Ob Sie es glauben oder nicht: Sie geben mehr als das Doppelte der Billag-Gebühren für private Schweizer Medien aus. Auch wenn Sie keine Zeitung abonniert haben.
Sehr erfreut! Sie gehören zu den Bürgerinnen und Bürgern, die Zeitung lesen, zur Gruppe der Medienkonsumenten. Dafür an dieser Stelle ein herzliches Dankeschön: Ohne Sie, liebe Leserin, lieber Leser, fühlte sich so ein Dasein als Text ganz und gar sinnlos an.
Als Gegenleistung, quasi als Zeichen der Dankbarkeit für Ihre Aufmerksamkeit, werden Sie an dieser Stelle über die wahre Höhe Ihrer Ausgaben für Medienkonsum informiert. Immer gut zu wissen, wofür man sein Geld ausgibt. Und was Sie mit Ihren Ausgaben so alles, vielleicht ohne sich dessen bewusst zu sein oder es zu wollen, unterstützen.
Das Thema beschäftigt dieser Tage vor allem das laute Lager der SRG-Gegner: Die Rede ist von «Zwangsgebühren», etwa bei der Stop-Billag-Initiative von Rechtsaussen. Und klar, die Produktion von TV und Radio, viersprachig, ist teuer. Der Geschäftsbericht zeigt es – 1,195 Milliarden Franken Gebührengelder erhielt die SRG im Jahr 2015.
Viel Geld, sagen Sie? Nun, laut der offiziellen Schweizer Werbestatistik hat die Schweizer Werbewirtschaft im selben Jahr netto 5,21 Milliarden umgesetzt. Für Print-Medien 1,436 Milliarden Franken, für elektronische Medien (TV, Radio, Internet, aber ohne SRG und alle anderen Werbeformen wie Plakatwerbung) 1,12 Milliarden Franken.
Offiziell betrug die Summe der Werbegelder für private Schweizer Radio-, TV-, Print- und Online-Medien im Jahr 2015 also 2,556 Milliarden Franken.
Alle Schweizer Konsumenten bezahlen die Gratiszeitung «20 Minuten». Und das, obwohl viele sie womöglich kaum kaufen würden.
Was das mit Gebühren zu tun hat, fragen Sie? Nun: Alles. Schliesslich bezahlen Firmen diese Werbegelder – und diese Firmen haben jeden Rappen davon von Ihnen, den Kundinnen und Kunden erhalten. Alle Schweizer Konsumentinnen und Konsumenten finanzieren die Schweizer Medien – Zeitungen, Zeitschriften, Online-Portale und private Radio- und TV-Stationen – tagtäglich über diese versteckten Zwangsgebühren. Und zwar mit einem mehr als doppelt so hohen Betrag wie der, den Sie per Billag an die SRG bezahlen.
Nehmen wir als Beispiel einige der grössten Werbekunden der Schweiz: Ob Sie im Coop eine Cola oder im Migros einen Ice-Tea kaufen, ob Sie Ihre Handy-Rechnung oder Ihren Internet-Anschluss bezahlen, ob Sie ein Auto besitzen oder sich ein SBB-Billett kaufen, ob Sie sich zum Znüni einen Milch- oder einen Energy-Drink gönnen: Mit jedem Franken, den Sie ausgeben, finanzieren Sie auch Schweizer Medien mit – über die Werbe-Etats der Firmen, die Sie mit Ihrem Kauf unterstützen
Darum gibt es keine Gratiszeitungen. Denn deren Herstellung und Verteilung kostet viel Geld. Geld, das unter anderem Sie jeden Tag bezahlen, egal wofür Sie es gerade ausgeben. Die erfolgreichste Zeitung der Schweiz, «20 Minuten», profitiert am meisten davon: Sie liegt überall in Boxen auf. Gratis nur zum Schein: Alle Schweizer Konsumenten haben sie bereits bezahlt. Und das, obwohl viele womöglich kaum für sie bezahlen würden.
Sie, die Unterstützer, scheinen keinerlei Einfluss auf die konkrete Verwendung der versteckten Medien-Zwangsgebühren nehmen zu wollen.
Das ist das Perfide an dieser Form der privaten Medien-Zwangsgebühren. Wenn Sie sagen: Diesen oder jenen Mist lese ich nie, das würde ich niemals unterstützen – dann mag Ersteres zwar zutreffen, aber Letzteres eben nicht, weil Sie längst alle Schweizer Medien finanziell unterstützen. Daran ist grundsätzlich nichts auszusetzen – an dieser Stelle ist erneut ein herzliches Dankeschön angebracht: Ohne Sie, liebe Inserentinnen und Inserenten, wäre so ein Text-Dasein schlicht keins, weil mein Autor dann einen anderen Beruf ergreifen müsste.
Nein, das Problem ist ein anderes: Ihre Unterstützung wird weder fair noch nach nachvollziehbaren Leserbedürfnis- und Qualitätskriterien verteilt. Und Sie, die Unterstützer, scheinen keinerlei Einfluss auf die Verteilung und konkrete Verwendung der versteckten Medien-Zwangsgebühren nehmen zu wollen.
