Noch mögen die Halbkantone gute Miene zum bösen Spiel machen – doch die Baselbieter Regierung hat sich längst in folgenschwere Positionen verbissen.
Grosse Politik entfaltet ihre Wirkung auch im hintersten Ort im Tal der Hinteren Frenke. So musste der «Reigetschwyler Bott» die 1597 Bürgerinnen und Bürger von Reigoldswil im Juni darüber aufklären, dass der Regierungsrat den Kanton «finanziell entlasten» muss.
«Zahnputzinstruktionen» hiess die Mitteilung. Der «Bott» schrieb: «Unter anderem soll auch der Verzicht auf die Schulzahnpflegeinstruktorinnen der Kindergärten und Schulen zu einer Reduktion der Ausgaben beitragen. Die Instruktorinnen wurden deshalb gestrichen, resp. ausgelagert.»
Somit müssen Baselbieter Gemeinden, denen weiterhin daran gelegen ist, dass ausnahmslos alle Kinder lernen, wie man üble Zahnschäden verhindert, ab sofort alles selber berappen. Der Gemeinderat von Reigoldswil hat sich dafür entschieden. Elf Lektionen à 90 Franken pro Jahr.
Karies
Lesenswert ist die Begründung, die der «Bott» seinen Leserinnen und Lesern für den Gemeinderatsentscheid lieferte:
«Zahlreiche Studien haben nachgewiesen, dass Zahnkaries ein sozioökonomisches Problem ist. Der Bevölkerungsteil mit dem tiefsten Einkommen hat die meiste Karies. Der Unterricht in der Schulklasse hat einen gruppendynamischen Aspekt und hilft entscheidend mit, die Zahnpflege als etwas Selbstverständliches in den Tagesablauf zu integrieren. … Es ist zu befürchten, dass es ohne die Schulzahnpflegeinstruktionen mehr Karies (gemeint sein dürften Kosten, die Red.) in der Kinder- und Jugendzahnpflege geben wird, aber auch später bei den Sozialhilfekosten.»
Baselbieter Land- und Regierungsräte wissen das eigentlich auch. Trotzdem schafften sie den jahrzehntelang erfolgreichen Gesundheitspräventionsservice ab.
Weglächeln
Es ist exakt dieses Verhalten der Baselbieter Regierung, das Städtern langsam aber sicher Zahnschmerzen bereitet. Äusserlich sind die Verletzungen kaum zu sehen: Stellen Regierende der beiden Halbkantone Seite an Seite ein gemeinsames Projekt vor, könnten sie auch in einem Zahnpasta-Werbespot auftreten.
Zuletzt strahlten die Gesundheitsdirektoren Lukas Engelberger (CVP, BS) und Thomas Weber (SVP, BL) bei der Ankündigung der konkreten Pläne zur gemeinsamen Spitalgruppe um die Wette. Ein wichtiger gesundheitspolitischer Meilenstein.
Die Mundwinkel zogen sich rasch wieder nach unten, kaum waren die Kameras aus. Basler Politiker zeigten die Zähne: Obwohl Basel-Stadt 71,5 Prozent des kantonalen Aktienkapitals der geplanten AG tragen soll, teilen sich die Kantone die Macht. Linke und Bürgerliche monierten, die Rechnung gehe nicht ganz auf, das Land profitiere mehr vom Deal als die Stadt.
Ein Gefühl, das die Mehrheit der Städter immer öfter beschleicht.
Das Loch wird grösser
Das kommt nicht von ungefähr. Seit 2009 schreibt das Baselbiet rote Zahlen. Ein Ende ist nicht in Sicht, der Schuldenberg wächst unaufhaltsam an und die Aussichten sind alles andere als rosig.
Sie sind signalrot. Und mit der geplanten Umsetzung der Unternehmenssteuerreform III werden dem Kanton noch einmal bis zu 50 Millionen Franken jährlich entgehen. Den Gemeinden rund 30 Millionen pro Jahr.
Ein bereits bestehendes Finanzloch, das nur immer noch grösser wird. Mit Ansage.
«Die Ausgaben müssen sich zwingend an den Steuereinnahmen orientieren», sagte der Baselbieter Finanzdirektor Anton Lauber (CVP) bei der Präsentation des neusten Defizits im vergangenen Jahr. Steuererhöhungen sind damit natürlich nicht gemeint. Um das Finanzloch zu stopfen, fährt die bürgerliche Regierung einen Sparkurs. Paradoxerweise auch auf der Einnahmenseite.
Schon im Regierungsprogramm 2016–2019 hielt man explizit fest, dass die «Besteuerung des Einkommens und des Vermögens … moderater und gleichmässiger ausgestaltet» werden soll. Man bereite deshalb «eine Einkommens- und Vermögenssteuerreform» vor.
