Die Illusionen, auf denen die ganze Griechenlandpolitik aufgebaut ist, werden platzen. Doch auch wenn die Folgen verheerend sein können: Ob die Griechen das Angebot der Gläubiger annehmen wollen oder nicht, müssen sie zu Recht selbst entscheiden.
Die Entscheidung des griechischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras, das griechische Volk über das «grosszügige» Angebot der Gläubiger entscheiden zu lassen, ist notwendig.
Die Syriza-Partei ist mit dem Programm angetreten, die Politik des Troika-Diktats zu beenden. Das mag machtpolitisch illusionär gewesen sein, bildete aber die Legitimationsgrundlage ihres Regierungshandelns. Mit dem Rücken zur Wand sah der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras nur die Möglichkeit einer Erneuerung und Verstärkung der Legitimation durch ein Referendum.
In Deutschland mag man sich daran gewöhnt haben, in Wahlversprechen etwas Unernstes zu sehen; in Griechenland ist die jetzige Regierungspartei jedoch der Auffassung, dass die Folgen einer weiter verschärften Austeritätspolitik nur dann der Bevölkerung aufgebürdet werden können, wenn sie das ausdrücklich will. Welche Folgen die Syriza-Partei dann daraus zöge, die das nicht will, müssen wir abwarten.
Alles auf Illusionen aufgebaut
Das grundsätzliche Problem der Euro-Stabilisierungspolitik ist, dass sie auf Illusionen aufbaut und hofft, dass das den Wählerinnen und Wählern nicht klar wird. Auch deshalb wird auf Griechenland verbal eingeprügelt und so getan, als würde es in der EU Erziehungsberechtigte (wie Deutschland) sowie kleine Kinder und schwer Erziehbare geben (die südeuropäischen Staaten). Als besonders komplizierter Fall wird Griechenland beschrieben, so als wäre dieses Land nur von faulen, zur Dauerparty aufgelegten Ouzo-Trinkern bevölkert.
Die erste Illusion der Griechenlandpolitik bestand darin, zu glauben, dass ein Land, das faktisch überschuldet ist, am Staatsbankrott vorbeigemogelt werden könne. Nun sind das keine Illusionen, wie sie besonders naive Leute haben. Es sind Illusionen, die man verbreiten muss, um ein Programm der erneuten Bankenrettung zu finanzieren. 2010 wurde der grösste Teil der griechischen Staatsanleihen von deutschen und französischen Banken gehalten. Damit sich ihre Verluste in Grenzen halten konnten, musste der griechische Zahlungsausfall durch Hilfskredite verhindert werden. Die Banken hatten so Zeit, ihre Schäfchen ins Trockene zu bringen.
Die griechische Regierung soll nach Wunsch der anderen Regierungen scheitern. Daran habe ich keine Zweifel mehr.
Die zweite Illusion bestand darin, zu glauben, dass radikale Sparmassnahmen, die auch die Binnenwirtschaft erkennbar lähmen, aus der Krise führen könnten. Diese Vorstellung hängt mit neoliberalen Doktrinen zusammen, die gesamtwirtschaftliche Betrachtungen scheuen. Deshalb irritiert es von dieser Warte aus auch nicht, wenn Sparmassnahmen eine Volkswirtschaft nicht aus der Krise führen; gefolgert wird daraus nur, dass eben noch nicht genug gespart wurde, also mehr gespart werden müsse. Doch das ist eine Abwärtsspirale mit einem viel zu hohen sozialen Preis. Man beachte, dass Deutschland während der Finanzkrise gerade mit Konjunkturprogrammen – also mit dem Gegenteil – Krisenbekämpfung betrieben hat.
Die dritte Illusion bestand darin, auf diese Weise, mit diesen wirtschaftlichen und sozialen Kosten, die Eurozone stabilisieren zu können. Jetzt ist das Zittern gross, der Austritt oder Rauswurf Griechenlands aus der Eurozone stünde unmittelbar bevor. Verunsicherung greift auch in der Regierung um sich. Machen wir uns nichts vor: Wenn es 2010 gelungen ist, durch Finanzspekulation die Risikoaufschläge auf griechische Staatsanleihen so weit zu erhöhen, dass der Staatsbankrott faktisch da war, dann kann das auch mit Italien, Spanien und Portugal passieren.
Hier wird die vierte Illusion vorbereitet: Inzwischen sei die Eurozone gegen eine Krise viel besser vorbereitet als 2010. Was zu beweisen wäre, aber hoffentlich nicht einem Praxistest unterzogen werden muss.
Wertvolles Erbe bewahren
Die Syriza-Partei und Alexis Tsipras haben ernsthaft geglaubt, wenigstens an einer dieser Illusionen rütteln zu können. Sie haben geglaubt, Verhandlungen und Gespräche, nicht Kapitulation, seien Möglichkeiten dafür. Aber die griechische Regierung soll nach Wunsch der anderen Regierungen scheitern. Daran habe ich keine Zweifel mehr. Aber was wird der Preis sein? Es werden nicht nur die Illusionen und Blütenträume platzen.
Letzten Endes wird die europäische Integration schweren Schaden nehmen. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel hat einst den Satz formuliert: «Scheitert der Euro, scheitert Europa.» Davon ist schon lange nichts mehr zu hören. Gewiss, ich war immer für eine andere Union und auch für einen anderen Euro, den ich schon bei seiner Einführung als Fehlkonstruktion charakterisiert habe. Aber ein Scheitern Europas kann ich nicht wollen. Die Idee eines geeinten Europas wurde nach dem Zweiten Weltkrieg wiederbelebt, um einen erneuten Krieg unmöglich zu machen. Wir dürfen dieses Erbe nicht einem kleinlichen Geist opfern.