Das WEF ist vorbei, die grossen Fragen aber bleiben und sie bleiben ungelöst. Die grossen Fragen? Sie wurden mit dem offiziellen Slogan vorsichtig angesprochen: «Kreieren einer gemeinsamen Zukunft in einer zersplitterten Welt». Diese Zielsetzung drohte im Trump-Rummel unterzugehen.
Man hätte sich gewünscht, dass WEF-Gründer Klaus Schwab in seiner Moderation der viertelstündigen Trump-Rede den Fragen der «gemeinsamen Zukunft» ein wenig Platz eingeräumt hätte. Mit Genugtuung hat man immerhin zur Kenntnis nehmen können, dass sich der Applaus für die von Trump erneut aufgelegte «America first»-Rede in Grenzen hielt und nicht grösser war als der Applaus, mit dem die zu Trumps Begrüssung aufgebotene Fribourger Landwehr-Kapelle – wohl ein Präsent des aus Freiburg stammenden Bundespräsidenten Berset – beklatscht wurde.
Selbstverständlich durfte/musste Berset den amerikanischen Gast staatsmännisch empfangen, selbstverständlich mit der üblichen Gastgeberhöflichkeit und selbstverständlich mit der Botschaft an das eigene Volk, dass die Begegnung auf Augenhöhe stattgefunden habe, verbunden mit der kleinen Genugtuung, dass das Gespräch 15 Minuten länger als vorgesehen gedauert habe.
Bersets Erklärung in die SRF-Kamera, dass auch Trumps «America first»-Parole einer selbstverständlichen Haltung entspringe und er als Bundespräsident ebenfalls einem «Switzerland first» verpflichtet sei, kam unbedacht etwas zu nationalistisch daher, zumal es nicht von einem Bekenntnis zum dringend notwendigen Multilateralismus begleitet war.
Trump war 29 Stunden und 53 Minuten (inkl. Ruhezeit) in der Schweiz, 18 Minuten länger als geplant und vorausgesagt. Trump hatte aber schon Tage, ja Wochen vor seiner Stippvisite die Schweiz und vor allem die Schweizer Medien beschäftigt. Die Aufregung über den hohen Besuch mag verständlich sein. Sie hatte aber eine andere Qualität als diejenige, die um Clintons WEF-Besuch im Jahr 2000 aufgekommen war.
2017, da war Trump schon gewählt, aber am WEF noch nicht persönlich zugegen, wurde er als gravierendes Problem kritisch und sorgenvoll erörtert. Jetzt, 2018, stand der euphorische bis devote Empfang in eklatantem Gegensatz dazu. Wie ist das möglich? Alles vergessen, was vorher gesehen und gesagt wurde?
Fast alle Medien waren davon fasziniert, aus fast schon intimer Nähe ihrer Leserschaft über das mächtigste Wesen der Welt berichten zu dürfen. Das ist an sich normal und entspricht der hohen Beachtung, die jedem Weltstar entgegengebracht wird, wenn er Schweizer Boden (Betonpiste von Kloten und Schneepiste von Davos) betritt.
Persönliche Egomanie und nationalistische Egozentrik legitimieren sich gegenseitig.
Das wirklich Unerfreuliche daran ist, dass die Faszination nicht nur der äusseren Stellung einer Person, also ihrem Amt, sondern in hohem Mass einem egomanen Typen gilt, der auch in Davos von sich selber sagte: «Ich bin eben gut, unheimlich erfolgreich, bin spitze!» Da paaren sich persönliche Egomanie und nationalistische Egozentrik und legitimieren sich gegenseitig.
Dabei beruhigt es in keiner Weise, wenn der «America first»-Mann erklärt, er meine mit seiner Parole nicht «America alone». «First» kann es tatsächlich nur geben, wenn es auch Länder in untergeordneten Rängen gibt, bis hin zu den von Trump als «Shitholes» beschimpften Armenländern. Diese Haltung und dieses Auftreten sollten in der republikanisch gesinnten Schweiz nicht mit bewundernder Aufmerksamkeit honoriert werden. Wurden es aber.
Der politische Champion erhielt besonders devote Beachtung von zwei Zeitungen, die ihrerseits publizistisch Champions sein wollen: Der «Blick» machte mit Hilfe des US-Präsidenten in Selbstdarstellung, indem er triumphierend ein «Blick»-Bild zeigte, auf dem Trump den «Blick» hochhält, auf dem er tags zuvor als «Dear President» willkommen geheissen wurde.
Ähnlich die «Weltwoche», die sich in einem Eigeninserat mit einem billigen Trump-Autogramm und einem «So great» brüstet, das sie wegen eines Gefälligkeitsporträts über den US-Botschafter in der Schweiz erhalten hatte.
