Kultur braucht wieder mehr Inhalte und weniger Events

Kalender sind dazu da, Ereignisse einzuschreiben. Und Events, die man nicht verpassen möchte. Ich wünsche mir fürs 2016 einen Kalender, der wieder mehr Weissraum – und gleichzeitig mehr Inhalt hat.

Kein Platz und die Uhr tickt – bis der Kalender explodiert. Schluss damit!

(Bild: Nils Fisch)

Ob die besinnliche Zeit, in der diese Zeilen geschrieben werden, schuld ist an meinem Wunsch nach weniger Events? Winter, Kälte, Advent – da kuschelt man sich gerne auf dem Sofa ein und liest ein Buch. Gemütlich wäre das, ich hätte Zeit zum Runterfahren. Wenn nicht jeden Morgen die sozialen Medien mir mitteilen würden: «Erinnerung: Du hast heute vier Veranstaltungen.»

Mehr als genug für einen Abend, denke ich da. Nein, eigentlich zu viele. Ich beginne zu filtern. Vernissage, Theaterpremiere, Konzert oder doch die Performance?

Was eigentlich schön ist – die Auswahl nämlich –, wird plötzlich zum Stress. Ich bin körperlich unfähig, überall dabei zu sein. Ich bin überfordert. Diese Überforderung resultiert aus dem impliziten Zwang, teilnehmen zu müssen: Wer lieber zu Hause ein Buch liest, könnte als am kulturellen Leben der Stadt desinteressiert gelten.

Das Vierteilen, einst eine Folter- und Hinrichtungsmethode, erscheint plötzlich verlockend. Natürlich ohne die körperlichen Qualen.

Mehr Veranstaltungen = mehr Publikum?

Basel ist keine Schlafstadt mehr, zum Glück! Immer mehr Veranstalter buhlen um Besucher, das kulturell interessierte Publikum weiss kaum mehr, wohin es sich wenden soll. Die Ziele der Veranstalter sind klar (und für einen Teil der Institutionen im Kulturleitbild als Auftrag festgehalten): mehr Publikum erreichen. Neues Publikum generieren. Folglich neue Vermittlungsangebote kreieren, denn mit alten Hüten lockt man keinen hinter dem Ofen hervor. Oder vom Sofa weg.

So kommt es, dass man inzwischen im Museum chillen kann oder eine Ausstellung mittels Twitter besuchen. Schöne Angebote, an und für sich.

Und nicht nur die staatlichen Museen haben aufgerüstet. Alle, die heute mithalten wollen, müssen sich was einfallen lassen. Denn sonst bleibt das Publikum weg. Beispiel Galerien: An den Vernissagen ist das Haus voll, während der restlichen Ausstellungsdauer fast leer. Käufer bleiben aus.

Was liegt da näher, als weitere Events zu planen? Zum Beispiel einen Advents-Apéro, wie der Basler Galerienverein ihn im Dezember abgehalten hat? Wieder werden Leute kommen – doch kaufen sie auch? Nicht überall geht das Konzept auf, und Events bringen zudem nicht nur potenziell Geld, sondern garantiert auch Kosten mit sich.

Zu den Galerien und grossen Kunsthäusern haben sich in den letzten Jahren zig Offspaces gesellt. Selbst die Hochschule für Gestaltung und Kunst lockt inzwischen mit Events und Ausstellungen. Der Kalender füllt sich so allein in der Sparte Kunst in manchen Wochen ins fast Unerträgliche – und damit meine ich nicht nur jene Woche im Juni, auf die man sich als Kunstinteressierter am besten bereits im Januar seelisch und körperlich vorbereitet, wenn man sie unbeschadet überstehen will…

Konditionierung im Kindesalter

Die Eventisierung der Kultur ist aber beileibe kein neues Phänomen. Im Gegenteil: Die Forschung hat bereits vor zehn Jahren den Zenit der Ereignisgesellschaft konstatiert – und den Rückgang der Eventisierung eingeläutet, der sich in einer «tieferen Sinnsuche» manifestiere. Weg vom reinen Erlebnis, zurück zu mehr Inhalt, zu mehr Zeit für das Einzelne. Hat sich das bewahrheitet?

Kaum, wage ich zu behaupten. Kultur ist auch heute noch von Kommerzialisierung durchtränkt. Selbst der Kindergeburtstag soll heute ein Event sein, Gesellschaftsspiele und Kuchen haben ausgedient. Diverse Kulturveranstalter bieten deshalb auch schon für die Kleinsten was an – der Nachwuchs will konditioniert werden.

Doch ist es nicht irgendwann genug? Es ist ja im Grunde auch verständlich: Jeder, der in irgendeiner Form Kultur produziert, möchte, dass sein Werk Beachtung findet. Und wenn es am Schluss nur die engsten Facebook-Freunde und Familienmitglieder sind, die an der Vernissage des im eigenen Verlag gedruckten Buches erscheinen.

Doch der Kulturmarkt stösst an seine Sättigungsgrenze. Ich wünsche mir deshalb eine Stagnation im kulturellen Eventbereich, wenn nicht sogar weniger Anlässe. Damit ich mich wieder auf das Relevante und auf Inhalte konzentrieren kann. Denn vieles ist heute – leider – nurmehr Ablenkung. 

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Zum Jahresende formulieren wir Wünsche für das Jahr 2016. Am 31. Dezember erscheint die TagesWoche als Wunschheft. Mehr Wünsche gibts im Dossier zum Thema.

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