Verstehen Sie diese bescheidenen Zeilen nicht falsch: Weder Sie noch sonst jemand kann ernsthaft die Abschaffung der privaten Zwangsgebühren fordern – das wäre nicht nur medien-, sondern auch wirtschaftsfeindlich. Sie, verehrte Leserin, verehrter Leser, sind der lebendige Beweis dafür, dass Medien einen Wert haben. Sonst hätten Sie kaum so weit gelesen. Und mit Wirtschaftsfeindlichkeit gewinnt man hierzulande bekanntlich keinen Blumenstrauss.
Geiz ist aus gutem Grund eine der sieben Todsünden.
Aber vielleicht gelingt es Ihnen immerhin, einige Missverständnisse aus dem Weg zu räumen. Vielleicht haben Sie schon davon gehört, dass an der ganzen Misere die angeblich vom Internet geförderte «Gratismentalität» schuld sei. Unlängst hat sich alt Bundesrat Moritz Leuenberger über den desolaten Zustand der Schweizer Medien beklagt, nachzulesen in einem Text der NZZ – die direkte Demokratie sei bedroht wegen des Niedergangs der journalistischen Qualität und Vielfalt, sagte er – und eben: auch wegen der Gratismentalität.
Das Wort suggeriert, dass es so etwas wie kostenlose Nachrichten überhaupt gibt. Sie wissen mittlerweile, dass das nicht stimmt. Und mit dem Internet verhält es sich diesbezüglich wohl eher so, dass es einer – Sie verzeihen mir die Feststellung – historisch konstanten Schwäche des menschlichen Charakters Vorschub leistet. Geiz ist aus gutem Grund eine der sieben Todsünden.
Die NZZ hielt schon am 4. Februar 1874 in ihrem Aufmacher über die «Schweizerische Handelsbilanz» fest: «Eine Thatsache fällt, wenn wir die Ein- und Ausfuhren von 1873 und von 1872 mit einander vergleichen, ganz besonders in die Augen: nämlich die Verbesserung des Schweizerischen Appetits.» So seien mehr Mehl, Reis, Teigwaren, Schlachtvieh, Butter, Bier und Wein etc. importiert worden – im Schnitt «etwa 10 Prozent», was weder mit Ernteausfällen noch dem Bevölkerungswachstum (1 Prozent) zu erklären sei, und auch «der Touristenverkehr sei im Jahre 1873 kaum stärker gewesen als im Vorjahr».
Nicht fremde Gäste, sondern vor allem Schweizer haben also all die schönen Sachen verzehrt. Auch unterwegs, denn «jetzt meine jeder kleine Beamte, jeder Schulmeister usw., er müsse im Sommer eine Schweizerreise machen, und die Knauserei nehme bei den Reisenden so überhand, dass die Wirthe dabei kaum mehr bestehen können».
Der Autor des Textes wirft seinen Landsleuten die Geiz-ist-Geil-Mentalität vor, die zum Untergang eines Wirtschaftszweiges führen soll. Wie Sie wissen, leben Wirte auch 142 Jahre später noch: Hunger ist, in dieser Eigenschaft dem Geiz gleich, eine menschliche Konstante.
Bezahlen Sie wirklich dafür, was Sie da zu sich nehmen, oder wird weiter ohne jede Kontrolle über ihre Zwangsgebühren verfügt?
Auch der Hunger nach Information wird nicht versiegen. Die Frage ist nur: Bezahlen Sie wirklich dafür, was Sie da zu sich nehmen, oder wird weiter ohne jede Kontrolle über ihre Zwangsgebühren verfügt? Warum landet der Löwenanteil Ihrer Medien-Zwangsgebühren bei einigen wenigen grossen Produkten grosser Verlage – ohne Berücksichtigung journalistischer Qualität, ohne Ausgleich, ohne Fairness?
Erste Konsumenten beginnen sich zur Wehr zu setzen – zum Beispiel in England. Die Aktion «Stop Funding Hate», die in kürzester Zeit über 90’000 Unterstützer auf Facebook vereinen konnte, übt so wachsenden öffentlichen Druck auf Firmen aus, die in britischen Zeitungen inserieren, die einseitige Hass-Kampagnen gegen Minderheiten veröffentlichen.
In den USA waren ähnliche Kampagnen schon von Erfolg gekrönt: So haben sich bei «Fox News» wegen diverser gezielter Proteste zahlreiche Sponsoren und Werber von der erfolgreichen TV-Show von Glenn Beck zurückgezogen. Im Jahr 2011 hat sich «Fox» vom extremen Talker getrennt: Der Druck war zu gross geworden.
Der britischen «Stop Funding Hate»-Kampagne geht es nicht um die Unterdrückung der Meinungsfreiheit – im Gegenteil. Sie steht für sie ein, und zwar gemäss der Internationalen Erklärung der Menschenrechte.
Aber sie schreibt deutlich an die Firmen, die in gewissen Zeitungen inserieren: «Wir wollen nicht, dass unser Geld die Hass-Kampagnen der ‹Sun›, des ‹Daily Express› und der ‹Daily Mail› finanzieren helfen. Als Konsumenten haben wir genauso das Recht, unsere Ansichten zu verkünden. Und deshalb bitten wir die Firmen, bei denen wir einkaufen, mit uns für unser Anliegen einzustehen.»
Auch bei privaten Zwangsgebühren gilt: Sie, liebe Leserin, lieber Leser, könnten mehr Einfluss auf deren Verwendung nehmen, als Sie denken. Sie müssten nur wollen.