Der Europäischen Union den Nobelpreis zu verleihen wirkt auf den ersten Blick abwegig. Aber die Nobelpreis-Jury hat sich dabei etwas gedacht – und sie hat richtig entschieden.
Abwegig wirkt die Ernennung der EU schon aus praktischen Gründen. Zwar wird man sich in Brüssel schon einig werden, wer als höchster Repräsentant der Organisation den Preis abholen soll. Wahrscheinlich der Präsident der Europäischen Kommission, Manuel Barroso. Es könnte aber auch der Präsident der Europäischen Rats, Herman Van Rompuy, sein. Und schon sind wir mittendrin im Problem: Eine so komplexe und unüberschaubare Organisation zum Preisträger zu machen, wirkt entrückt. Man feiert lieber Personen als Institutionen. Man stellt sich auch lieber vor, dass eine, zwei oder drei leibhaftige Menschen ein Preisgeld annehmen als eine abstrakte EU – obwohl diese das Geld in der grossen Krise gut gebrauchen kann.
Gewagt ist die Friedenspreis-Ernennung, weil sie alles andere auslöst als eine Gratulationswelle. Das hat die Jury eigentlich voraussehen müssen. So wie sich die EU zur Zeit, in der jetzigen Krise, darstellt, ist es klar, dass als Reaktion auf die Ehrung nur Hohn und Schmähungen auf die Gefeierte niederprasseln. Man muss sich nur einmal umsehen in den Kommentarspalten der verschiedensten Websites. Da kann nun jeder so richtig loslegen und seinem aufgestauten Ärger über alles, was nur im entferntesten mit der EU zu tun haben könnte, freien Lauf lassen: Wirtschaftskoloss, Beamtendiktatur, Kriegstreiber (Libyen, Afghanistan) und so weiter – der Spott und Frust sind grenzenlos.
Einmalige Leistung
Obwohl die Jury das alles bedacht haben muss, obwohl sie sich bewusst gewesen sein musste, dass sie eine Preisträgerin ernennt, die nach Bekanntwerden des Entscheids verhöhnt wird, hat sie den Friedenspreis der EU verliehen. Mit gutem Grund: Wann, wenn nicht in den jetzigen Krisenwochen, wäre es sinnvoller, daran zu erinnern, dass die Europäische Union (vormals EWG und EG) innerhalb ihrer Mitglieder während bald 70 Jahren den Frieden gefördert, erhalten und bewahrt hat? Diese Leistung ist einmalig auf diesem Kontinent und deshalb hat sie den Friedenspreis verdient.
Natürlich gibt es zwischen den EU-Staaten Reibereien, Streitereien, Missgunst. Natürlich gibt es dominante Länder und unbedeutendere. Aber es sind seit 1945 keine Panzer mehr aufgefahren und keine Kanonen aufgestellt worden, um Unstimmigkeiten zwischen Mitgliedstaaten zu bereinigen. Das ist eine grossartige Leistung und die hat den Friedenspreis verdient. Am besten kann man das immer wieder auf einem Besuch eines Soldatenfriedhofs aus den beiden Weltkriegen nachvollziehen. Die stehen etwa im Elsass, gar nicht mal so weit entfernt von der Schweiz.