Gestern judenfeindlich – heute israelfreundlich

Seit einer Woche schiesst die BaZ gegen die Grüne Partei. Der Vorwurf: versteckter und offenener Antisemitismus. Ausgangspunkt der Debatte ist die Kandidatur von Geri Müller als Stadtammann in Baden. Der grüne Nationalrat hatte vor einem Jahr Vertreter der Hamas im Bundeshaus empfangen. Nun antwortet Jo Lang auf die Vorwürfe. Der Vizepräsident der Grünen und Historiker dreht den Spiess um.

Mit der Giftkanne. (Bild: Nils Fisch)

Seit einer Woche schiesst die BaZ gegen die Grüne Partei. Der Vorwurf: versteckter und offenener Antisemitismus. Ausgangspunkt der Debatte ist die Kandidatur von Geri Müller als Stadtammann in Baden. Der grüne Nationalrat hatte vor einem Jahr Vertreter der Hamas im Bundeshaus empfangen. Nun antwortet Jo Lang auf die Vorwürfe. Der Vizepräsident der Grünen und Historiker dreht den Spiess um.

Die Kampagne der nationalkonservativen Basler Zeitung gegen «grünen Antisemitismus» (Artikel online nicht verfügbar) wegen Israel-Kritiken passt bestens zur Wende, welche die abendländische Rechte in den letzten Jahren vollzogen hat. Die meisten historischen Träger des Antisemitismus mutierten zu den unkritischsten Freunden Israels. Ein typisches Beispiel ist der aus dem flämisch-katholischen Antisemitismus stammende Vlaams Belang, der heute philosemitisch und proisraelisch auftritt. Die rechtsextreme Partei, die die Mitverantwortung ihrer politischen Vorfahren für die Ermordung Zehntausender von Juden nie aufgearbeitet hat, verlangt heute von Musliminnen und Muslimen das Bekenntnis zu den «jüdisch-christlichen Werten» …

Von der Juden- zur Muslimfeindlichkeit

Die aus judenfeindlichen Bewegungen wie dem Faschismus in Italien, dem Frankismus in Spanien und dem Petainismus in Frankreich hervorgegangenen Parteien betonen heute ihre Israelfreundlichkeit. Als 2006 der postfaschistische Aussenminister Gianfranco Fini vom Linksdemokraten Massimo d’Alema, einem Erben jener Partisanen, die Tausende von Jüdinnen und Juden gerettet haben, abgelöst wurde, schrieb die israelische Zeitung «Yedioth Achronoth» vom «Ende des Honigmonds zwischen Israel und Italien». Als Silvio Berlusconi kürzlich wieder einmal Benito Mussolini in Schutz nahm, konterte er Kritiken aus jüdischen Kreisen mit dem Hinweis auf seine proisraelische Haltung. In Frankreich sind die politischen Nachfahren der rechten Antidreyfusards viel israelfreundlicher als die der linken Dreyfusards.

In den USA hat der gleiche Fernsehprediger Jerry Fallwell, der 1999 verkündet hatte, der Antichrist sei jüdisch und arbeite in den Medien, vier Jahre später erklärt: «Amerikas Bible Belt ist Israels Sicherheitsgürtel.» In der Schweiz stellt die gleiche SVP, welche noch in den 90er Jahren wiederholt auf judenfeindliche Vorurteile und Stereotypen zurückgegriffen hat, heute das Gros der parlamentarischen Gruppe Schweiz-Israel. Deren Gründer und Sekretär ist der ehemalige EDU-Nationalrat Christian Waber. An die Stelle der traditionellen Judenfeindlichkeit trat die Muslimfeindlichkeit, ein anderes Erbstück des «christlichen Abendlandes».