Davos total
Die «Weltwoche» machte damit genau das, was ihr Chef letztes Wochenende an der SVP-Delegiertenversammlung glaubte in seinem Kreuzzug gegen die SRG und für «No Billag» vom Schweizer Fernsehen sagen zu dürfen. Köppels Vorwurf: SRF würde auf den Knien schleimspurige Berichte über und Interviews mit der Medienministerin Doris Leuthard verbreiten.
Der Tenor der Schweizer Medien war in Davos allgemein auf Hofberichterstattung getrimmt. Die Journalisten hingen an den Lippen des Gastes und reproduzierten fleissig, was Trump in seinen stets plakativen Urteilen als «great» und «fantastic» und «wonderful» bezeichnete. Geradezu peinlich die Fragen, ob «Switzerland also great» sei.
Erst im Nachgang kam Kritik an diesem Gebaren auf: Die NZZ befand, derart der Magie der Macht zu verfallen, tue der Glaubwürdigkeit des Journalismus nicht gut.
Erich Gysling, Nestor der Medienbranche, räumt offen ein, dass auch er sich in seinen früheren Spitzenfunktionen beim Schweizer Fernsehen habe weichkochen lassen und wegen der vermuteten Publikumswünsche ebenfalls auf «Davos total» geschaltet habe. Dennoch kommt er zum Schluss: «Das Getöse um Trump bei den Helvetiern war eine Peinlichkeit.»
Und Nina Fargahi stellt zu Recht fest, wenn der ganze Journalistentross dem mächtigsten Mann der Welt an den Lippen hänge, bleibe zu wenig Raum für Fragen dazu, welche Haltung die Schweiz und die Schweizer Wirtschaft gegenüber einer Regierung einnehmen sollten, die aus dem Pariser Klimaabkommen treten will und die dem Vorwurf ausgesetzt ist, Rassismus und Sexismus im eigenen Land zu tolerieren oder gar zu schüren.
Uns müssten nicht nur Durchschnittswerte, sondern auch die weniger sichtbaren persönlichen Notsituationen interessieren.
Von den Medien wenig beachtet hat auch Christine Lagarde, Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), am Davoser Treffen teilgenommen. Sie verkörpert gleichsam die andere Seite des WEF: jene, welche die globalen Gesamtinteressen im Auge behalten möchte. Ihr Auftritt wurde dem diesjährigen WEF-Slogan von der «gemeinsamen Zukunft» voll gerecht, wenn sie dazu aufforderte, die gute Entwicklung der Weltwirtschaft für anspruchsvolle Reformen zu nutzen.
Lagarde berief sich auf das geflügelte Wort, wonach man das Dach reparieren müsse, wenn die Sonne scheint. Sie meinte damit insbesondere den Schuldenabbau, was implizit auch Schuldenerlass heisst. Wir könnten uns an Griechenland erinnert fühlen, wo Lagarde eine deutlich stärker entgegenkommende Haltung als die Euro-Troika eingenommen hat.
Ihr Credo orientiert sich aber nicht nur an der Bedürftigkeit schwacher Länder, es folgt der Einsicht, dass auch die Starken ein längerfristiges Interesse an der Stärkung der Schwachen haben.
Die Globalisierung hat anscheinend allen Ländern eine Anhebung des statistischen Wohlstands gebracht. Wenn man näher hinschaut, kann man aber feststellen, dass die bereits starken wesentlich mehr als die noch immer schwachen davon profitieren.
Zudem müssten uns nicht nur die Durchschnittswerte, sondern insbesondere auf der schwachen Seite auch die darin weniger sichtbaren persönlichen Notsituationen interessieren, nicht nur in der sogenannten Dritten Welt, auch in Europa. In Deutschland zum Beispiel verdient die untere Hälfe der Bevölkerung 17 Prozent, die obere Hälfte dagegen 83 Prozent des Volkseinkommens.
Was würde Lagarde Trump sagen?
Schon 2013 hatte Lagarde die Verteilungsproblematik in Davos thematisiert: «Eine exzessive Ungleichheit ist korrosiv (also zernagend und zerfressend, Red.) für das Wachstum und sie ist korrosiv für die Gesellschaft.» Das heisst auch: Wenn nicht ethisch konditionierte Einstellungen, so sollten zumindest Haltungen, die sich an der Wahrung der eigenen Interessen orientieren, dafür sorgen, dass die Kluft zwischen Arm und Reich nicht grösser wird. Dieses Denken ist einem Donald Trump bekanntlich völlig fremd.
Es gibt Spekulationen, die davon ausgehen, dass Christine Lagarde schon bald als Nachfolgerin von Klaus Schwab an die Spitze des WEF treten könnte. Wäre dies schon 2019 der Fall und Trump noch immer Präsident und erneut auf für eine Stippvisite in Davos zu haben, könnte es wenigstens in Ansätzen zu einem interessanten Dialog zwischen den beiden kommen.