Es geht um das Selbstverständnis der Nation

Bei der anlaufenden Debatte geht es um weit mehr als marktregulierende Massnahmen oder Gejammer über Sendungen, die mutmasslich den Intellekt beleidigen. Es geht um das Selbstverständnis der Nation.

Die Debatte über den Service public drängt. Nach dem hauchdünnen Ja zur RTVG-Revision drehen sich die politischen Vorstösse vor allem um Marktregulierung, Finanzierung und einzelne Inhalte von SRF.  

(Bild: Nils Fisch)

Die Schweiz braucht einen medialen Service Public, der sie im 21. Jahrhundert abbildet. Bei der anlaufenden Debatte geht es aber um weit mehr als marktregulierende Massnahmen oder Gejammer über Sendungen, die mutmasslich den Intellekt beleidigen.

Der Abstimmungskampf mit den blutigen Fingern, mit der Mausefalle und mit den nachweislich falschen Zahlen: Er war nur das Donnergrollen vor dem heraufziehenden Gewitter, das sich jetzt über der SRG entlädt.

Natürlich hat SRF-Direktor Ruedi Matter recht: Es war «nur eine Finanzvorlage», über die wir abstimmen durften. Doch diese Finanzvorlage transportierte viel mehr, als sich die Befürworter bis zum Schluss eingestanden. Sie transportierte die Hilflosigkeit der Politik, mit der SRG und dem Begriff Service Public umzugehen. 

Dieser Abstimmungskampf offenbarte erneut den tiefen Graben zwischen den Verlegern und einem subventionierten Marktgiganten in einem viel zu kleinen Werbemarkt. Und er entlarvte das Verlangen mancher Machtträger, dieses den medialen Diskurs massgeblich bestimmende Bollwerk zu kastrieren. 

Fast schon stur wiederholen die Chefs von SRG und SRF das Mantra der «Finanzvorlage» und vom Diskurs, der geführt werden müsse, bevor man Resultate benenne, und dass man gerne und offen und gesprächsbereit an diesem Diskurs teilnehme. Die SRG, die Auftragnehmerin: Sie spielt den Ball zurück an die Politik.

Von Abschaffern, Intellektuellen und Marktregulierern

Doch dort herrscht Ratlosigkeit. Da fliegen dem Begriff dieses Service Public die politischen Kampfansagen nur so um die Ohren. Sie zeigen vor allem die Überforderung mit der nationalen Medienpolitik. Aber sie zeigen auch den Versuch, die alten wirtschaftlichen Pfründe der Verleger zu erneuern und den ohnehin zu kleinen Schweizer Markt neu zu verteilen.

Da sind nun also die Extremisten, die das heutige Finanzierungssystem komplett bodigen wollen. Alles gratis, auch die mediale Grundversorgung. «No-Billag» nennt sich die Initiative und geht so weit, dass sie selbst die prominenten politischen Unterstützer nicht umsetzen wollen. Lieber die Gebühren halbieren, findet SVP-Nationalrätin Natalie Rickli. Die Initiative ja nicht umsetzen, sagt Hans-Ulrich Bigler, Direktor des Gewerbeverbands Schweiz, aber sie würde beim Bundesrat Druck aufsetzen. Womit Bigler in dieselbe Rhetorik einstimmt, wie sie die SVP anschlägt mit dem Drängen auf die Umsetzung der Masseneinwanderungs-Initiative. 

Dass sich einige Linke nun argumentativ selbst unterlaufen, scheint sie nicht zu kümmern.

Dann sind da die politischen Intellektuellen, die mit nicht greifbaren Floskeln wie «Boulevardisierung» oder «Infantilisierung» gegen das argumentieren, was nicht in den Raster eines dem spezifischen Weltbild konformen Bildungssenders passt. Diesen Gesang stimmen derzeit vor allem politisch Linke an; dass sie sich damit argumentativ selbst unterläuft und den Abschaffern eher das Wort redet, scheint sie nicht zu kümmern. 

Dann sind da die Marktgetriebenen, die eine Zerschlagung der SRG zugunsten der Privaten wünschen. Zuvorderst: Natalie Rickli, selbst Angestellte eines der grössten Vermarkter digitaler und elektronischer Inhalte in der Schweiz, Goldbach Media AG. Die SRG soll ihre staatsfinanzierte Vormachtstellung im Markt abgeben, fordern sie, und meinen vor allem den Markt im Internet.

