen für die Einbürgerung zählen soll – was einen ununterbrochenen Aufenthalt von zehn Jahren zur Vorbedingung haben kann. Und auch das ist erstaunlich: Bei der ganzen Fristenfrage wird der grösser gewordenen Mobilität mit grösster Selbstverständlichkeit nicht Rechnung getragen. Unumgänglich gewordene Arbeits- und Wohnortswechsel könnten Einbürgerungskandidaten so einen höchst unerfreulichen Strich durch die Rechnung machen.
Statt über Aufenthaltsjahre zu streiten, gäbe es wichtigere Unzulänglichkeiten der gängigen Einbürgerungspraxis zu korrigieren. Um die Tür zur Einbürgerung zu öffnen, braucht es heute zwei Schlüssel. Zum einen muss der Gesuchsteller die allgemeinen und landesweit gültigen Bestimmungen erfüllen – die wiederum von Kanton zu Kanton variieren können. Zum anderen entscheiden fallweise vorgenommene Prüfungen über die Einbürgerung.
Es leuchtet nicht recht ein, warum es diese zwei Schlüssel braucht. Denn erfüllt ein Gesuch administrativ sämtliche Bedingungen, müsste man eigentlich davon ausgehen können, dass es keine individuelle Prüfung mehr braucht: Dass der Einbürgerungskandidat sogar ein Recht auf Einbürgerung hat, das ihm – wie etwa im Kanton Basel-Stadt – nur in begründeten Fällen via Richterentscheid verweigert werden kann.
Einbürgerung wird noch immer als Gnadenakt verstanden statt als Äusserung des Willens zur Zugehörigkeit.
Oder aber man verzichtet auf allgemeine Vorschriften und kontrolliert in individuellen Prüfungen, ob die in den Verordnungskatalogen festgehaltenen Kriterien wie Leumund, Vermögensverhältnisse, Landes- und Sprachkenntnisse oder soziale Integration erfüllt sind. Dann könnte man zum Beispiel feststellen, dass in bestimmten Fällen nicht erst nach zwölf Jahren, sondern vielleicht schon nach drei oder vier Jahren sämtliche Einbürgerungsauflagen erfüllt sind und die Kandidatin eine sehr willkommene Neubürgerin ist. Das würde allerdings gegen das Prinzip der Rechtsgleichheit verstossen.
SVP gegen «Einbürgerungsmanie»
Dieses Prinzip wird hierzulande auch dann ins Feld geführt, wenn nicht nur der Kandidat, sondern auch das Aufnahmeland an einer Einbürgerung interessiert ist – wie das etwa bei Spitzensportlern immer wieder der Fall ist. Zweifel kamen etwa auf, als der Chinese Donghua Li 1996 an den Olympischen Spielen von Atlanta für die Schweiz startete und Gold gewann. Damals konnte man behördlicherseits immerhin darauf hinweisen, dass der Kunstturner 1988 eine Schweizerin geheiratet hatte, 1989 in die Schweiz gezogen war und fünf Jahre später regulär den roten Pass erworben hatte. Ob der Athlet sich allerdings in einer der Landessprachen verständigen konnte, wie das heute immer wieder gefordert wird, war kein Thema. 2008, als Donghua Li als Botschafter für Swiss Olympic in Peking auftrat, waren andere Fähigkeiten gefragt.
Letzte Woche wurde im Nationalrat von Seiten der SVP erneut über die gegenwärtige «Einbürgerungsmanie» geschimpft. Erneut vertrat man auf rechtsbürgerlicher Seite den Standpunkt, dass nicht jeder eingebürgert zu werden brauche.
«Nicht jeder» – als ob dies zur Diskussion stünde. Einbürgerung wird noch immer zu sehr als Gnadenakt verstanden und nicht als eine wohlüberlegte Äusserung des Zugehörigkeitswillens. So kann Integration nicht funktionieren.