Eine mutmassliche Geschichte zweier mutmasslicher Täter

Die Geschichte über die mutmasslichen Hintergründe der mutmasslichen Bombenattrappenleger zeigt: In einer Flut aus frei verfügbaren privaten Informationen ertrinken manchmal auch Journalisten.

Die Geschichte der mutmasslichen Bombenattrapenleger ist mittlerweile geprägt von Mutmassungen und Spekulationen. (Bild: Hans-Jörg Walter)

Die Geschichte über die mutmasslichen Hintergründe der mutmasslichen Bombenattrappenleger zeigt: In einer Flut aus frei verfügbaren privaten Informationen ertrinken manchmal auch Journalisten.

So viel wissen wir jetzt: Es waren vermutlich zwei Jugendliche, die am Freitagabend die Bombenattrappe beim Basler Tinguely-Brunnen deponiert hatten. Sie sind 16 und 18 Jahre alt, ein Mann und eine Frau. Die Staatsanwaltschaft hat sie festgenommen, befragt, und nun ermittelt sie.

Die Jugendlichen sind noch nicht verurteilt. Deshalb gilt die Unschuldsvermutung. Die besagt, dass die Verdächtigen bis zum rechtskräftigen Urteil, das auf einen Prozess folgt, nicht schuldig sind. 

An sich ist die Sache damit vorerst abgeschlossen. Wäre da nicht die Ungeheuerlichkeit, dass freitagabends die Innenstadt rund um den Theaterplatz abgeriegelt wurde. Wäre da nicht die latente Angst, in einer Zeit, in der die Terror-Berichterstattung zum medialen Dauerrauschen gehört, selber Ziel eines terroristischen Attentats zu werden.

Bombenalarm in Basel also: Eine Ungeheuerlichkeit. Und unweigerlich die Frage: Wer tut so etwas? Wer versetzt das öffentliche Leben willentlich in Angst und beschwört dazu noch das Gespenst islamistischen Terrors im kollektiven Bewusstsein? Ja, wer ist schuld?

Genau so schlau wie zuvor

Die «Basler Zeitung» recherchierte und präsentierte die Geschichte zweier Jugendlicher aus besseren gesellschaftlichen Kreisen. Erzählt wird eine Geschichte zweier mutmasslichen Täter, für die nach wie vor die Unschuldsvermutung gilt – allein das Wort ein Hohn, ein hübscher Disclaimer, ein Haftungsausschluss. Sie könnten es gewesen sein. Und so könnten sie gelebt haben. Oder auch nicht. Egal. Hier ist ihre Geschichte. 

Wir lesen also von einem Jugendlichen, der sich darstellt, als ob er aus gutbetuchten Verhältnissen kommt. Von einem Jungen, noch minderjährig, einem «selbst ernannten» Jetsetter mit einer zwei Jahre älteren Freundin und einer Vorliebe für teure und schnelle Autos, zu denen er offenbar Zugang geniesst. Wir wissen: Der mutmassliche Täter präsentiert sich gern.

Und dennoch wissen wir nicht mehr als zuvor. Natürlich könnten wir aufgrund von Indizien Rückschlüsse ziehen, die unsere Vorurteile oder Abneigungen weiter nähren: Ist es ein armer, in Wohlstand – oder auch nicht – verwahrloster Geist, der sämtliche Relationen zur Realität verloren hat? Ein verzögenes Gör? Oder vielleicht sogar ein Extremist der Rechten? Schliesslich will er der Jungen SVP nahestehend sein, wie es heisst? 

Doch es sind nicht mehr als Andeutungen, entnehmbar den gängigen Social-Media-Profilen wie Twitter und Facebook, auch Instagram. Projektionsflächen zwecks Selbstdarstellung, Spielfelder für eine selektive Fremdwahrnehmung. Damit bleibt auch die Indizienkette – so atemberaubend sie sich liest und so sehr sie den Ärger auf mutmassliche Täter nährt – nicht mehr als ein Konstrukt.

Problemlose Rückschlüsse auf private Profile

Was bleibt, ist – leider – nichts. Ausser der Tatsache, dass es allen Hinweisen zufolge möglicherweise zwei Jugendliche waren, die am vergangenen Freitagabend neben dem Tinguely-Brunnen eine Bombenattrappe gelegt hatten, die Basel mehrere Stunden lang in Atem hielt.

Die geschilderten Angaben reichen allerdings aus, um zumindest den männlichen Jugendlichen und damit seine Freundin über die Profile mit Namen ausfindig zu machen. Dazu gehört wenig Geschick; ein paar Kenntnisse gängiger Plattformen reichen. Es ist Sache der «Basler Zeitung», die Angaben zu veröffentlichen und eine Geschichte darüber zu schreiben, es ist ihr publizistischer Entscheid.

Hätte es die BaZ nicht getan, irgendwo wären die Angaben dennoch aufgetaucht. Vielleicht nicht in dieser breiten Öffentlichkeit, wie sie die nach wie vor auflagenstärkste Zeitung der Region schaffen kann. Daher: «So what?»

Ein gewichtiges «what». Stalking, wie das gezielte Ausrecherchieren von Personendaten umgangssprachlich heisst, ist schon längst keine geheime Kunst von Journalisten, Ermittlern und Besessenen mehr. Für den Einzelnen sind heute so viele Informationen verfügbar, wie sie es in der Geschichte der Menschheit noch nie waren.

Umso stärker wiegt der Entscheid, eine mutmasslich ansprechend anmutende Geschichte aus zusammengetragenen Indizien und Spekulationen einem breiten Publikum zugänglich zu machen. Und letztlich auch der Entscheid, darauf basierend die Deutungshoheit über mögliche Motive einzunehmen.

Keine Frage: Die Geschichte ist süffig erzählt, mit pikanten Details gewürzt und die perfekte Grundlage für einen Schlüsselroman. Es ist eine Geschichte von Hochmut, daraus folgendem Übermut und einem tiefen Fall. Aber sie beruht auf Indizien, Annahmen, Unterstellungen. Und dadurch disqualifiziert sie sich selbst.

Eine überaus dumme, kurzsichtige, strafbare Aktion

Denn: Nein. Dieser Bombenalarm war kein Germanwings-Absturz. Er war ein Fehlalarm, ausgelöst von einer Attrappe. Er rechtfertigt nicht das Ausbreiten privater Details mutmasslicher Täter, besonders nicht angesichts des jetzigen Kenntnisstands. Genauso wenig wie es die Neugier und die Lust auf mögliche Lebensumstände und vermutete Denkmuster eines verdächtigten Jungen rechtfertigt, der sich in sozialen Netzwerken als Lebemann gibt.

Und ja. Das Platzieren der Attrappe war eine überaus dumme, kurzsichtige und darüber hinaus auch strafbare Aktion. Deswegen müssen nun zwei festgenommenen Teenager einsitzen. Deswegen haben sie ein Verfahren am Hals, nach dem ihnen gemäss Strafgesetzbuch bis zu drei Jahre Haft und die Übernahme der Einsatzkosten drohen können.

Aber hey: Sie waren es vielleicht. Vielleicht auch nicht. Aber vielleicht waren sie es doch? Und wenn es tatsächlich dieser sich als cooler Typ aufspielende Junge mit seiner Freundin war, dann… Ja, was dann?

Kennen Sie die Unschuldsvermutung? Sie gilt noch immer. 

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