Hier finden sich Verlage, denen die klassischen Zeitungsauflagen seit Jahren wegschmelzen, plötzlich mit der SRG wieder. Denn auch Fernsehen und Radio werden zunehmend zeitversetzt konsumiert; eine wesentliche Tatsache des Medienwandels. Die Konkurrenz ist hart: Verlage und SRG bieten ähnliche Inhalte, die einen mit mehr Bewegtbild, die anderen mit mehr Text. Doch die ohnehin schon schwierige Frage nach der Monetarisierung im Internet muss die SRG im Gegensatz zu den Verlegern nur bedingt beantworten. Sie empfängt Staatsgelder, und das macht die Verleger rasend, die mit Paywalls, Abos und neuen Werbemodellen ihre Inhalte zu finanzieren versuchen.

Alles findet sich auf dem Kampfplatz Internet wieder

Und siehe da: Was vorher auf verschiedenen Trägermedien stattfand, findet sich im Internet wieder, diesem gigantischen Kanal an zeitnaher und zeitversetzter Informationsverbreitung. Und die Verleger, bislang feudal regional aufgestellt, machen Druck, um sich den elektronischen Schweizer Markt genauso zu sichern, wie sie es mit dem räumlichen bislang getan haben.

Und schliesslich sind da diejenigen, die die Institution zerlegen möchten. Also die, die mehr Potenzial für Einflussnahme bei den Privaten und den Regionalen verorten. Medienunternehmer Christoph Blocher machte es beispielhaft vor: Unvorstellbar, «Teleblocher» auf SRF auszustrahlen. Das Schaffhauser Fernsehen aber kaufte die Eigenproduktion des Politikers ein. Mit der Aufhebung der geografischen Schranken für die Regionalsender ist das Format seit Ende 2012 auch in der ganzen Schweiz im TV empfangbar.

Das Verheerendste für den Service Public wäre ein Vakuum, ein Spielfeld des Marktes, in dem der Werbeverkauf regiert.

Die Frage, was die SRG soll, was sie kann und was die Schweiz unter einem medialen Service Public versteht, beantwortet konkret aber niemand. Die Debatte drängt genau deshalb: Was erwartet die Gesellschaft von einer Rundfunkgesellschaft, die das ganze Land mit Informationen grundversorgen soll? Soll die SRG das Land überhaupt grundversorgen? Oder soll sie nur das Nötigste liefern, ein Rumpfangebot, das für andere nicht rentiert? Und die wichtigste Frage: Was soll an die Stelle der SRG treten? Das Verheerendste für die Gesellschaft wäre ein Vakuum, ein Spielfeld des Marktes, in dem allein die Quote und letztlich der Werbeverkauf regiert.

Die Debatte ist überfällig

Die Debatte über den Service Public und damit über die Rolle der SRG ist überfällig. Aber sie darf nicht allein über die Finanzierung ausgetragen werden. Die Politik muss das tun, was sie tun kann: den Auftrag definieren, der die gesellschaftlichen Erwartungen erfüllt und der wirtschaftlichen Realität entspricht.

Und da debattieren wir nicht über «glanz&gloria», Sendungen wie «Die grössten Schweizer Talente» oder ob das Kulturradio die Brahms-Aufzeichnung von Karajan oder Abbado auflegt. Wir debattieren das staatstragende Konzept einer Grundversorgung im Bereich der Information.  Eine Grundversorgung mit dem, was uns im Rauschen zwischen Katzenvideos, kruden Weltanschauungen und der Einführung von Unterflurcontainern zu mündigen Mitgliedern einer direkten Demokratie macht.

Das ist keine öffentliche Sendekritik. Und das ist auch keine marktregulierende Massnahme. Die Debatte über den Service Public der SRG muss die Erwartung einer Nation an einen Lebensnerv der Demokratie formulieren. Ihr Ziel muss sein: Im Zeitalter des Internets die verlässliche Grundversorgung an wahren Informationen sicherzustellen, die das Leben in der Schweiz im 21. Jahrhundert wahrhaftig abbilden.

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