Es ist ein kluger Entschluss, den Ottmar Hitzfeld mit seiner Rücktrittsankündigung gefasst hat. Auch als Schweizer Nationaltrainer hat er mit meisterlicher Effizienz gepunktet. Die Frage ist nun, wer der Richtige ist, um einer Generation hochbegabter Spieler auch eine fussballerische Vision zu eröffnen.
Stil hat er halt doch. Am Tag, als der «Blick» ihn zum «Goldmar» macht und die Titelseite als Sockel eines Trainer-Denkmals dient, am Tag, als alles damit rechnet, dass Ottmar Hitzfeld seinen Vertrag als Schweizer Nationalcoach verlängert, erklärt der Lörracher seinen Rücktritt. Und auf dem Zürcher Boulevard hatten sie offenbar keine Ahnung davon.
Das hätte man sich auch anders vorstellen können, seit Ottmar Hitzfeld auf der Lohnliste des Ringier-Verlags steht. Das hat vor Jahresfrist Wellen geworfen; dem noblen Hitzfeld, der es versteht wie ein Gentleman aufzutreten, wurde das Berater-Mandat mindestens als Interessenskollision ausgelegt oder als schlicht geschmacklos.
Mit seiner bis Donnerstag, halb zwölf Uhr, in seinem Herzen und im kleinen Kreis der Verbandsspitze zurückgehaltenen Rücktrittsentscheidung hat er zumindest diese Kommunikationsklippe umschifft. Klar und wohlüberlegt erscheint dieser Entschluss, mit bald 65 Jahren nicht mehr bereit zu sein, sich der Beanspruchung des Trainerjobs auszusetzen. Er sagt: «Nach über 30 Jahren in kräfteraubenden Fussballmetier ist die Zeit gekommen, aufzuhören.» Ottmar Hitzfeld ist müde, er hat keine Lust mehr. Er geht in Rente und wird als sogenannter TV-Experte präsent bleiben – und als Ringier-Berater.
Hitzfeld: Eine Bilanz nicht ohne Zwiespalt
Seine verbliebene Kraft hat er für die Schweizer Nationalmannschaft noch einmal kanalisiert. Mit dem sicheren Instinkt eines Trainers, der mit dem FC Aarau (1), den Grasshoppers (4), Borussia Dortmund (3) und Bayern München (10) insgesamt 18 Titel gewonnen hat. Das macht ihn weltweit zu einem der erfolgreichsten Fussballlehrer. Als Nationaltrainer kündigt er seinen Abschied in dem Moment an, da die Schweiz sich so frühzeitig wie nie zuvor für eine WM-Endrunde qualifiziert hat und nach 18 Jahren wieder unter den Top 10 der Weltrangliste figuriert. Viel besser geht nicht. Rein nominiell.
Die Bilanz fällt dennoch nicht ohne Zwiespalt aus. Auch unter dem aktuell strahlenden Licht der WM-Teilnahme in Brasilien, die krönender Abschluss von Hitzfelds Karriere im Fussball sein wird.
Es hätte ein Fingerschnippen genügt und der ihm fast unterwürfig ergebene Schweizer Fussballverband hätte den Vertrag mit «dem Ottmar» ein weiteres Mal verlängert. Doch Hitzfeld klammert sich nicht an diesen Trainersessel, das hat er auch gar nicht nötig. Er hinterlässt ein bestelltes Feld und macht den Weg frei für einen neuen, hoffentlich frischen Mann und damit auch für eine fussballerische Weiterentwicklung einer vielversprechenden Spielergeneration. Deshalb ist der Entschluss Hitzfelds klug.
Den Umbruch moderiert, meisterlich in der Effizienz
Bleiben wird, dass der Resultatstrainer Hitzfeld den Umbruch zwischen 2010 und 2012 gut moderiert hat. Bleiben wird, dass er sich zweimal für eine Weltmeisterschaft qualifizieren konnte und einmal jämmerlich in einer EM-Ausscheidung gescheitert ist. Bleiben wird, wie sich das 1:0 gegen Spanien an der WM 2010 als süsses Gift entpuppte und Hitzfeld anschliessend keine Mittel fand, um den Weg offensiv inspiriert weiterzugehen. Und bleiben wird, dass Hitzfeld auf der Bank sass, als die Schweiz anno domini 2012 nach 56 dunklen Jahren endlich wieder einmal gegen Deutschland gewinnen konnte.
Bleiben wird aber auch, dass die bis dato 53 Länderspiele unter Hitzfeld (26 Siege, 17 Unentschieden, 10 Niederlagen) kein Ausbund an Spielfreude und grosser Unterhaltung waren oder gar mit visionärem Anstrich versehen. Dieser Typ Trainer war Hitzfeld in den letzten zwei Dekaden nicht. Er steht für meisterliche Effizienz. Die sauber runtergespielten Gruppenspiele auf dem Weg nach Brasilien sind beispielhaft; auch die seit 16 Monaten und 14 Spielen anhaltende Serie der Ungeschlagenheit.
Mit dem Job als Schweizer Nationaltrainer hat Hitzfeld, der nur einen Steinwurf von der Grenze in Lörrach-Stetten aufgewachsen ist, der als Profi beim FC Basel begann und den ein starkes emotionales Band mit dem Schweizer Teil seiner Heimatregion verbindet, noch eine Prophezeiung erfüllt und damit auch den Wunsch nicht weniger Schweizer Fussballfans.
Erfüllt der Nachfolger eine Sehnsucht?
Und nun? Der Kreis der Nachfolgekandidaten erscheint auf einen ersten Blick überschaubar. Doch Marcel Koller ist gerade auf dem Sprung zurück vom Nationalcoach (Österreichs) zum Vereinstrainer (in Nürnberg), und Lucien Favre, ein Mann mit fussballerischem Esprit, macht in Mönchengladbach noch nicht den Eindruck, als ob er mit dem Clubfussball schon fertig wäre.
Bliebe Christian Gross. Er wäre frei, nachdem er vorige Woche nicht in Nürnberg auf den Zug aufgesprungen ist. Gross war schon 1999 und 2007 in der Verlosung und sagte ab. Ob der Höngger jedoch die Sehnsucht erfüllen kann, nebst Resultatorientierung die Schweiz mit auf eine fussballerische Reise zu nehmen, die über die nackten Resultate hinausgeht?
Vielleicht kommt es aber auch auf ganz andere Kriterien an. Hat der SFV bei Hitzfelds letzter Vertragsverlängerung nicht mitgeteilt, wie toll er bei den Sponsoren ankommt und welch starke Medienpräsenz er verkörpert?