Feusi und der StV-Antisemitismus

Dominik Feusi, der Hauptautor der Polemiken gegen die Grünen, gehört verschiedenen Organen des «Blocher-Netzwerks» (Edito/Klartext, 01/12) an. Neben der Basler Zeitung sind das unter anderem «Die Freiheitsfreunde», die wiederum dem Liberalen Institut und dem Monats Verlag nahestehen. Dessen Zeitschrift war unter dem Namen «Schweizer Monatshefte» in den frühen 30er Jahren eine Art Theorieorgan der Fröntler gewesen. Dessen Vergangenheit ist nie ernsthaft aufgearbeitet worden. Das trifft auch auf den katholischen Studentenverein (StV) zu, in dem Feusi eine leitende Stellung inne gehabt hat. Der StV gehörte ab den 1860er bis in die 1940er Jahre zu den Avantgarden der Judenfeindlichkeit in der Schweiz. Als Historiker hat Dominik Feusi, der für dieses schwarze Kapitel keine Verantwortung trägt, nie über katholischen Antisemitismus publiziert.

Die Attacken des neoliberal und neokonservativ orientierten Feusi gegen eine Linkspartei, welche sich seit 30 Jahren aktiv für die Gleichberechtigung der jüdischen (wie auch muslimischen) Religion, für die Aufarbeitung der antisemitischen Boot-ist-voll-Politik, für die Rückzahlung des Raubgoldes, gegen Antisemitismus und Rassismus sowie für einen gerechten Frieden im Nahen Osten engagiert, passen bestens zur abendländischen Reaktion. Das trifft auch auf den Chefredaktor der Basler Zeitung zu.

Die SVP gegen die «goldene Internationale»

In seiner vor vier Jahren erschienen Biographie über Christoph Blocher hat Markus Somm diesen vor dem Vorwurf des Antisemitismus in Schutz genommen. Um zu illustrieren, wie er es tat, zitiere ich aus meiner damaligen Buchbesprechung in der deutschen Wochenzeitschrift «Die Zeit»: «Blocher, der im ‚Kampf um die Geschichte‘ das verteidigte, was bislang als offizielle Lehre gegolten hatte, wurde wiederholt unterstellt, mehr oder weniger gezielt judenfeindliche Vorurteile abgerufen zu haben. Diesem schwerwiegenden Vorwurf geht Somm nur halbherzig nach. So erwähnt er die in der ‚Jubiläums-Proklamation‘ der Zürcher SVP zu ihrem 80. Geburtstag vom September 1997, also mitten in der Nazigolddebatte veröffentlichten Polemik gegen den ‚goldenen Internationalismus‘ mit keinem Wort. Aber an anderer Stelle übersetzt er die frühere ‚Frontstellung‘ der SVP gegen die ‚goldene Internationale‘ als eine gegen den ‚Kapitalismus‘. Dabei sollte einem Historiker bekannt sein, dass ‚goldene Internationale‘ ein auch von den Nazis benutztes Codewort für ‚jüdisches Finanzkapital‘ ist.»

Es geht hier nicht darum, Feusi oder Somm irgendwelche judenfeindliche Vergangenheit zu unterstellen. Es geht darum, ihre Kampagne einzuordnen in eine europa- und amerikaweite, in der die politischen Nachfahren jener konservativen und christlich-nationalistischen Bewegungen, welche in den meisten Ländern die Hauptträger der Judenfeindlichkeit waren, heute deren Gegnern vorwerfen, antisemitisch zu sein. Dabei geht es den Rechten auch darum, die eigene Vergangenheit, beispielsweise die Abweisung von 30‘000 jüdischen Flüchtlingen an der Schweizer Grenze, zu verdrängen.

Wir Grünen kritisieren aussenpolitisch die Diskriminierung der Palästinenserinnen und Palästinenser durch Israel aufgrund derselben humanistischen und universalistischen Normen, mit denen wir innenpolitisch für die Gleichberechtigung nichtchristlicher Religionen kämpfen.

Aufforderung zu öffentlichem Streitgespräch

Auch um dies klar zu machen, habe ich Dominik Feusi vergangenen Montag ein «öffentliches Streitgespräch zwischen uns zwei Historikern über den Fragenkomplex Antisemitismus, Islamophobie, religiöse Gleichberechtigung in Geschichte und Gegenwart der Schweiz» vorgeschlagen. Der Herausgeforderte ist grundsätzlich dazu bereit. Ob, wo und wann die Debatte stattfindet, entscheidet sich in den kommenden Tagen.

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