Vom Sparfieber gepackt, beauftragte die FDP im Landrat die Regierung schon im Juni mit einer Rechenaufgabe: Sie verlangte «einen Vergleich der bestehenden Steuerkurve des Kantons Basel-Landschaft mit einer künstlichen Steuerkurve, welche aus dem Durchschnitt der Steuerkurven der Nordwestschweizer Kantone Aargau, Basel-Stadt und Solothurn gebildet wird».
Aus der Antwort des Regierungsrats vom 13. September 2016: «Insgesamt würde eine Angleichung an eine – wie auch immer gerechnete – künstliche Durchschnittssteuerkurve der Nachbarkantone zu Minderertrag führen.» Das Loch wächst: Die Ausfälle würden jährlich mindestens zehn Millionen Franken betragen.
Trotzdem hält Regierungsrat Thomas Weber am Schluss der Antwort fest: «Wie sich heute aber zeigt, wird die Baselbieter Steuerkurve immer mehr zum Thema», weshalb eine Reform der Einkommens- und Vermögenssteuer «bis Ende der Legislaturperiode vorbereitet» werde.
Das macht, summa summarum, über 90 Millionen Franken zusätzliche Ausfälle pro Jahr.
Entwicklungshilfe
Kein Wunder werden Städter das nagende Gefühl nicht los, das Baselbiet profitiere womöglich etwas gar sehr von der Stadt – offenkundig ohne Plan, der einen Weg aus der landschaftlichen Finanzmisere aufzeigen würde.
Wenig erstaunlich, dass sich mancher fragt, worin denn der Sinn der interkantonalen Entwicklungshilfe von 80 Millionen, verteilt über vier Jahre, liege – eine Füllung, die in den Tiefen des Baselbieter Finanzlochs wirkungslos verschwindet.
Sind die politischen Köpfe des Baselbiets überhaupt noch bei der Sachpolitik, wenn sie mit Basel-Stadt über die wichtigen Pfeiler der Partnerschaft verhandeln? Egal, ob es um Fragen der Bildung, der Universität, der Kultur, des öffentlichen Verkehrs oder eben der Gesundheit geht: Die Signale, dieses oder jenes nicht mehr bezahlen zu können oder zu wollen, könnten deutlicher nicht sein.
Kantons-Karies
Es ist bedauernswert, dass die Baselbieter Regierung die Rechnung ohne die wertvollen sozioökonomischen Erkenntnisse aus der Kariesforschung macht: Der «gruppendynamische Aspekt» bleibt aussen vor; kein Faktor auch die Tatsache, dass Sparmassnahmen längerfristig Folgekosten ungeahnten Ausmasses haben können – «später bei den Sozialhilfekosten».
Die drastischen Sparmassnahmen bei gleichzeitigem Unwillen, über gezielte Investitionen und Programme etwas an den strukturellen Grundproblemen zu verändern, lassen befürchten, dass man es hier mit einer ausgewachsenen Kantons-Karies zu tun hat. Unbehandelt kann das böse enden.
Und sehr viel teurer.
«Es müssen alle ihren Beitrag leisten», so lautet Thomas Webers Botschaft an die Bevölkerung angesichts der Finanz-Misere. Nicht nur der Kanton, Bürgerinnen und Bürger müssten jetzt «den Gürtel enger schnallen».
Schaue für sich, wer kann.
Grundpfeiler der kantonsübergreifenden Zusammenarbeit werden bereits explizit infrage gestellt: Es brauche «eine Überprüfung der Geldflüsse in der Partnerschaft», so Regierungspräsident Thomas Weber weiter.
Er meinte damit nicht die 80 Millionen Entwicklungshilfe. Sondern, unter anderem, die Beiträge an den ÖV. Und die Beiträge an die Universität Basel. Ein weiterer «Sonderfaktor», so Weber.
Auch Sonderfaktoren kann man sich sparen.
Ob es dann noch freundliche «Partnerschafts»-Anlässe geben wird? Kaum.
Tragisch, ist doch die Region Basel eigentlich ein eng verwobener Wirtschafts-, Kultur-, Lebens- und Wohn-Raum, der vor Kantons- und Landesgrenzen nicht haltmacht.
Das Baselbiet setzte seine Zahnputz-Instruktorinnen ab und hofft auf ein Wunder. Basel-Stadt muss unterdessen hoffen, dass die Kantons-Karies der Nachbarn nicht ansteckend ist. Und wird die städtische Zahnfee weiterhin Löcher in der Landschaft stopfen lassen.
Zähneknirschend.