Bundesrätin Simonetta Sommaruga will verhindern, dass die direkte Demokratie der Schweiz von begüterten Interessenorganisationen und Verbänden ausgehöhlt wird. Helfen wir ihr dabei.
Als die Bundespräsidentin des Jahres 2015, Simonetta Sommaruga, nach ihrer Wahl vergangene Woche vor die Bundesversammlung trat, bedankte sie sich nicht nur bei ihren Wählerinnen und Wählern, sondern versprach auch, sich vor allem um zwei Probleme zu kümmern, die unserer Zuwendung bedürfen. Sommaruga sagte, sie werde im Wahljahr 2015 «bei der direkten Demokratie einen Akzent setzen» und der «Konkordanz» besonders Sorge tragen.
Nicht ein Kommentator hierzulande fragte sich, weshalb sich Simonetta Sommaruga ausgerechnet diese zwei Aufgaben vornimmt, und ob wohl ein Zusammenhang zwischen ihnen besteht. Ich glaube auch hier nicht an den Zufall. Denn die Justizministerin war in den letzten beiden Jahren mindestens schon zweimal – von weiteren Versuchen war ausserhalb des Bundesratszimmers nichts zu vernehmen – im Kollegium aufgelaufen, als sie ganz vorsichtig eines der aktuell grössten Probleme der direkten Demokratie angehen wollte, nämlich deren Kolonialisierung durch das Geld.
Unklare Herkunft der Gelder
Zwar wird auch in der Schweiz für Abstimmungskampagnen immer mehr Geld ausgegeben, jeder Wahlkampf kostet einige Dutzend Millionen mehr als der vorangegangene. Die finanziellen Mittel sind bei den einzelnen Vorlagen häufig extrem ungleich verteilt, und die Herkunft der Gelder ist zwar meist Gegenstand von öffentlichen Vermutungen, doch genau weiss es keiner. Es scheint auch kaum jemanden zu stören, dass immer mehr Menschen die Volksrechte als Instrument reicher Männer und gut ausgestatteter Verbände empfinden und weniger als Rechte aller Bürgerinnen und Bürger, mittels derer sie sich um die gemeinsamen Einrichtungen und das Gemeinwohl kümmern können.
Sowohl die Wahlbeobachter der OSZE als auch die Anti-Korruptionsbehörde des Europarates Greco haben die Schweiz in den letzten zehn Jahren schon mehrere Male auf die gravierenden Folgen dieses Defizites aufmerksam gemacht. Die Schweiz ist heute unter den etwa 40 europäischen Demokratien das einzige Land, welches das Verhältnis zwischen Geld und Demokratie in keiner Weise regelt.
Kein Staat dürfte Mitglied des Europarates werden, der den Einfluss des Geldes in Wahlen und Abstimmungen nicht gesetzlich regelt.
Das vorletzte Land mit diesem Manko war Schweden, das die 80 Millionen Franken, die es jährlich an die Parteien verteilte, jahrzehntelang mit einer Vereinbarung der Parteien rechtfertigte; dieses Jahr folgte nun das notwendige Gesetz. Kein Staat dürfte heute Mitglied des Europarates werden, der den Einfluss des Geldes in Wahlen und Abstimmungen nicht gesetzlich zu regeln versucht.
Bundesrätin Sommaruga weiss um die Schäden, welche die Demokratie unter solch defizitären Umständen davonträgt. Folgende Bausteine der Demokratie werden brüchig:
- Die auch im politischen Wettbewerb notwendige Chancengleichheit fehlt. Es herrschen unfaire Wettbewerbsbedingungen.
- Das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die politischen Institutionen erodiert. Die Menschen merken, dass Geld die Wahl begünstigt und nicht das bessere Argument, der überzeugendere Einsatz für das Gemeinwohl oder das grössere Engagement.
- Wer über mehr Geld verfügt, wird politisch gewichtiger als derjenige ohne oder mit wenig Mitteln; von der Gleichwertigkeit der Bürger an der Urne als Grundidee der Demokratie kann keine Rede mehr sein.
- Wer merkt, wie einseitig er informiert wird, wendet sich ab; die Voraussetzungen der Teilnahme gehen kaputt.
Bürgerliche Verweigerungshaltung
Mindestens zweimal blitzte Bundesrätin Sommaruga mit entsprechenden, sehr zahmen und umsichtigen Gesetzesvorhaben im Bundesrat ab. Ihre bürgerlichen Kollegen verweigerten sich; sie wollten sich dem Problem nicht einmal stellen.
Dies wiederum illustriert, dass es mit der Konkordanz in Bundesbern mehr als hapert. Denn die Konkordanz ist mehr als eine Dreisatzregel zur parteipolitischen Zusammensetzung des Bundesrates. Sie hat auch eine inhaltliche und prozedurale Dimension. Inhaltlich heisst, dass die beteiligten Parteien und Personen einen minimalen gemeinsamen Schatz an Grundwerten und politischen Zielen teilen. Dazu gehört beispielsweise der Schutz der Menschenrechte und damit auch einer lebendigen, anständigen Demokratie.
Zur prozeduralen Dimension der Konkordanz gehört, dass Vorhaben der einzelnen Regierungsmitglieder nicht ewig und gänzlich übergangen werden dürfen. Schliesslich macht der Bundesrat nur Vorschläge; deren Schicksal wird vom Parlament oder von der Mehrheit der Stimmenden und der Kantone entschieden.
Die Macht des Geldes erlaubt den Reichen, ihre Interessen in der Politik durchzusetzen; das Gemeinwohl bleibt auf der Strecke.
Wohin es führt, wenn begüterte Personen, Interessenorganisationen und Verbände mit ihrem Geld in der Politik machen können, was sie wollen, haben kürzlich die beiden US-Amerikaner John Nichols und Robert McChesney in ihrem Buch «Dollarocracy» beschrieben. Untertitel der 340-seitigen Darstellung: «Wie das Geld Amerika zerstört». Grundthese: «Die USA sind heute eine Demokratie der Wenigen, im Wesentlichen eine Plutokratie». Freie und faire Wahlen seien den Bürgern vom Geld gestohlen worden. Die Macht des Geldes erlaubt den Reichen, ihre Interessen in der Politik durchzusetzen; das Gemeinwohl bleibt auf der Strecke. Es herrsche keine Demokratie mehr in den USA, so Nichols und McChesney, sondern eine «Dollarokratie».
Bundesrätin Sommaruga will verhindern, dass die Demokratie in der Schweiz zur «Frankokratie» wird. Helfen wir ihr dabei. Denn wir müssten in einer Frankokratie am meisten draufzahlen.