Endlich atomfrei – da lacht das grüne Herz

Es geht auch ohne. Die Schweiz beweist, dass sie trotz Ausfall aller AKW nicht im Dunkeln sitzt. Damit wird für einen kurzen Moment die Urforderung der Grünen Partei Tatsache.

Runter damit! Die Schweiz zeigt derzeit, dass sie auch ohne eigene Stromproduktion aus Kernkraftwerken leben kann.

(Bild: Hans-Jörg Walter)

Es geht auch ohne. Die Schweiz beweist, dass sie trotz Ausfall aller AKW nicht im Dunkeln sitzt. Damit wird für einen kurzen Moment die Urforderung der Grünen Partei Tatsache.

Seit gestern ist die Schweiz offiziell aus der Atomkraftproduktion ausgestiegen. Mit Gösgen ging das letzte der fünf Schweizer Kernkraftwerke vom Netz, weil eine Dampfleckage im nichtnuklearen Bereich untersucht wird. Leibstadt und Mühleberg befinden sich in Jahresrevision.

Im aargauischen Beznau herrscht seit März ohnehin Ausnahmezustand, weil im Reaktordruckbehälter von Block 1 Unregelmässigkeiten festgestellt worden waren. Und seit Freitag ist auch Block 2 wegen einer Revision vom Netz. Damit sind die Grünen Schweiz zumindest für einen Moment mit ihrer Urforderung am Ziel: Wir sind offiziell für ein paar Wochen atomfrei. Und erhalten immer noch aus jeder Steckdose Strom für den Handyakku.

Stattdessen Import von Kohlekraft bis Windenergie

Das Timing für den Wahlkampf wäre perfekt. Da ist zum einen die Tatsache, dass wir lückenlos mit Strom versorgt sind, obwohl kein AKW in Betrieb ist. Da ist aber zum andern auch der Fakt, dass in Beznau I – dem ältesten in Betrieb stehenden kommerziellen Atomkraftwerk der Welt – dank neuster Messtechnik ein Herstellerfehler gefunden wurde. Wie kritisch der ist, befindet sich in Abklärung.

Eine Schweiz ohne Atomkraft, das klingt gut. Unvorstellbar gut. Denn so einfach ist es nicht. Wir importieren ohnehin Strom aus dem europäischen Stromverbund, vor allem im Winter. Und mit der Lieferung kommt dann irgendwas: vom französischen Atomstrom bis zu deutschem Kohle- oder Windstrom.

Dennoch: Der Ausfall von Gösgen und die Unregelmässigkeiten bei Beznau 1 kommen den Grünen gleichermassen gelegen. Der Fukushima-Effekt ist abgeklungen. Umweltthemen sind von anderen Parteien mit ökologischer Ausrichtung mitbesetzt. Und mit ihrer Energiestrategie 2050 übernahm Bundesrätin Doris Leuthard (CVP) einen Dauerbrenner der Grünen.

Grüner Mainstream

Die damaligen Reizthemen der Partei sind politischer Mainstream geworden. Klimaschutz? Wer will das heute schon nicht. Mehr Frauen ins Parlament? Zu viel Quotenmief. Zersiedelung? Wichtig, aber zu abstrakt für einen Wahlkampf. Bleibt noch die Asyldebatte, in der die klassischen Fronten zwischen links und rechts jetzt schon verhärtet sind.

Dabei war es die Energiepolitik, die den Grünen stets den Auftrieb gab. Das war die Utopie, die der grüne Wähler wollte, die beschworene Alternative, und das ist die Utopie, die der grüne Wähler wieder braucht.

Das Schicksalsthema der Partei

Noch vergangene Woche sah es aus, als ob die Grünen eine weitere Atom-Niederlage erlitten hätten: Die zuständige Kommission des Ständerats wollte kein fixes Datum, an dem die Schweizer AKW vom Netz gehen müssen. Jetzt kann die Partei das Feld wieder bestellen.

«Es ist möglich, dass die Energiewende scheitert. Es wird auch für die Umwelt eine Richtungswahl sein», sagte Grünen-Fraktionschef Balthasar Glättli vergangene Woche an einer Wahlkampf-Medienkonferenz.

Der Zufall, dass gleich alle Schweizer Atomkraftwerke vom Netz sind, führt diese Energiewende noch lange nicht herbei. Doch er kann der angeschlagenen Öko-Partei, die im Herbst gegen den Sitzverlust kämpft, ein bisschen Auftrieb geben.

Denn Atomkraft war immer schon das Schicksalsthema der Grünen Partei Schweiz, wird es immer bleiben. Und nie war es so einfach wie jetzt, zu sagen: Seht her, es geht auch ohne Schweizer Atomkraftwerke. 

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Kein AKW am Netz und trotzdem gibt es genügend Strom: Die Erklärung finden Sie hier.

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