Die Band, an deren Konzert in Paris Attentäter in die Menge schossen, gibt dem Krawall-Medium «Vice» ein exklusives Interview. Es ist ergreifend und teilweise verstörend. Unser Autor ist hin- und hergerissen.
Im Interview der «Eagles of Death Metal» sieht man von Emotionen übermannte Rocker, hört Schilderungen, die aus einem Actionfilm stammen könnten, und vernimmt Versprechen, dass die Welt sich doch weiterdreht.
Das Interview führt Shane Smith, der Chefredaktor von «Vice», der die Szenerie im «Bataclan» in Paris trocken wie ein Detektiv rekonstruiert.
«Vice» hat die Band für ein Exklusivinterview getroffen. Drei Bandmitglieder und ein Tontechniker sitzen auf einer Couch, der Schlagzeuger ist per Videotelefonie zugeschaltet. Josh Homme, Mitbegründer der «Eagles» und an der Schicksalsnacht in Paris nicht anwesend, stösst nach einigen Minuten und Fragen zu seinen Mitmusikern, nachdem diese ihre Erinnerungen an die Schiesserei im «Bataclan» geschildert haben.
Unterschiedlicher Umgang mit den Ereignissen
Sänger Jesse Hughes scheint neben sich, ist den Tränen nahe. Den Zuschauer beschleicht das Gefühl, dass es wohl nicht Hughes‘ Idee und Wunsch war, das Gespräch mit dem Journalisten zu führen. Er blickt zu Boden und hört zu, wie Smith das Interview einführt, als handle es sich um das Setting zu einem Film.
So, let’s start at the beginning. You’re an hour into your show. You’re playing. Three gunmen walk in, start shooting.
oder:
So, gunmen came in, shooting happens, chaos ensues. You guys go off together. How do you get out?
Die analytisch-kühle Art, wie Smith das Geschehen wie ein Kriminalkommissar aufarbeitet und erfragt, wer wann wo war, wirkt verstörend. Die Musiker stehen teilweise noch unter Schock.
Die Bandmitglieder gehen mit den Fragen unterschiedlich um. Eden Galindo und Matt McJunkins wirken relativ gefasst, auch wenn sie Schreckliches berichten. Die Schilderung ist detailliert und durchsetzt von Zitaten, die in der aufgeschreckten und panischen Menge zu hören waren. Beide erwähnen mehrfach, wie sehr sich die Betroffenen gegenseitig zu helfen versuchten.
Actionfilm und Verarbeitungsstrategien
Der Tontechniker, der mit seiner Technik am Konzert offensichtlich nahe der Eingangstüren installiert war, spricht ebenfalls sehr aufgeräumt. Er spricht von den Attentätern, die zur Türe hereinkamen und von Teilen des Mischpults, die ihm um die Ohren flogen. Inmitten der Mischpulte suchten offenbar mehrere Leute Schutz.
Wie der Schütze auf den Tontechniker schoss, der sich aber schnell geduckt habe; wie die Schutzsuchenden jeweils in den Nachladepausen in Gruppen von der «Tontechnikerinsel» flohen, die Kugeln bei der Flucht an ihnen vorbeiflogen und sie die Glastüre zerschossen, als der Tontechniker sie gerade aufschieben wollte: Es sind Szenen aus einem Actionfilm und Shawn London erzählt sie in aller Ruhe. Er scheint die Ereignisse so zu verarbeiten.
Per Videotelefonie zugeschaltet schildert Schlagzeuger Julian Dorio detailliert seine Sicht auf das Geschehen im «Bataclan». Die beiden Schützen, die er durch sein Schlagzeug sah, und die «schonungslos» ins Publikum schossen, könnten das schlimmste Bild darstellen, dass er in seinem Leben je gesehen habe. Er sei über die Bühne gekrochen und habe sich hinter dem Schlagzeugpodest versteckt.
Die grosse Frage bleibt
Die Antworten von Sänger Hughes und dem hinzugerufenen Josh Homme sind sehr emotional. Sie sprechen von einer tiefen Verbindung mit den Fans, und davon, was der «Rock and Roll» ihnen gegeben habe. Sie müssten die Tour weiterführen und sie wollten die erste Band sein, die im «Bataclan» nach dessen Neueröffnung spielen wird.
Bei aller Trockenheit und Übersichtlichkeit, die der Reporter herzustellen versucht, bleibt für mich eine Frage offen: Warum haben die Eagles of Death Metal dieses Interview so kurz nach der Schiesserei angenommen und warum wollte «Vice» dieses Interview jetzt führen? Shane Smith erwähnt in der Einleitung, dass es sich nicht um die erste Zusammenarbeit von «Vice» und der Band handle.
Die Intention des Mediums scheint klar. Exklusivität und Strahlkraft des Interviews sind immens, die daraus resultierenden Klickzahlen wohl ebenso. Bei der Ernsthaftigkeit des Themas ist es aber schlicht und einfach störend, dass es auf einer Seite erscheint, bei der man mit einmal Scrollen auf einem Beitrag mit dem Titel «Die #CondomChallenge: Ein Versuch, den neuesten Teenager-Trend zu verstehen» landet.
Die Band will sich ihren Fans und der Welt wohl erklären und versucht, neuen Mut zu fassen. An der Echtheit der Musiker zu zweifeln, wäre verfehlt.
Und so fühle ich mich hin- und hergerissen: Zwischen echter Betroffenheit und dem diffusen Gefühl, etwas beizuwohnen, das eigentlich privat sein sollte. Wegschauen – das geht aber nicht.