Die Verkehrsministerin Doris Leuthard machte in der Abstimmung zur zweiten Gotthardröhre alles richtig. Mit rhetorischen Tricks und viel Charme führte sie die Stimmbevölkerung zu einem Ja.
Der Abstimmungskampf zur zweiten Gotthardröhre war eine Farce. Die Befürworter operierten mit rhetorischen Tricks und Zahlenspielen – und gewannen so in einer Frage, die bei der Stimmbevölkerung seit Jahrzehnten auf Ablehnung stösst (Ja zur Alpeninitiative, Nein zu Avanti). Für einen zweiten Strassentunnel am Gotthard kämpfen Lastwägeler und Tunnelbauer seit über 20 Jahren. Mit der Verknüpfung der Sanierungslösung wurde ihr Prestigeprojekt nun möglich.
Die besten Argumente von Verkehrsministerin Doris Leuthard waren die Sicherheit und der Preis. Wer das mulmige Gefühl kennt, wenn man durch den Gotthard fährt, hatte das Ja auf dem Abstimmungszettel schon fast ausgeschrieben. Und der Preis für die Sicherheit schien dieses Mal so günstig wie nie.
Nur eine Milliarde mehr, rechnete Leuthard vor, würde der Bau einer zweiten Röhre kosten im Vergleich zur Sanierung mit Verladelösung. Das Argument klingt verlockend, ist jedoch falsch. Denn der Bundesrat hat etwas nicht erwähnt: Eine zweite Röhre kostet auch dann, wenn sie gebaut ist. Etwa 30 Millionen Unterhaltskosten jedes Jahr. Und irgendwann muss die zweite Röhre, die vielleicht in 20 Jahren in Betrieb geht, auch saniert werden. Will der zukünftige Bundesrat dann eine dritte Röhre bauen, wie es derweil am Belchen geschieht?
Die Sanierung wäre so oder so gekommen – wahrscheinlich später und weniger aufwändig, als Leuthard im Abstimmungskampf betonte.
Die Bürgerinnen und Bürger konnten lesen, es gehe um «die Sanierung des Gotthardstrassentunnels» – so die fett gedruckte Zusammenfassung auf dem Stimmzettel. Auch dieser Trick verfing. Wer konnte schon gegen eine Sanierung stimmen und so in Kauf nehmen, dass den Ferienfahrern die Tunneldecke aufs Auto bröckelt? Dabei wäre die Sanierung so oder so gekommen. Wahrscheinlich auch später und weniger aufwändig, als Leuthard im Abstimmungskampf betonte. Das Gutachten des Bundesamts für Strassen, das die Haltung des Bundesrates wenige Monate vor der Abstimmung widerlegte, blieb fast völlig unbeachtet.
Wo der Souverän bei der Durchsetzungsinitiative rationalen Argumenten folgte, liess er sie bei der Gotthard-Abstimmung vermissen. So glaubten beispielsweise laut «Blick»-Umfrage ein grosser Teil der Wählerinnen und Wähler, dass die zweite Fahrspur entgegen Leuthards Behauptung nach dem Bau des Tunnels geöffnet würde. Das hiesse, dass die Kapazitäten und damit wohl auch der Verkehr verdoppelt würden. Und trotzdem stimmte eine Mehrheit Ja.
Leuthards Plan ging auf. Die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger folgten erstmals nach der Schlappe aus dem Abstimmungskampf zur teureren Vignette 2013 der Verkehrsministerin. Die Bundesrätin hat daraus gelernt. 2016 zogen neben ihrem Charme nun auch die Argumente.
Doris Leuthard im Video-Interview mit der TagesWoche:
Frau Leuthard, sind Sie die heimliche Basler Bundesrätin?
Doris Leuthard ist in Basel aufgetreten – schon wieder. Ist sie die heimliche Basler Bundesrätin? Wir haben sie gefragt – und nicht nur das:
Posted by TagesWoche on Wednesday, January 20, 2016